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Sport: "Wir können stark sein"

Mannschaftskapitän Michael Ballack über die Chancen der Deutschen, seinen Einfluss auf den Bundestrainer und die zwickende Wade

Herr Ballack, wie haben Sie die beiden fußballfreien Tage am Pfingstwochenende verbracht?

Es war mal ganz gut, die Familie, die Kinder zu sehen. Nach den drei Wochen Vorbereitung hat jeder von uns noch einmal versucht, sich so gut es geht abzulenken und körperlich mal kurz runterzufahren. Aber in Gedanken bist du beim ersten Spiel. Mein Kopf ist voll. Ich kriege das Thema nicht mehr aus dem Kopf, ehrlich. Und jetzt denke ich, dass es endlich losgehen sollte.

Wie ernst und wie wichtig war der letzte Test gegen Kolumbien?

Vor allem war er wichtig fürs Gefühl, fürs ganze Drumherum. Für die Spieler und für die Zuschauer. Das letzte Ergebnis nimmt man immer mit in ein großes Turnier, das ist nun mal so. Deswegen war es ja ein so wichtiges Spiel. Das hat man ja auch schon beim USA-Länderspiel im März gesehen. Nach der Niederlage in Italien war das ein ganz wichtiges Spiel für die Stimmung, weil wir danach eine ziemlich große Pause hatten. Kolumbien war jetzt wichtig, weil die Mannschaft gesehen hat, dass sie umsetzen kann, was sie sich vorgenommen hat. Auch wenn wir noch nicht auf dem Level waren, auf dem wir zum WM-Eröffnungsspiel sein werden. Deswegen hatte der Trainer auf die beiden letzten Spiele gegen Japan und eben Kolumbien nicht ganz so viel Rücksicht genommen. Im Vordergrund stand die Trainingsarbeit, und die war intensiv.

Zu welcher Leistung ist die deutsche Mannschaft bei der Weltmeisterschaft in der Lage?

Wir hatten in den vergangenen zwei Jahren fast nur Freundschaftsspiele. Nur einmal, beim Confed-Cup, gab es einen Härtetest. Es war die einzige Gelegenheit, uns mit anderen unter vergleichbaren Bedingungen zu messen. Allerdings besitzt dieses Turnier einen Charakter, der schwer einzuschätzen ist.

Wie meinen Sie das? Ist die Mannschaft zu jung und unerfahren?

Wir haben eine Mannschaft, die in der Entwicklung ist. Wir haben Spieler, die in ihren Vereinen wenige Einsatzzeiten hatten oder teilweise nicht gespielt haben. Und vergessen sie nicht: Wir haben nicht mehr die Auswahl, wie es noch 1990 bei der Weltmeisterschaft der Fall war, oder meinetwegen noch 1996 bei der EM. Da waren viel, viel mehr gestandene Spieler, international erfahrene Spieler, dabei. Diese Spieler haben diese Mannschaften und damit das Spiel geprägt. In unserer Mannschaft ist das nicht der Fall, sie ist anders gewachsen. Diese Mannschaft hier lebt von ihrer Begeisterung und von ihrer Unbekümmertheit. Und natürlich macht sie noch Fehler und ist noch nicht so gefestigt. Deswegen gehe ich mit so ein bisschen Ungewissheit in das Turnier.

Ungewiss? Sie wollen doch Weltmeister werden, oder?

Ja, und das können wir auch schaffen. Es gibt ganz viel, das mir Mut macht. Aber ich sage auch: Es kann im positiven wie im negativen Sinne viel passieren. Die Ergebnisse und die Leistungen im Vorfeld der Weltmeisterschaft zeigen, dass diese Mannschaft noch schwankt und nicht so stabil ist.

Inwiefern kann die Stabilität in der Vorrunde erreicht werden?

Eine Weltmeisterschaft ist etwas anderes. Ich meine, wir müssen uns darauf einstellen, dass Costa Rica, Polen und Ekuador, auch wenn sie in ihren Vorbereitungsspielen nicht immer überzeugen konnten, in sehr guter Verfassung sein werden. Nehmen Sie nur mal die Polen. Erst unterliegen die Kolumbien und dann schlagen sie die starken Kroaten. Wir müssen darauf gefasst sein, dass diese Mannschaften uns alles abverlangen werden. Deswegen werden wir diese Gegner auch sehr ernst nehmen.

Müssen wir ums Weiterkommen fürchten?

Natürlich haben wir unsere Möglichkeiten, keine Frage. Wir dürfen nur nicht so sehr auf den Gegner schauen, sondern wir sollten unser Spiel durchziehen und dabei Fehler vermeiden. Unsere Schwäche, das Spiel in der Defensive, konnten wir in den vergangenen zwei Jahren nie richtig abstellen. Wir wollen vorwärts und schnell spielen. Das ist grundsätzlich richtig, aber manchmal spielen wir zu schnell nach vorn und verlieren die Bälle. Wir müssen uns klar machen, dass wir nicht alle vorwärts denken können.

