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Lionel Messi fehlen nach der Niederlage gegen Deutschland die Worte.

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WM 2014: Deutschland - Argentinien: Lionel Messi blieb die Krönung versagt

Dem Weltstar Lionel Messi bleibt die Krönung versagt. Selten hat jemand den Preis für den besten Spieler der WM so lustlos entgegengenommen. Die Zukunft des Teams ist nun offen, in Argentinien gibt es Ausschreitungen.

Lionel Messi will das jetzt ganz schnell hinter sich bringen. Nichts wie weg hier, raus aus dem Maracana, weg aus Rio de Janeiro und Brasilien. Also marschiert der Kapitän vom Rasen in Richtung Ehrentribüne, wo die Medaillen schon warten – die silbernen, die keiner haben will, wenn er erst mal ein Finale erreicht hat.

Wie so oft ist Messi mit seinen Gedanken und Beinen schneller als alle anderen, in diesem Fall ein bisschen zu schnell. Viel schneller als die Kollegen, sie warten irritiert auf dem Rasen, denn Messi ist noch nicht dran. Vorn bittet ein Anzugträger um Geduld, denn bevor die Verlierer ihre Medaillen bekommen, sind erst mal ein paar Sieger zu ehren. Bester Spieler des Finales, bester Torhüter des Turniers und auch dessen bester Spieler, er heißt – Lionel Messi. Selten hat jemand diesen durchaus begehrten Preis so lustlos entgegengenommen wie an diesem Abend von Rio de Janeiro. Messi lässt den Goldenen Ball knapp über dem Boden baumeln, er erwidert den Gruß des ebenso ausgezeichneten Torhüters Manuel Neuer ohne auch nur die Andeutung von gespielter Freundlichkeit, und ganz unangenehm wird es, als ein dicker Funktionär ihm einen Bruderkuss auf die Wange verpassen will.

Das Schlimmste ist der Weg auf die Ehrentribüne

Noch aber ist das Schlimmste nicht überstanden. Das Schlimmste ist der Weg auf die Ehrentribüne, als die Argentinier dann wirklich die Verlierermedaillen entgegennehmen müssen. Es ist eine Art Spießrutenlauf der Moderne, er führt durch ein Spalier von fröhlichen deutschen Spielern, sie honorieren durchaus ernsthaft die Leistung ihres Gegners, aber wer will schon das Mitleid des Siegers?

Und wer stellt schon persönliche Ehrungen über den Erfolg der Mannschaft, wenn er nicht gerade Cristiano Ronaldo heißt? Später am Abend erzählt Lionel Messi, der Goldene Ball sei ihm egal, „ich wollte Weltmeister werde“. Vor dem Turnier hat er gesagt: „Ich würde alle Rekorde hergeben, um Weltmeister zu werden.“ Messi sieht zwar immer noch aus wie 19, ist aber schon 27 und weiß daher, dass ihm so viele Gelegenheiten nicht mehr bleiben. „Ich fühle Bitterkeit und Traurigkeit. Heute war der Tag“, sagt Messi und dass sie mehr verdient hätten, denn „die klareren Chancen lagen bei uns. Er hatte seine zu Beginn der zweiten Halbzeit, Gonzalo Higuain in der ersten und Rodrigo Palacio in der Verlängerung. Und nun? Javier Mascherano, der großartige Defensivstratege und geborene Kapitän, wäre da nicht die Jahrhundertbegabung Messi, benötigt nur einen Satz zur Ausgestaltung der Zukunft: „Dieser Schmerz bleibt fürs Leben.“

Mascherano ist kurz vor der WM 30 Jahre alt geworden, und auf seiner Position ist die Halbwertzeit eines Fußballprofis überschaubar. Russland 2018? Ist weit weg, für Mascherano zu weit. Die Enttäuschung zu verarbeiten ist das eine Problem, die Motivation für einen neuen Anlauf das nächste. Keiner mag in dieser Nacht darüber reden, wie es weitergeht. Aber alle befürchten sie, dass der Hoffnung gebende und Erfolg verheißende Neuaufbau nach den Rückschlägen der jüngeren, aber auch der gar nicht so jungen Vergangenheit schon wieder beendet ist.

Alejandro Sabella steht nicht für revolutionäre Neuerungen

Lionel Messi fehlen nach der Niederlage gegen Deutschland die Worte.
Lionel Messi fehlen nach der Niederlage gegen Deutschland die Worte.

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Begründet liegt das auch in der Personalie des Trainers. Alejandro Sabella steht nicht im Verdacht, den Fußball mit revolutionären Neuerungen zu segnen. Aber anders als der vor vier Jahren in Südafrika dilettierende Diego Maradona versteht er das Handwerk. Und er hat ein feines Gespür für das Austarieren von Egoismen und anderen Empfindlichkeiten, sie bündeln sich in der Person des Anführers. Lionel Messi ist der Boss auf dem Platz, und Sabella hat ihm wohl das Gefühl gegeben, er nehme diese Position auch in der Kabine ein – ohne dass darunter der mannschaftliche Zusammenhalt gelitten hätte.

Maradona hat auch Messi stets spüren lassen, er müsse erst mal einen Weltmeistertitel gewinnen, um ein wirklich Großer zu werden wie, sagen wir mal, Maradona. Auch die Auszeichnung Messis zum Spieler des Turniers fand nicht den Gefallen der argentinischen Fußballgottheit. Die „Marktschreier“ hätten das gewollt, aber die Auszeichnung sei „ungerecht“, erklärte Maradona. Sabella hat Messi zu verstehen gegeben, er sei jetzt schon mindestens so gut wie Maradona. Die anderen durften sich seiner Wertschätzung ebenso sicher fühlen, aber Sabella vermittelte ihnen die Erkenntnis, auf das allerhöchste Niveau könnte sie nur Messi bringen, wofür dieser wiederum alle Unterstützung benötige.

Schnell wich die Euphorie in der Heimat

Dieses drei Jahre währende Projekt hat Kraft gekostet, Sabella will sie wohl nicht länger aufbringen. In der Nacht von Rio verweigert er sich allen Bekenntnissen, spricht von der „Enttäuschung, unseren Traum nicht vollendet zu haben“. Er lässt sich zur Zukunft nur die Aussage entlocken, sein Engagement gehöre „in den kommenden Tagen meinen Spielern, meiner Familie und der Afa“, dem argentinischen Verband. Das ist ein bisschen wenig, finden die Spieler. Stellvertretend für die Mannschaft formuliert der Stürmer Sergio Aguero den vielsagenden Satz: „Wenn der Trainer jetzt aufhört, bedeutet das für uns einen doppelten Rückschlag.“

Auch in der Heimat wich die Euphorie schnell Enttäuschung und Aggressivität. Die Feiern im Zentrum von Buenos Aires schlugen in Krawalle um, bei denen mindestens 70 Menschen verletzt wurden. Vom Finale, das die Generation Messi doch krönen sollte, blieben in Argentinien nur zertrümmerte Schaufenster, Autos und Verkehrsampeln.

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