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Das Bild der Deutschen im Ausland hat sich durch die Nationalelf verbessert. Selbst auf entlegenen Inseln schlägt einem Sympathie entgegen.

© picture alliance / dpa

WM 2014: Der deutsche Fußball wird endlich geliebt

Die Metapher von den deutschen Panzern ist Vergangenheit, heute klingt das "Oh, Germany" wie eine liebevolle Hymne. Unser Autor traf in Brasilien Deutschlandfans aus aller Welt – sogar aus England.

Paul war Engländer. Man erkannte das schnell. An seinem sehr britischen Englisch und an seinem sehr britischen Trinkverhalten. Paul trank Bier. Und in den Bierpausen trank Paul Caipirinha. Nach der vielleicht dritten Bierpause umarmte er mich und sagte: Es ist für uns so schwer geworden, euch zu hassen.

Mit uns meinte Paul, der Engländer, sich und die Engländer. Mit euch meinte er mich und die Deutschen. Pauls Ansprache war, wie es sich für Kneipenabende gehört, die langsam beginnen und dann in Völkerverständigung enden, die Umarmung des Globalen. Für ihn waren wir dort, an dieser Bar, gleich auch Botschafter unseres Landes. Klassische Cachaca-Diplomatie, auf deren Höhepunkt Paul, Investmentbanker aus London, irgendwann sagte: Ich liebe die Deutschen. Und mit den Deutschen meinte er nicht mehr mich, meinte er nicht mal mehr die Deutschen an sich. Sondern die deutsche Nationalmannschaft, die wenige Stunden zuvor die USA mit 1:0 geschlagen hatte.

Und ich brauchte eine Bierpause lang, um das wirken zu lassen, um zu begreifen, dass sich da vielleicht tatsächlich etwas verändert hat. In der Wahrnehmung des Deutschen, der Deutschen. Weil Paul nicht der erste war, nicht in dieser Bar und nicht mal an diesem Abend, dessen Blick sich verklärte, als er merkte, dass ich aus Deutschland kam.

Oh, Germany, sagten sie. Und es klang wie der Beginn einer Hymne, die gerade erst geschrieben wurde.

Die deutsche Mannschaft, bei Weltmeisterschaften immer schon Favorit, immer auch Feindbild, war hier in Brasilien immer noch Favorit, zum Feindbild aber taugte sie nicht mehr.

Die deutsche Mannschaft taugt in Brasilien nicht mehr zum Feindbild

Das wusste ich im Grunde seit 2006, seit den Sommermärchentagen der WM in Deutschland. Und erst recht seit 2010, als die Mannschaft in Südafrika, neu, tänzelnd, den deutschen Rucksack, der so schwer wiegen kann, einfach abstreifte. Selbst, am eigenen Leib, erfuhr ich es jedoch erst auf einer Insel im Atlantik. Wenige Seemeilen nur vor der brasilianischen Küste. Durch Paul, aber eben nicht nur.

Eigentlich war ich auf diese Insel gekommen, um dem Fußball zu entfliehen. Nach einer Eröffnungswoche in Sao Paulo und einer weiteren in Rio de Janeiro, im Menschenstau der Copacabana, war ich müde geworden vom Vorüberziehen der Städte. Kurze Pause, zu den Achtelfinals wollte ich zurück sein. Doch auf der Insel wurde die Weltmeisterschaft, die Euphorie der Völker, oben nur Sonne, drumherum nur Ozean, wie unter einem Brennglas verdichtet. Und die Insel selbst zur Miniatur einer Welt, ein Babel auf wenigen, mit Regenwald bewachsenen, von Stränden umgebenen Quadratkilometern.

Weil alle dort waren. Engländer, Australier, Belgier. Dazu Chilenen, Franzosen und US-Amerikaner. Sie bevölkerten diese Insel, auf der es weder Autos gab noch einen Geldautomaten, und Internet nur an ständig wechselnden Strandabschnitten zu ständig wechselnden Tageszeiten.

Hin und wieder fiel der Strom aus, weshalb sich alle, die auch weiterhin WM schauen wollten, in einer Bar trafen, die das richtige Caipirinha-Stromausfall-Verhältnis bot. Das hieß, die Drinks hielten dort so lange wie das Bild. Und das war, bitteschön, mehr, als man erwarten konnte.

Die Insel ist nun ein Ort, an dem man erst einmal sich selbst, dann aber auch die anderen aushalten muss. Weil es unmöglich ist, sich aus dem Weg zu gehen. Eine Insel ist ein Verdichtungsort. Intimbuildingmaßnahme unter Palmen.

Und eine solche Bar auf einer solchen Insel ist dann erst recht eine Begegnungsstätte, an der es nur zwei Fragen gibt: Woher kommst du? Und: Was trinkst du? Die Reihenfolge ist dabei egal, beides bringt das Gespräch gleichermaßen in Gang.

Wobei die erste, schon immer die weitaus schwierigere war, für mich als Deutschen.

