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Da staunen sogar die deutschen Spieler. Gegen Brasilien gelingt der Mannschaft von Joachim Löw alles.

© AFP

WM 2014: Das Wunder von Belo Horizonte: Deutschland nach 7:1-Sieg gegen Brasilien im WM-Finale

So etwas hat man lange nicht gesehen. Die deutsche Mannschaft spielt sich gegen den Gastgeber Brasilien in einen Rausch und trifft im Halbfinale sieben Mal. Nun fehlt noch ein Sieg zum ersten WM-Titel seit 24 Jahren.

Lukas Podolski sicherte sich schon in der Pause einen Spielball. Das Ding könnte einmal ziemlich wertvoll werden. Auf den Tag genau 24 Jahre, nachdem die deutsche Nationalmannschaft ihren dritten WM-Titel gewonnen hat, hat sie erneut Geschichte geschrieben. Der 8. Juli 2014 wird als kaum weniger historisch in die Historie des Deutschen Fußball-Bundes eingehen als der 8. Juli 1990 – auch wenn er der Nationalmannschaft noch nicht den Titel bescherte. Nach dem Halbfinale gegen den WM-Gastgeber Brasilien besteht jedoch die berechtigte Hoffnung, dass das Warten am Sonntag im legendären Maracana ein Ende haben könnte. Ihr Auftritt gegen die Brasilianer zählt schon jetzt zu den Sternstunden der WM-Geschichte. Vor 57.000 Zuschauern deklassierte die Nationalmannschaft den Rekordweltmeister mit 7:1 (5:0). 

"Ein bisschen Demut tut jetzt auch gut. Wir wollen nicht überbewertet sein", meinte der Bundestrainer Joachim Löw. Sein Chef Wolfgang Niersbach war da schon deutlich euphorischer: "Sensationell, märchenhaft, das ist alles zu schwach. Das war heute etwas Historisches. Jetzt wollen wir natürlich auch noch den letzten Schritt machen", sagte der DFB-Präsident im ZDF.

Nach zwei vergeblichen Versuchen 2006 und 2010, als sie jeweils im Halbfinale am späteren Weltmeister scheiterten, haben die Deutschen es wieder ins WM-Endspiel geschafft – zum insgesamt achten Mal. Der Gegner wird am Mittwoch zwischen Holland und Argentinien ermittelt. Wenn die Deutschen am Sonntag in Rio de Janeiro aber nur annähernd so zu spielen vermögen wie am Dienstag vor der Pause in Belo Horizonte, sollte der Traum vom vierten WM-Titel endlich wahr werden. Schon nach 30 Minuten führte das Team von Bundestrainer Joachim Löw mit 5:0. Nie zuvor hat eine Mannschaft bei einer Weltmeisterschaft in der ersten halben Stunde fünf Tore erzielt. Allein zwischen der 23. und der 29. Minute trafen die Deutschen vier Mal. 

Deutschland spielte mit mehr Mumm, mehr Witz, mehr Entschlossenheit

Mit den personellen Umstellungen in der Selecao war das Ergebnis allein nicht zu erklären. Natürlich fehlten der verletzte Neymar und Abwehrchef Thiago Silva. Der gesperrte Kapitän umarmte jeden seiner Kollegen vor dem Anpfiff noch einmal und kämpfte anschließend wieder vergeblich mit den Tränen. Nach einer halben Stunde wurde auch auf den Rängen hemmungslos geweint – weil sich der Traum vom sechsten WM-Titel für Brasilien längst verflüchtigt hatte. Die Gastgeber, erstmals mit dem Münchner Dante in der Startelf, taumelten über den Platz wie ein Mückenschwarm, der in einen Schwall Insektenspray geflogen ist. 

Die Nationalmannschaft spielte in derselben Formation wie im Viertelfinale gegen Frankreich – und trat doch ganz anders auf. Mit mehr Mumm, mit mehr Witz, mit mehr Entschlossenheit und vor allem mit Dominanz im Mittelfeld. So überzeugend wie gestern hat man Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger bei dieser WM noch nicht gesehen. Nur in den ersten Minuten schienen die Deutschen ein wenig eingeschüchtert zu sein von der Wucht der Gastgeber. Sie verloren zu schnell den Ball. In echte Gefahr gerieten sie trotzdem nicht. Ein Weitschuss von Außenverteidiger Marcelo in der dritten Minute sollte für lange Zeit die letzte Offensivaktion der Brasilianer bleiben. 

Nach zehn Minuten schlug das Spiel eine Richtung ein, mit der wohl niemand gerechnet hatte. Die erste Ecke der Deutschen schloss Thomas Müller mit seinem fünften Turniertreffer zum 1:0 ab. Es war inklusive dem Elfmeter gegen Portugal das sechste Tor der Deutschen nach einem Standard. Doch während sie bisher von ihrer guten Trainingsarbeit profitiert hatten, leisteten die Brasilianer diesmal freundliche Amtshilfe. Niemand kümmerte sich um Müller, der Münchner stand völlig frei und konnte die Hereingabe von Toni Kroos unbedrängt ins Tor schießen. 

Die Defensivarbeit der Brasilianer war auch in der Folge nicht von allzu großer Schlauheit geprägt. Vor dem 2:0 konnte Toni Kroos unbehelligt auf Müller passen, der mit der Hacke auf Miroslav Klose ablegte. Deutschlands Stürmer brauchte zwei Versuche, ehe er Julio Cesar im brasilianischen Tor überwunden hatte. Es war der nächste Schlag für den brasilianischen Fußball. Durch seinen 16. Treffer ist Klose nun vor Ronaldo alleiniger Rekordtorjäger der WM-Geschichte. 

Miroslav Klose ist mit 16 Toren nun WM-Rekordtorschütze - vor Ronaldo

Das 2:0 war der Beginn einer Phase, wie man sie so aufregend auf diesem Niveau selten erlebt. Bei den Deutschen war nun jeder Schuss ein Treffer. Kroos traf nach Flanke von Philipp Lahm zum ersten Mal und legte gleich darauf nach, nachdem Fernandinho vor dem Strafraum den Ball verstolpert hatte. Den fünften Treffer erzielte der starke Khedira nach Vorarbeit von Mesut Özil. Das alles ging unglaublich einfach. 

Felipe Scolari, der 2002 mit der Selecao gegen Deutschland die Weltmeisterschaft gewonnen hatte, brachte zur zweiten Hälfte Ramires und Paulinho für Hulk und Fernandinho. Bei den Deutschen ersetzte Per Mertesacker Mats Hummels in der Innenverteidigung, die nun etwas stärker gefordert wurde. In den ersten Minuten nach der Pause hatten die Brasilianer einige gute Chancen. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, als wollten die deutschen Feldspieler ihrem Torhüter auch die Gelegenheit geben, in diesem Spiel ein bisschen zu glänzen. Das tat Manuel Neuer, vor allem als er gegen Paulinho gleich zweimal aus kürzester Distanz rettete. 

Der Schwung der Brasilianer ließ jedoch schnell wieder nach, die Deutschen hingegen konnten gar nicht genug bekommen. André Schürrle, für Klose eingewechselt, erhöhte mit seinen Turniertoren zwei und drei auf 7:0. Anschließend schüttelte er seine Hand, als hätte er an eine Herdplatte gefasst. So heiß wie diesmal hat man die deutsche Nationalmannschaft noch nie erlebt. Daran änderte auch das Ehrentor für Brasilien von Oscar kurz vor Schluss nichts mehr.

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