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Sport: „Wir waren magisch“

Italiens früherer Stürmer Paolo Rossi über den WM-Titel 1982 und die Rivalität mit Deutschland

Herr Rossi, träumen Sie heute noch von Ihrem Finalsieg 1982 gegen Deutschland?

(Lacht) Nein, das wirklich nicht! Es sei denn, das Fernsehen zeigt wieder einmal die Szenen von unserem WM-Sieg.

Was ist Ihnen von dem Turniersieg besonders in Erinnerung geblieben?

Das Schönste in meiner Erinnerung ist die Harmonie innerhalb der Mannschaft. Wir sind heute noch Freunde, das ist im Fußball eher die Ausnahme.

Der Weg ins Finale war ganz schön beschwerlich. Wann haben Sie erstmals an den Weltmeistertitel geglaubt?

Eindeutig nach dem 2:1 in der Finalrunde gegen Argentinien. Argentinien war amtierender Weltmeister, und in der Mannschaft strahlte bereits der Stern des jungen Diego Maradona. Aus diesem Sieg haben wir unser Selbstvertrauen geschöpft. Plötzlich sprach niemand mehr von der blamablen Vorrunde.

Wenn Enzo Bearzot nicht Nationaltrainer gewesen wäre, wären Sie gar nicht für die WM nominiert worden. Sie waren fast zwei Jahre lang wegen des Wettskandals gesperrt, weil Sie 1978 an einer Spielmanipulation zwischen Ihrem Klub AC Perugia und Avellino beteiligt waren. Was haben Sie Bearzot zu verdanken?

Ich verdanke Enzo Bearzot alles. Wenn ein anderer die Nationalmannschaft trainiert hätte, wäre meine Karriere mit dem Wettskandal unrühmlich zu Ende gegangen. Bearzot war für mich nicht nur einer der besten Trainer der Welt, sondern auch menschlich ein Vorbild.

Sie haben ihm das Vertrauen dadurch zurückgezahlt, dass Sie im Alleingang Brasiliens Wundermannschaft aus dem Turnier geworfen haben.

Es war einfach mein Spiel, das wichtigste meiner Karriere. Ich habe die drei Tore geschossen, mit denen wir am Ende 3:2 gewonnen haben. Nach diesen 90 Minuten waren alle Fehler, die ich gemacht hatte, wie ausgelöscht – und das vor den Augen der ganzen Welt.

Im Finale trafen Sie dann auf Deutschland. Beflügelte Sie die alte Rivalität zwischen Deutschland und Italien?

Ich erinnere mich, dass wir sehr konzentriert waren und gegen eine gefürchtete Mannschaft spielten. Wir wussten aber auch, dass uns keine andere Mannschaft gewachsen war. Wir spielten wie in Ekstase. Wir waren einfach magisch.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Deutschland und den Deutschen?

Eigentlich kein Besonderes. Ich habe zwar den deutschen Fußball stets respektiert, bin aber auch mit dem 4:3-Halbfinalsieg von Mexiko 1970 aufgewachsen. Ich wusste, dass Italien die Deutschen in wichtigen Spielen immer geschlagen hatte. Auf dieses Gesetz der Serie haben wir im Finale vertraut.

Man sagt, die Deutschen lieben die Italiener, aber sie schätzen sie nicht. Umgekehrt schätzen die Italiener die Deutschen, aber sie lieben sie nicht. Gilt das auch für Sie?

Das stimmt. Natürlich bin ich froh, dass Deutschland nur wenige Male gegen Italien gewonnen hat. Und das sagt viel über das Verhältnis dieser beiden Länder aus. Wenn wir gegen Deutschland spielen, wachsen wir regelmäßig über uns hinaus. Und das können die Deutschen überhaupt nicht haben.

Karlheinz Förster war im Finale Ihr Gegenspieler. Im Verhältnis zu ihm waren Sie mit ihren 66 Kilogramm und 1,74 Meter Körpergröße fast ein Winzling.

Er war ein Ausnahmevorstopper. Als Spieler war er zwar hart, aber immer sehr korrekt. Ich habe gegen ihn gespielt und wusste sofort, dass ich ein großes Spiel machen würde.

Der deutlich größere Karlheinz Förster konnte Sie auch nicht daran hindern, die wichtige 1:0-Führung einzuköpfen.

Das war das wichtigste Tor meiner Karriere. Als Claudio Gentile von der rechten Seite in den Strafraum flankte, war ich Förster um eine Zehntelsekunde voraus. Ich startete, bevor Gentile überhaupt geflankt hatte. Ich hechtete in den Ball und nutzte meinen Vorteil: meine Schnelligkeit.

Die deutsche Mannschaft machte noch einen anderen Fehler. Die Spieler zeigten sich in den Interviews zuvor sehr siegessicher. War das damals Arroganz?

Mit Worten kann man nicht viel gewinnen. Sie haben versucht, uns damit einzuschüchtern. Aber das ging gehörig daneben. Gegen uns war in dieser Zeit kein Kraut gewachsen. Wir strotzten vor Selbstbewusstsein und wussten, dass wir den Sieg in der Hand hatten.

Der italienische Staatspräsident Sandro Pertini, der auf der Ehrentribüne frenetisch jeden Treffer der „Azzurri“ feierte, erfuhr durch den Sieg gewissermaßen eine späte Genugtuung. Der Antifaschist hatte während des Zweiten Weltkrieges auch gegen die deutschen Besatzer gekämpft und dafür im Gefängnis gesessen. Den Finalsieg gegen Deutschland bezeichnete er als den schönsten Moment seines Lebens. Wie sehen Sie diesen Zusammenhang?

Pertini war zu seiner Zeit in der Welt ein Symbol des aufrichtigen und ehrlichen Italiens. Bei diesem Spiel war er zwar ein Tifoso wie jeder andere auch. Doch gleichzeitig wurde Pertini zum Symbol für unseren WM-Sieg.

Das Gespräch führte Vincenzo Delle Donne.

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