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Schwitzen unter Palmen. Die deutschen Nationalspieler hoffen in ihrem Basislager vor allem auf Abkühlung durch eine Meeresbrise.

© dpa

WM 2014: Ermüdungsfußball bei 45 Grad

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist mit ihrer Spielweise stärker vom Klima in Brasilien betroffen als andere Teams. Ein Mittel zum Erfolg wären also Standardsituationen. Doch die hat Joachim Löw noch nie gern trainieren lassen.

Dass die Engländer ein komisches Völkchen sind, ist eine Behauptung, für die man keine Regressansprüche fürchten muss. Neulich erst wieder wurde eine Gruppe von Engländern an der portugiesischen Algarve beobachtet, die mitten im Frühling mit Handschuhen an den Fingern und Mützen auf dem Kopf einer sportlichen Betätigung nachging. Es handelte sich um die Spieler der englischen Fußball-Nationalmannschaft, die auf diese Weise die Bedingungen bei der Weltmeisterschaft in Brasilien zu imitieren versuchte. Viele Nachahmer wird diese Methode wohl nicht finden. „Das machen wir nicht“, sagt Tim Meyer, der Arzt der deutschen Nationalmannschaft.

„Akklimatisierung funktioniert schon dadurch, dass sie sich dort aufhalten“, sagt Meyer. Die Nationalmannschaft ist gestern Abend von Frankfurt am Main nach Brasilien geflogen. Nach der Ankunft in Porto Seguro bleiben den Spielern noch acht Tage bis zum ersten Gruppenspiel, um sich an die tropischen Temperaturen im Nordosten Brasiliens zu gewöhnen – zumal die Deutschen nicht in den kühleren Abendstunden spielen dürfen, sondern zweimal um 13 Uhr Ortszeit und einmal um 16 Uhr. Auf dem Platz kann es da auch mal bis zu 45 Grad heiß werden.

Günstig ist, dass die Mannschaft zum Auftakt gegen Portugal in Salvador da Bahia antreten wird, 700 Kilometer von ihrem Basiscamp entfernt. Dort ist es nicht ganz so heiß und feucht wie bei den Begegnungen mit Ghana in Fortaleza und den USA in Recife.

Die Hitze und die klimatischen Bedingungen sind ein wichtiges Thema für die sportliche Leitung der Nationalmannschaft – spätestens seitdem Bundestrainer Joachim Löw vor einem Jahr einige Spiele des Confed-Cups besucht hat. „Es ist nicht nur warm“, sagt Löw, hinzu komme auch noch die wahnsinnig hohe Luftfeuchtigkeit. „Das ist schon eine andere Belastung.“

Urs Siegenthaler, der Chefscout der Nationalmannschaft, hat erzählt, dass er sich im Stadion von Recife beinahe den Hintern verbrannt hätte, als er sich auf die glühend heißen Schalensitze habe setzen wollen. Löw hat seiner Mannschaft daher bereits ein „Turnier der Strapazen“ prophezeit: „Wir brauchen widerstandsfähige, willensstarke Spieler, die diese Belastung annehmen und nicht lamentieren.“

Mannschaftsarzt Tim Meyer hält es für wichtig, dass die Spieler die extremen Klimaverhältnisse auch in der Praxis kennenlernen. „Es ist eine gute Idee, zu diesen Zeiten einmal zu trainieren“, sagt er – allerdings nicht dauerhaft: „Trainingseinheiten bei solchen Bedingungen gehen an die Substanz. Das kann man nicht jeden Tag machen.“

Im Abschluss und Umschaltspiel wies die deutsche Mannschaft zuletzt erhebliche Defizite auf

Nationalstürmer Miroslav Klose hat dieser Tage von den Erfahrungen seiner italienischen Mitspieler beim Confed-Cup vor einem Jahr berichtet: „Die wussten nach 20 Minuten nicht, wo sie die Luft hernehmen sollen.“ Bundestrainer Löw ist bei seiner Inspektionsreise im Sommer 2013 zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt. „Ich habe keine Mannschaft gesehen, die 90 Minuten lang hohes Pressing spielen kann“, sagt er. „Ich glaube schon, dass man sich in der Spielweise etwas anpassen muss. Man muss die Mischung finden zwischen ganz hohem Tempo und Ballbesitz.“

Die deutsche Mannschaft betrifft das mit ihrem Powerfußball in einem stärkeren Maße als andere Teams. „Es wird schon eine andere Art von Fußball sein als das, was wir aus Europa kennen“, sagt Löw. Keine Mannschaft werde in der Lage sein, über 90 Minuten ein irres Tempo zu absolvieren; stattdessen werde man sich auch mal eine Verschnaufpause gönnen müssen. Idealerweise wenn man in Führung liegt – und der Gegner die Initiative ergreifen muss. „Man muss auch die Möglichkeit sehen: Ich bin gut organisiert und nutze meine Kontermöglichkeiten“, sagt Löw.

