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Mach’ dir nichts draus. David Villa (r.) tröstet Tahitis Keeper Mikael Roche, der gegen Spanien zehn Treffer kassieren musste. Foto: AFP

© AFP

Sport: „Wir alle sind Fans von Tahiti“

Das 0:10 gegen Spanien geht als seltsame Sternstunde des Fußballs in die Geschichte des Confed-Cups ein.

Am Ende dieser seltsamen Sternstunde des Fußballs hatte Fernando Torres vier Tore geschossen! In einem Länderspiel! Im heiligen Maracana von Rio de Janeiro! Kommt nicht so oft vor, aber Torres hat es nicht weiter interessiert, die vier Tore waren ja auch nicht so entscheidend. Genauso wenig dieser 10:0-Sieg des Welt- und Europameisters, obwohl es doch der höchste Sieg aller Zeiten war im Confed-Cup, dieser Generalprobe für die Fußball-Weltmeisterschaft, die da im kommenden Jahr in Brasilien stattfinden wird. „Alles nicht so wichtig“, sagte der Stürmer der seleccion espanõl. Denn an diesem Donnerstagabend, als Rio de Janeiro brannte und der Fußball nur eine Nebenrolle spielte im Schatten der Massendemonstrationen – an diesem Donnerstagabend hatte Fernando Torres sich verliebt.

Das passiert eher selten beim Fußball, wo man sich schätzt und achtet, aber das ist es dann meist auch schon. Diesmal war es etwas anderes, nicht nur für den Stürmer Torres, sondern auch für alle seine Kollegen. Fernando Torres sprach also: „Wir alle sind Fans von Tahiti!“

So etwas lässt sich leicht sagen über einen Gegner, der das Toreschießen so leicht zulässt wie sonst kaum jemand auf internationalem Niveau. Die zehn Tore gegen Tahiti sind Rekord im Confed-Cup und werden in der spanischen Länderspielgeschichte nur noch übertroffen von einem 13:0 über Bulgarien, aber das war in den dreißiger Jahren eines seit 13 Jahren vergangenen Jahrhunderts. Lange her.

Vielleicht wird man in ein paar Jahren, in der Retrospektive dieses Turniers, nur noch von Spanien und Tahiti erzählen. Von zwei ungleichen Gegnern, die doch dasselbe im Sinn hatten. Geradezu entrückt erzählte Fernando Torres, der Welt-und Europameister und Champions-League-Sieger, von den Erinnerungsfotos, für die sie mit den Tahitianern posiert hatten, von dem „Lächeln in ihren Gesichtern“, von einem Sportgeist, der doch längst versunken schien in der ergebnisorientierten Welt des modernen Fußballs. Als das Spiel vorbei war, führte ihn sein erster Weg zum tahitianischen Torhüter Mikael Roche. Der spielt im Alltag für AS Dragon in der Hauptstadt Papeete und hatte sich so mannhaft in die spanischen Schüsse geworfen, dass ihn die brasilianischen Zuschauer zum „Man of the Match“ brüllen wollten, aber diese Ehrung blieb dann doch Torres vorbehalten. Torres herzte Roche und drückte ihm die Hand und führte ihn vom Rasen. Er selbst hatte im Duell Mann gegen Mann vom Elfmeterpunkt ein Einsehen und schlug den Ball gegen die Latte, was Roche so ausgiebig feierte, als hätte er den Ball mit seinen magischen Augen verhext.

75 000 Zuschauer im Maracana sahen ein Spiel, wie sie es wahrscheinlich nie wieder sehen werden. Von einem David, der wusste, dass er David ist und sich einen Dreck darum scherte, als er Goliath gegenüberstand, und das alles zum Wohle des Spiels. Spanien gegen Tahiti, das wirkte nur auf den ersten Blick wie eine Abwertung dieses Turniers der Erdteilmeister, wie eine Persiflage auf den modernen Fußball, in dem Kleinigkeiten entscheiden über Sieg und Niederlage und nicht zehn Tore. In Rio aber war alles ganz anders. Der Sieger war das Spiel, die Gewissheit, dass Fußball nicht nur unterhaltsam sein kann, wenn sich zwei Mannschaften auf Augen- und Stiefelspitzenhöhe begegnen. „Wir müssen nicht reden über den Unterschied zwischen beiden Mannschaften“, sagte Torres, „aber das war ein Gegner, den ich bewundere.“

