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Als der Kaiser noch Kaiser war: Franz Beckenbauer während der WM 2006.

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WM 2006 im Zwielicht: Der Kaiser dankt ab

Die WM 2006 war ein Ereignis der Weltläufigkeit und der Leichtigkeit, das ein neues Deutschlandbild schuf. Die Frage, wie das Märchen Wahrheit werden konnte, wurde im Moment des Glücks lieber nicht gestellt. Ein Kommentar.

Als das Leben leicht war wie ein Fußball, da merkte Deutschland zum ersten Mal, was es wirklich an sich haben kann, wenn es die weite Welt an sein enges Herz lässt. Als der Ball endlich rollte bei der WM 2006, die bis zur Freundlichkeitskampagne für Berlins Grummel-Taxifahrer gründlichst vorbereitet worden war, da fand das Land in seiner Mitte ein Idol, das die Welt des Fußballs schon hatte: Franz Beckenbauer, den nonchalanten Weltreisemeister und Allesgewinner, der mit dem Ball genauso umzugehen vermochte wie mit Politik, Macht und Geld. Mit dem Flugzeug jettete der WM-Chef um den Globus als Deutschlands lässig gebräuntes Gesicht, mit dem Hubschrauber schwebte er dann beim Turnier zwischen den Stadien, um alle Spiele zu sehen, alle Autogramme zu schreiben, alle wichtigen Hände zu schütteln – und flog dem damals schon verhassten Fifa-Präsidenten Joseph Blatter davon. Franz Beckenbauer war ein Spiegelbild der Sehnsucht nach einem leichteren Deutschland und nach einem doch noch ehrlichen Fußball. Jetzt, zehn Jahre später, ist der Spiegel zu Boden gefallen.

„Der Fußball braucht eine generelle Reinigung. Man sollte über die Grenze des Geldverdienens reden.“ Das sagte Franz Beckenbauer im Tagesspiegel-Interview im Juni 2006 pünktlich zum Turnierstart und löste im Fußball-Weltverband eine Selbstrechtfertigungskrise aus. Heute nun, in seinem auch von gesundheitlichen und privaten Rückschlägen begleiteten Ruhestand, gerät Beckenbauer selbst in diese Krise. Und Deutschland muss sich an eine Gewissheit gewöhnen, die es trotz mancher Ahnung nicht wahr- haben wollte: Das Sommermärchen vom hehren Land, das den Fußball und sich selbst leichter macht, ganz ohne Gemauschel – das war auch ein Märchen.

Beckenbauers alte Sätze aus der Traumwelt des Fußballs wirken heute merkwürdig

5,5 Millionen Euro hat Beckenbauer für seine Dienste erhalten, wie man jetzt weiß. Verdient hätte er das womöglich für seine Arbeit, aber die ehrenamtliche Erzählung vom aufopferungsvollen Franz, der sich vom Arbeiterbolzplatz in München-Giesing bis auf die Vip-Tribüne der Welt beim WM-Finale hochgearbeitet hatte, ging anders als die wahre Geschichte von Beckenbauer. In ihr war und ist Fußball nicht mehr als eine Ware, erst recht nicht weniger. Der Deal wurde abgewickelt über einen Marketingvertrag mit einem Staatssponsor und verheimlicht – einem Land, das unbedingt an das Gute in ihm und in sich glauben wollte. Inzwischen läuft wegen dubioser Zahlungen im Zuge der WM-Bewerbung auch ein Strafverfahren gegen Beckenbauer wegen des Verdachts auf Betrug und Geldwäscherei. Genau deshalb wirken seine alten Sätze aus der Traumwelt des Fußballs heute so merkwürdig unwürdig: „Dass jeder die Hand aufhält, das macht mich wirklich traurig.“ Was man damals nicht wusste: Franz Beckenbauer wusste es aus erster Hand.

Wenn Idole fallen und Fußballkaiser abdanken, dann verliert die Öffentlichkeit ein Stück freudiger Erinnerung. Die WM 2006 war ein Ereignis der Weltläufigkeit und der Leichtigkeit, das ein neues Bild von Deutschland schuf. Eines, das nach außen leuchtete und nach innen einte. Nur dass die Weltmeisterschaft nicht leicht zu bekommen war in einer korrupten Funktionärswelt. Die Frage, wie das Märchen Wahrheit werden konnte, wurde im Moment des Glücks lieber nicht gestellt. Deutschland hat es sich allzu leicht gemacht. Wie Beckenbauer.

Es war einmal ein Kaiser Franz.

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