Man läuft als Deutscher in der Fremde immer ein bisschen gebückter

Man läuft als Deutscher, den schon erwähnten Rucksack auf den Schultern, in der Fremde immer gleich ein bisschen gebückter, fühlt sich bei der Frage nach dem Woher sofort ertappt. Und spricht den Ort der Geburt dann aus wie eine Entschuldigung. Denn Deutsch, das sind Männer, die sich selbst Schlachtenbummler nennen. Männer mit Gesichtern aus Schweinsleder. Landsleute, wie das schon klingt.

Wenn man als Fußballanhänger Deutschland brüllt, brüllt man eben auch immer in das Echo der Geschichte. Das vermischt sich dann. Auch mit den Klischees. Disziplin und Ordnung. Sie eilten lange voraus, rollten voran, die Vorhut humorloser Panzer. Und Fußball wurde, vor diesem Hintergrund: Stellvertreterkrieg. Blitzkriegableiter.

Hier aber, auf der Insel, war alles anders.

Ich sagte: Deutschland. Und die anderen lächelten, holten mich an ihren Tisch. Die Chilenen, die Honecker nicht kannten, dafür aber Löws Startelf auswendig wussten. Sie riefen: Klosy, riefen: Esweinsteiga, riefen Goethe und meinten Goetze, riefen sogar: Mattsucker. Als wären das die neuen Grußformeln eines ganz neuen Esperanto.

Während des Spiels gegen die USA saßen einige Männer in Deutschland-Trikots unter dem Zeltdach der Bar, keiner von ihnen war Deutscher. Sie waren aus Chicago, Tel Aviv, aus London.

Und dort saß auch ein halbes Dutzend Australier. Sie kamen aus Brisbane und hielten Gott für einen Deutschen , den die Deutschen einmal Mozart genannt hatten. Sie liebten den deutschen Fußball, weil sie Thomas Broich liebten.

Schweinsteiger mochten sie auch, aber Thomas Broich hatte ihnen zwei Meisterschaften geschenkt. Und im Grunde war das auch egal, weil die Verneigung vor Broich die Verneigung war vor einem deutschen Fußball, dessen Versprechen dieser Broich einmal war. Ein Versprechen auf das schöne Spiel, eingelöst schließlich, mit der Verzögerung einer halben Generation, von Kroos, Özil, Müller.

Deutschland hat in den vergangenen Jahren alles richtig gemacht

Paul, der sich irgendwann dazugesetzt hatte, liebte die Deutschen, weil er Arsenal liebte. Also auch Özil, Podolski oder eben jenen Mattsucker. Und weil seine Nationalmannschaft von Wayne Rooney verkörpert wird, was selbst für die Liebe eines Engländers zu wenig ist.

Aber da war noch mehr. Deutschland, sagte Paul, hat in den vergangenen Jahren alles richtig gemacht. England aber alles falsch. Und erzählte dann eine Geschichte, die 2001 begann, mit dem 5:1 der Engländer in München, Heskey und Owen, in Bloemfontain ihren Höhepunkt erreichte, Klose, Müller, und schließlich zurück in die Gegenwart einer brasilianischen Insel führte.

Und heute, sagte Paul, habt ihr diese jungen Spieler. Und wir haben Rooney.

Nachdem er eine kurze Pause gemacht hatte, begann Paul zu singen. Sang ein Lied, das die Engländer oft gesungen haben, wenn sie auf die Deutschen trafen. Weil das dann doch dazu gehört. Kneipenfolklore. Bisschen auch britischer Spaß an der Ironie.

There were Ten German Bombers in the Air.

And The RAF from England Shut one Down.

In diesem Lied also, das mal ein Kinderlied war während des Zweiten Weltkriegs, werden zehn deutsche Bomber von der Royal Airforce abgeschossen. Und es ist nicht schwer, sich vorzustellen, warum gerade diese Strophen ihren Weg auf die Tribünen fanden, als Hymne gegen die fucking Germans.

Wenn da vorne ein Bomber lauert, im weißen Trikot, dann können die anderen neun nicht weit sein.

Einen Müller hat Deutschland noch immer. Er trägt wieder die 13. Er trifft wieder im Fallen.

Ein Deutschland ohne einen Müller, sagte Paul, das wäre ja auch kein Deutschland mehr. Aber der Müller von heute ist ein sehniger Grenzgänger, der auch in einem englischen Pub bei einem Stand-Up-Abend bestehen würde.

Die Lieder von früher, sagte Paul, werden deshalb auch kaum noch gesungen.

Die Bomber, sie sind verschwunden.

Und schließlich sagte Paul noch etwas, an einem Abend, da ein 5:1 in München in den Köpfen unter dem Barzelt noch die größte vorstellbare Demütigung war. Er sagte: Ich glaube, Deutschland wird Weltmeister. Alle Engländer, die ich kenne, glauben das. Und viele hoffen es auch.

Dann bestellte er, der Engländer, noch mehr Bier. Auch, weil sich Klischees eben am besten mit Klischees herunterspülen lassen.

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