Ist das nicht die Aufgabe des Trainers?

Jeder Spieler ist dafür verantwortlich. So etwas kann man nicht vorschreiben. Kein Trainer kann einem Spieler sagen, wann er quer zu spielen oder mal auf den Ball zu treten hat. Das ist eine Frage des Spielverständnisses. Das muss ein Spieler selbst erkennen.

Ist es dafür jetzt nicht zu spät?

Beim Confed-Cup haben wir das auch hinbekommen, mit einer ganz ähnlichen Mannschaft übrigens. Da war zum Anfang das 4:3 gegen Australien – das war ja ein Auf und Ab im Spiel. Gegen Tunesien waren wir dann sehr viel kompakter. Das war zwar nicht ganz so attraktiv, aber wir haben auch unsere Tore geschossen, wenn auch etwas später. Aber so stelle ich mir unser Spiel schon eher vor.

Was könnte denn der Mannschaft bei der Weltmeisterschaft zum Verhängnis werden?

Sicherlich die eigenen Erwartungen und der Druck, der von außen auf sie zukommen wird. Eine WM im eigenen Land ist ja in dieser Hinsicht mit nichts zu vergleichen. Wir müssen sehen, wer mit diesem Druck klarkommt. Der Confed-Cup war schön und gut, aber jetzt blicken vielleicht 50 oder 60 Millionen Deutsche auf uns. Wir wollen hoffen, dass der eine oder andere Spieler nicht verkrampft und die Mannschaft das abrufen kann, was sie eigentlich kann. Das ist aber ein ganz schmaler Grat, gerade als Heimmannschaft. Das hat man vor zwei Jahren bei der EM in Portugal doch gesehen. Die Portugiesen sind lange kritisch beäugt worden, erst als sie im Finale standen, war die Anerkennung der Öffentlichkeit da. Die Erwartungen an die Heimmannschaft sind bei einem EM- oder WM-Turnier ja immer riesengroß.

Viele Erwartungen werden an Ihrer Person festgemacht. Welche Rolle spielen Sie in dieser Mannschaft?

Ich muss als zentraler Mittelfeldspieler das Ganze im Blick haben. Wir haben nun mal Schwächen in der Rückwärtsbewegung, das hat man immer wieder gesehen. Ich nehme mich da nicht aus. Andererseits bin ich der Impulsgeber, der in der Offensive versucht, dass Spiel anzukurbeln. Es ist schwer für mich, die Symbiose zu finden: zwischen defensiv gut stehen und das Spiel auch immer wieder nach vorne treiben. Es ist eine umfangreiche Aufgabe, die ich wahrnehme.

Vermutlich herrscht deswegen immer gleich helle Aufregung in der Öffentlichkeit, wenn Sie mal das Training verletzungsbedingt auslassen wie am Montag und Dienstag. Werden Sie am Freitag spielen können?

Ach, das ist ja nicht so schlimm. Ich gehe davon aus, dass ich gegen Costa Rica spielen kann. Das ist ein Überbleibsel vom Spiel gegen Kolumbien. Am Sonntagabend habe ich dann bemerkt, dass es in der Wade etwas hartnäckiger zwickt. Die wird aber jetzt weiterhin behandelt. Ich bin ganz optimistisch.

Wenn Sie spielen, auf welcher Position sehen Sie sich: eher defensiv oder doch dicht hinter den Sturmspitzen?

Ich sehe mich da nicht irgendwo auf einer festen Position. Ich gliedere mich ein. Das habe ich immer schon gemacht. Ich finde automatisch meine Position auf dem Feld. Und wenn es mal nicht so läuft, wie gegen Japan, dann muss man etwas auf dem Feld ändern. Na klar schauen die Spieler zu mir und positionieren sich entsprechend. Aber natürlich brauche ich Spieler um mich rum, die dazu passen. Nicht, dass das Spiel auf mich ausgerichtet sein soll, ich kann weiter hinten spielen und auch etwas offensiver. Sehen Sie, auch bei den Bayern gab es nicht den klassischen Spieler hinter den Spitzen, deshalb spielte ich eben oft auf dieser Position. Ich habe mich in den vergangenen zwei Jahren damit angefreundet, habe meinen Stil darauf ausgelegt, weil die Trainer ja immer wieder sehen wollen, dass ich in die Spitze gehe, dass ich für Torgefahr sorge. Ich will nicht sagen, dass mir meine Torgefährlichkeit zum Verhängnis geworden ist, aber ich wurde aus der etwas defensiveren Spielmacherposition herausgezogen, obwohl ich das auch gut spielen kann.

Gibt es so etwas wie eine optimale Michael-Ballack-Taktik?