Die Lernziele im Trainingslager waren explizit auf die besonderen Anforderungen in Brasilien zugeschnitten. Der schnelle, zielgerichtete Abschluss, das Spiel im letzten Drittel und das schnelle Umschalten waren wichtige Lerninhalte in Südtirol. In allen Bereichen wies die deutsche Mannschaft zuletzt erhebliche Defizite auf. Defizite, die in Brasilien buchstäblich an die Substanz gehen können. Die Nationalmannschaft ist zuletzt durch einen allzu nonchalanten Umgang mit ihren Chancen auffällig geworden. Anstatt den Torerfolg zu erzwingen, wird im gegnerischen Strafraum gern noch mal ein Kringel gedreht und ein Häkchen gesetzt. Auch das Umschaltspiel der Deutschen war nicht mehr so zwingend wie in der Vergangenheit. „Da hatten wir zuletzt nicht diese Performance wie 2010“, sagt Löw.

Brasiliens Confed-Cup-Sieg könnte eine Blaupause für ein erfolgreiches Abschneiden sein

Der Confed-Cup aus dem vergangenen Jahr könnte eine Blaupause für ein erfolgreiches Abschneiden bei der Weltmeisterschaft in diesem Sommer sein, vor allem das Auftreten der Brasilianer, die die Generalprobe für die Weltmeisterschaft gewonnen haben. Die Mannschaft von Trainer Luis Felipe Scolari war in ihren Spielen vor allem in der Anfangsphase auf Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte aus, um möglichst wenig Raum zum gegnerischen Tor vor sich zu haben. Gelang es den Brasilianern, früh in Führung zu gehen, fuhren sie die Intensität deutlich zurück, die Spieler cruisten über das Feld, behaupteten geschickt den Ball und verwalteten das Spiel.

Auffällig war auch: Wenn die Brasilianer in der gegnerischen Hälfte den Ball verloren, drängten sie nicht etwa mit aller Macht auf dessen sofortige Rückeroberung, wie es zum Beispiel Borussia Dortmund und der FC Bayern mit ihrem Gegenpressing praktizieren. Stattdessen ließen sie sich zurückfallen, um nicht von Konterangriffen überrascht zu werden.

Löw will bei der WM deutlich stärker von seinen Wechseloptionen Gebrauch machen

Die Auswertung des Confed-Cups hat einige interessante statistische Daten erbracht, die diese Beobachtungen stützen. Bei den Mannschaften, die den Platz als Sieger verlassen haben, war der Ballbesitz in der ersten Viertelstunde des Spiels mit Abstand am höchsten; dazu eroberten die Siegermannschaften in der gegnerischen Hälfte in diesem Zeitraum fast doppelt so oft den Ball wie im Schnitt aller anderen Spielabschnitte.

Bundestrainer Löw rechnet damit, dass die Ermüdung der Mannschaften zum Ende des Spiels deutlich zunehmen wird. Dass die Zahl der Fouls beim Confed-Cup in der Schlussviertelstunde am höchsten war, könnte ein Indiz für schwindende Fitness sein. Auch fielen nach der 75. Minute überproportional viele Tore (25 Prozent).

Joachim Löw hat bereits angedeutet, dass er bei der WM deutlich stärker von seinen Wechseloptionen Gebrauch machen wird, als es bisher der Fall war. Wer ab der 60. Minute, wenn beim Gegner Kraft und Konzentration schwinden, noch einmal unverbrauchte Kräfte bringen kann, besitzt möglicherweise einen unschätzbaren Vorteil. Gerade in der Offensive verfügt Löw auch nach dem Ausfall von Marco Reus über einige Optionen. Mario Götze oder Miroslav Klose könnten nach ihrer Einwechslung frische Wucht ins deutsche Spiel bringen.

Ein anderes Mittel zum Erfolg sind Standardsituationen. Beim Confed-Cup fiel ein Drittel der Tore nach Ecken, Freistößen und Elfmetern. Aus dieser Statistik die richtigen Erkenntnisse zu ziehen, könnte für den Bundestrainer aber eine ziemliche Überwindung sein. Standardsituationen hat Joachim Löw noch nie gern trainieren lassen.

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