Spaniens Nationalmannschaft trägt den Kampfnamen furia roja, und im Normalfall stellt sich jeder auch nur halbwegs unterlegene Gegner hinten rein gegen die rote Furie und hofft, dass es möglichst gnädig ausgeht. Die Schweiz etwa hat bei der WM 2010 gefühlt zweimal die Mittellinie übertreten und dabei ein Tor geschossen, es reichte zum 1:0-Sieg. Und zum Auftakt des Confed-Cups hatten die Uruguayer gar nicht erst versucht, mit den Spaniern zu spielen, sondern sich hinten eingeigelt, und sie wären dafür bei ihrer Schlussoffensive nach dem späten 1:2-Anschlusstor beinahe noch belohnt worden.

Alles legitim, aber nicht schön.

Tahiti wählte eine andere Strategie. Die Nummer 139 der Weltrangliste wollte mitspielen! Gegen den Weltmeister! „War vielleicht ein bisschen naiv“, sagte Trainer Eddy Etaeta. „Wir hätten besser aufpassen müssen“, aber er war schon stolz auf seine Jungs und die Reaktion der brasilianischen Fans. Diese hatten seine Mannschaft wie schon beim ersten Gruppenspiel in Belo Horizonte gegen Nigeria quasi adoptiert. Im Maracana sangen die torcedores, was sie normalerweise singen, wenn Flamengo oder Fluminense oder Botafogo spielt. Mit leichten Textänderungen, sie waren den Kickern aus der Südsee gewidmet.

Sie hatten tatsächlich mitspielen wollen, auf Angriff, mit einer sensationell hoch stehenden Verteidigung, wie sie die Spanier nicht so oft antreffen. Keine Fouls, keine Spielverzögerungen, keine Unsportlichkeiten. Die Taxifahrer und Strandverkäufer und Arbeitslosen, sie hatten Sonderurlaub beantragen müssen für den Ausflug nach Brasilien. Vicente del Bosque, der Trainer des Welt-und Europameisters, sprach später den weisen Satz: „Heute ist dem Fußball kein Schaden zugefügt worden, ganz im Gegenteil: Der Fußball hat gewonnen.“

Da ist was dran. Denn auch sein Team hatte den Zauber des Moments verinnerlicht. Spanien wollte Fußball spielen und nicht Fußball als Pflichtprogramm abarbeiten. „Wir haben Respekt gezeigt, vor dem Gegner und dem Spiel“, sagte Fernando Torres. Und das, obwohl sein Trainer die Mannschaft nach dem Auftaktspiel gegen Uruguay auf zehn, zehn!, Positionen verändert hatte. Allein Sergio Ramos von Real Madrid stand ein zweites Mal in der Startaufstellung, aber auch er machte in der zweiten Halbzeit Platz für Jesus Navas, den einzigen der spanischen Feldspieler, der bis dahin überhaupt noch nicht hatte mitmachen dürfen. Spanien setzte nicht auf Abpraller und Eigentore und Eseleien, sondern auf fußballtechnische Präzision. Die ersten sieben Tore entsprangen wunderschön herausgespielten Chancen und waren keine Zufallsproduktionen gegen einen überforderten Gegner.

So funktioniert Fußball und so funktioniert Unterhaltung, und in diesem Sinne hatte Tahitis Trainer auch noch eine schöne Schlusspointe bereit. „Ich habe von ganz vielen Leuten hier gehört, dass meine Mannschaft die am besten organisierte Mannschaft bei diesem Turnier ist“, sprach Eddy Etaeta. Denn: „Niemand hinterlässt die Kabine nach dem Spiel so ordentlich und aufgeräumt wie wir.“

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