zum Hauptinhalt
Mit dem Ausscheiden der spanischen Mannschaft endet eine Ära des Weltfußball.

© dpa

WM 2014: Aus für Spanien: Tiki-Taka – was war das doch gleich?

Spanien hatte gehofft, es möge noch mal klappen mit den alten Helden. Doch im Fußball ist kein Platz für Illusionen und Glück ist ein vager Parameter. Mit dem jähen WM-Aus endet nun die wohl größte Ära im Weltfußball.

Wie so da zum Bus schlichen, später am Abend, als die Chilenen sich feiern ließen, da wirkte es beinahe so, als hätten sie alle für sich gerade ihren eigenen Nachruf verfasst. „Wir hatten nicht die Gier, die man für den Erfolg braucht“, sagte Xabi Alonso. Iker Casillas bat um „Verzeihung bei allen, die ans uns geglaubt haben“. Und Fernando Torres, vor zwei Jahren noch Torschützenkönig bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, sprach stellvertretend für den selbst vorgetragenen Abgesang den Satz: „Es ist eine große Generation, die geht!“

War das wirklich Spanien? Das stolze Spanien, der Doyen des internationalen Fußballs, Regent über sechs lange Jahre, beginnend mit dem Europameistertitel 2008 in Wien, im Zenit 2010 beim Gewinn der Weltmeisterschaft in Johannesburg, noch einmal überraschend mit dem erneuten Aufstieg auf Europas Thron in Kiew? Die Mannschaft, die den Fußball revolutioniert hatte mit dem Tiki-Taka, dem verwirrend schnellen und einfach nicht zu entschlüsselnden Kurzpassspiel?

Ein Schatten namens Spanien

Was da am Mittwoch in Rio auftrat, war nur ein Schatten namens Spanien. Eine Mannschaft, die nur noch der Überlieferung wegen den Kampfnamen „Furia roja“ trug, die rote Furie. Das wilde und unbezähmbare Rot fand sein Symbol in den rot gewandeten Fans aus Chile, die erst das Maracana erzittern ließen und später das Nachtleben von Rio. Spanien hat in dieser Nacht mehr verloren als nur ein Fußballspiel. Es hat ein bisschen den Glauben an sich selbst verloren und noch mehr die Illusion, die schöne Vergangenheit möge sich konservieren lassen für einen längeren Zeitraum, sich ja vielleicht zu einer dauerhaften Herrschaft auswachsen.

Spanien gab sich auf, erst auf dem Rasen des Maracana und später in der Nachbereitung dieser 0:2-Niederlage im zweiten WM-Vorrundenspiel gegen Chile. „Nie hätte ich das erwartet“, sprach der Trainer Vicente del Bosque. Er suchte keine Ausflüchte. „Wir müssen jetzt sehen, was das Beste für den spanischen Fußball ist. Und selbstverständlich geht es dabei auch um mich.“ Del Bosque hatte darauf vertraut, es möge noch einmal werden. Mit Xavi Hernandez, Iker Casillas, Xabi Alonso, Fernando Torres oder Andres Iniesta. Ihnen verdankt Spanien die größten Momente seiner Fußballgeschichte. Und mit ihnen erlebte es jetzt in Brasilien einen Absturz, wie ihn die Fußball-Welt noch nicht erlebt hat.

Spanien galt als die gefährlichste Mannschaft aus Europa

Auch Italien ist 2010 als Weltmeister gescheitert und Frankreich 2002. Aber weder Italien noch Frankreich standen für eine Dynastie, für eine Mannschaft, die über eine kleine Ewigkeit hinweg unschlagbar schien und über drei große Turniere hinweg die Welt beherrschte. „Spanien war eine große Mannschaft und hat große Titel gewonnen. Aber diese Generation konnte den Erfolg nicht halten. Das ist normal, denn der Erfolg ist nie für immer“, referierte Chiles Trainer Jorge Sampaoli.

Am ehesten lässt sich die spanische Erdung vielleicht vergleichen mit der Brasiliens 1966 in England. Doch der zweimalige Weltmeister war damals aus dem Turnier getreten worden, er hatte eine selbstgefällige Mannschaft aufgeboten und die Konkurrenz nicht ernst genommen. Nichts davon trifft zu auf den Fall Spanien. Ja, Xavi Hernandez, der Comandante vom FC Barcelona, ist in die Jahre gekommen, aber Arroganz oder gar Überheblichkeit ist das Letzte, was mit ihm in Verbindung zu bringen ist. Casillas und Alonso haben gerade erst mit Real Madrid die Champions League gewonnen, Torres mit Chelsea immerhin das Halbfinale erreicht.

Das Glück ist ein vager Parameter

Spanien galt bei fast allen Experten als die europäische Mannschaft, die den Lateinamerikanern in Brasilien hätte gefährlich werden können. Und nun das: zwei Niederlagen in zwei Spielen, ein Tor geschossen und sieben kassiert, fünf mehr als während der gesamten WM 2010 in Südafrika. Del Bosque suchte nach dem Debakel von Maracana nicht nach Entschuldigungen, er fand auch keine Erklärungen, aber er präsentierte Symptome. Es waren dies: zwei völlig missratene Halbzeiten. Die zweite im ersten Spiel gegen die Niederlande und die erste im zweiten Spiel gegen Chile. Diese Diagnose trifft zu, und sie deutet auch darauf hin, dass es mit ein wenig Glück auch ganz anders hätte laufen können.

Aber das Glück ist ein vager Parameter, auf den sich keine große Mannschaft verlassen sollte. Aber, gewiss, es gab da eine wegweisende Szene in diesem ersten Spiel gegen die Niederländer, die Spanier hatten es zunächst dominiert und mit einer 1:0-Führung ausgestaltet. Es war diese erste Halbzeit schon fasst passé, da lief David Silva ganz allein auf das Tor zu, er hatte alle Möglichkeiten der Welt und entschied sich für einen Chip hinweg über den Torwart, irgendwo zwischen Eleganz und Arroganz.

Ein zweites Tor hätte die Niederländer schwer getroffen und ein Comeback wahrscheinlich unmöglich gemacht. Der niederländische Torwart Jesper Cillessen wehrte den Ball ab. Statt einer spanischen Führung kam es zum 1:1-Ausgleich und in der Folge zu einem niederländischen 5:1-Sieg. Es war der Anfang vom Ende. Der lächerlich gemachte Weltmeister war ein paar Tage später ein dankbares Opfer für die wilden Chilenen. Der Fußball hat ein schlechtes Gedächtnis, und wer wollte in der Nacht zum Mittwoch noch die spanischen Verdienste würdigen? Ja, das Gedächtnis des Fußballs ist kurz. Tiki-Taka – was war das doch gleich?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false