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Sport: „Wir Schweizer sehnen uns nach dem Meer“

Der Chefredakteur der Zeitschrift „Mare“, Nikolaus Gelpke, über das Fernweh seiner Landsleute und die Präzision des Segelteams Alinghi

Herr Gelpke, wann waren Sie zum ersten Mal am Meer?

Ich war sechs Jahre alt, als mich meine Mutter mit ans Mittelmeer nahm. Von der Schweiz aus ist das ja nicht so weit. Als ich die Wellen sah, bin ich sofort reingetaucht und habe ein paar Seesterne hochgeholt.

Und Sie hatten keine Angst?

Nein, andere Kinder hatten Angst. Ich fühle mich wohl im Wasser. Wenn ich tauche, entspanne ich. Da gehen meine Atemfrequenz und der Puls runter – wie bei einem Delfin. Wussten Sie, dass viele Schweizer tauchen? Bei uns gibt es unheimlich viele Tauchschulen. Und der Schweizer Jacques Piccard ist mit seinem UBoot 10916 Meter tief getaucht – das hat sonst keiner geschafft.

Herr Gelpke, Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass Ihr Land was mit dem Meer zu tun hat. Die Schweiz ist ein Binnenland.

Na, hören Sie mal. Das Schweizer Team Alinghi gewinnt gerade den America’s Cup der Segler. Wir haben ein ganz besonderes Verhältnis zum Meer. Bei uns wurde der Tauchcomputer erfunden. Und bis in die Achtzigerjahre hinein gab es weltweit nur zwei Tauchtabellen: eine von der US Navy und eine vom Schweizer Professor Bühlmann. Ohne uns wäre Tauchsport gar nicht möglich.

Dass die Schweizer Tabellen und Computer erfinden, ist nicht so überraschend. Aber was ist mit der Liebe zum Meer, mit dem romantischen Gefühl?

Natürlich sind uns die Berge näher. Wir sind nicht so verrückt nach Wasser wie die Neuseeländer. Wir sind Skifahrer. Als ich in die Schule ging, fiel der Unterricht aus, wenn es ein wichtiges Abfahrtsrennen gab. Da haben wir uns vor einen Fernseher gesetzt und Sport geguckt. Aus den Medaillen beim Skifahren oder Bobrennen haben die Schweizer ihre nationale Identität gezogen. Sonst haben wir nicht so viel für unsere Identität.

Die Uhren…

Gut, die Uhren. Aber die vermitteln kein Gemeinschaftserlebnis. Sport kann das Selbstbewusstsein einer Nation anheben, besonders einer kleinen wie unserer.

Deshalb werden Sie jetzt, da Alinghi Rennen um Rennen gewinnt, eine Nation von Seglern?

Auch wenn Sie das nicht glauben: Wir Schweizer haben uns schon immer für das Segeln interessiert. Die Genauigkeit, die man braucht, ein solches Schiff schnell zu steuern, fasziniert uns. Diese Akribie – das können wir. Gegen unsere Präzision sind die Deutschen doch Schlümpfe. In der Schweiz kommt die Bahn immer pünktlich.

Heißt das, dass die Schweizer gar nicht aus Liebe zum Meer segeln sondern aus Liebe zur Genauigkeit?

So will ich das nicht sagen. Wir sehnen uns auch nach Wasser. Schließlich ist unsere Nation in der Enge der Berge aufgewachsen. Unsere Landsleute zieht es in die Ferne. Überall wo man hinkommt in der Welt, trifft man Schweizer.

…und Deutsche.

Ja, aber wir sind viel internationaler, gerade wegen unserer schwachen nationalen Identität. Wir haben viele Anglizismen in unserer Sprache. Beim Fußball heißt der Elfmeter nicht Elfmeter, sondern Penalty. Eine Ecke heißt Corner und ein Torwart nennt sich Goalie. Bevor ich nach Deutschland kam – das war vor 20 Jahren –, wusste ich gar nicht, was das Wort Torwart bedeutet.

Aber wenn die Schweizer so weltmännisch sind, warum wollen dann 56 Prozent der Einwohner nicht das Meer gegen die Berge eintauschen? Ihre Zeitschrift „Mare“ hat diese Umfrage doch selbst veröffentlicht.

Das war ja eine sehr provokante Frage. Wir brauchen nun mal die Berge. Was würde uns bleiben, wenn das Matterhorn weg wäre? Ich finde eher erstaunlich, dass ein Drittel der Schweizer die Berge eintauschen würde. Daran erkennt man, dass sich viele nach dem Meer sehnen.

Warum hat „Mare“, die Zeitschrift der Meere, eine Ausgabe über die Schweiz gemacht?

Drei der vier Gründer der Zeitschrift sind Schweizer. Wir haben uns gefragt: Wie kommen wir Schweizer zum Meer? Scherzhaft haben wir geantwortet: Wir fahren hin. Aber je länger wir nachdachten, desto mehr Verbindungen zum Meer fanden wir.

Zum Beispiel die Schweizer Hochseeflotte...

Ja, das ist erstaunlich. Seit den Vierzigerjahren haben wir eine Hochseeflotte. Die sollte damals Nahrungsmittel besorgen. Noch heute fahren viele Schiffe unter Schweizer Flagge – auch das beste Segelschiff der Welt.

Wenn die Alinghi den America’s Cup tatsächlich gewinnt, dann darf die Schweiz die nächste Segelregatta austragen. Auf welchem See wollen Sie das eigentlich machen?

Nun, der Genfer See wäre etwas geeigneter als der Züricher See. Er ist einfach größer. Aber ich denke, wir werden ans Mittelmeer gehen. Ein Rennen vor St. Tropez oder Cannes hätte sicherlich Glamour. Denn neben der Präzision und dem Fernweh mögen wir Schweizer vor allem eins: Geld.

Das Gespräch führte Robert Ide.

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