Weiß ich nicht. Wie gesagt, ich bin nicht der Spieler, der sagt: ich muss jetzt das und das spielen. Wichtig ist doch, dass es funktioniert. Fußball ist doch eigentlich einfach, ob man jetzt im 4-4-2-System spielt oder im 4-3-3. Wichtig ist, dass die Spieler in Bewegung sind, dass jeder seine Verantwortung wahrnimmt und dass die Spieler gut sind. Gute Spieler können immer zusammenspielen, defensiv wie offensiv. Wenn du aber die Qualität nicht hast, dann ist es auch egal, auf welcher Position der Einzelne spielt. Das wird jedem guten Spieler so gehen: Es ist immer einfacher, in einer guten Mannschaft zu spielen.

Ist die deutsche keine gute Mannschaft?

Wir können stark sein. Die Frage ist nur, wie wir unsere Qualitäten einsetzen. Ich beispielsweise unterhalte mich immer intensiv mit dem Torsten Frings, der bei uns defensiv zentral spielt und damit eine große Verantwortung trägt. Und so wollte ich meine kritischen Anregungen vor dem Kolumbien-Spiel auch verstanden wissen.

Sie forderten ein besseres Defensivspiel der Mannschaft.

Es geht nicht nur um die Abwehr. Es trifft auf uns alle zu. Gegen Kolumbien haben wir ja schon Fortschritte gesehen. Es gab eine klare Ausrichtung und jeder hat seine Verantwortung wahrgenommen. Gegen Japan war das nicht der Fall. Wir sind oft einen Schritt zu weit vorn, auch im Denken. Wir wollen ja offensiv spielen, aber gedanklich müssen wir uns darauf einstellen, dass Fußball in der Defensive anfängt. Torsten Frings ist eine ganz wichtige Figur in unserem System. Er ist im Moment der beste Spieler, den wir auf dieser zentralen Defensiv-Position haben. Aber in München hat er diese Position nicht gespielt und jetzt in Bremen auch nicht, das macht dort der Frank Baumann. Gegen Kolumbien hat Torsten sein Spiel etwas defensiver ausgelegt. Das hat sich positiv auf alles ausgewirkt.

Bundestrainer Jürgen Klinsmann erzählt gern, dass er Sie mit einbezieht in seinen Überlegungen. Wie groß ist Ihr Einfluss? Wann haben Sie ihm das letzte Mal etwas ausgeredet?

Ausgeredet habe ich ihm nichts. Wir unterhalten uns natürlich immer wieder mal. Dann tauschen wir uns aus, über den aktuellen Stand der Mannschaft, wie sie drauf ist, mental und körperlich. Das hilft, den richtigen Ton zu finden oder das Training zu dosieren. Und natürlich haben wir uns auch über die Spielphilosophie unterhalten. Der Trainer ist die entscheidende Figur und möchte offensiv spielen. Er kennt aber auch meine Meinung.

Also doch, Sie würden ein besseres Gefühl haben, wenn die Mannschaft defensiver ausgerichtet wäre?

Nein. Noch einmal: Ich bin ein Offensivspieler und ich will Tore schießen. Wichtig war jetzt, dass wir die Defensive gestärkt haben. Vor vier Jahren, als ich zum FC Bayern wechselte, habe ich mehr geschimpft, weil ich mich gewaltig umzustellen hatte. Davor in Leverkusen spielte ich ganz anders, weitaus offensiver. Da haben wir mehr Risiko gespielt. Die Abwehr stand und das konnten wir ausnutzen. Das war für unser Spiel prägend damals. Diese Sicherheit haben wir in der Nationalmannschaft jetzt noch nicht.

Sie sind Kapitän dieser Mannschaft. Wie sehr ist das Ihre Mannschaft?

Was heißt meine Mannschaft? Ich bin vor zwei Jahren Kapitän einer sehr jungen Mannschaft geworden. Ich habe mein Bestes gegeben, die Mannschaft voranzubringen. Klar, wenn man gut abschneidet, wenn man gute Spiele macht, dann sieht man, dass es vorangeht. Man sieht: diese Mannschaft entwickelt sich, es funktioniert. Das ist schön zu sehen. Aber es ist ein hartes Stück Arbeit. Das geschieht nicht von heut’ auf morgen. Und genau das, was ich damals prophezeit habe, ist ja auch eingetreten. Anfangs war alles euphorisch. Wenn ich nur an das erste Spiel gegen Brasilien denke. Die Jungs kamen schnell nach oben. Und ich habe gesagt: wartet ab, wenn die Jungs ein Jahr dabei sind, wenn der Alltag einkehrt, und wenn die Erwartungen steigen. Nach dem Confed-Cup ging es spielerisch und von der Begeisterung nach unten. Das war vorhersehbar. Es war klar, dass es schwer werden würde, diesen Stand, diese Begeisterung zu halten. Die Normalität kehrte ein. Aber genau dann setzt sich Qualität durch. Und da haben wir im Vergleich zu einigen großen Mannschaften noch Defizite. Aber vielleicht täusche ich mich ja. In diesem Fall sehr, sehr gern.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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