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Basecap und Beat. MC Gringo macht Party. Sein Outfit erinnert an die 90er. Aber er wird noch immer erkannt

© Philipp Lichterbeck

WM 2014: Favela Heartbeat - unterwegs mit MC Gringo

Vor zwölf Jahren kam Bernhard Weber aus Stuttgart nach Rio. Legte sich den Namen MC Gringo zu. Wurde mit einem Hit stadtbekannt. Jetzt kämpft er sich mit einem WM-Song durch.

Bis nach oben ist es nicht mehr weit. An guten Tagen ist sein Haus über den Dächern Rios, das letzte am Hang, das höchste der Favela, der schönste Ort der Welt. Dort vorne der Zuckerhut, dort unten das Meer. An guten Tagen kommen die Leute zu ihm und lächeln in den Himmel. Einige, sagt er, haben schon geweint, so dankbar waren sie. Vor zwei Wochen war der Kevin hier. Kuranyi. Super Typ.

Der Ausblick hilft, sagt er. Gegen Depression, Burn-out. Gegen die Zweifel.An schlechten Tagen aber, wenn auch die Christus-Statue im Nebel liegt, ist der Gipfel kaum zu erkennen. An schlechten Tagen kommt niemand zu ihm herauf. An schlechten Tagen ist der MC allein. Er sitzt dann auf seinem Hügel und macht Musik. Schlechte Tage, sagt der MC, hat es in letzter Zeit viele gegeben. Damit soll jetzt Schluss sein.

Vergangenen Montag hat er, MC Gringo, endlich seinen WM-Song veröffentlicht. Deutscher Fußball ist geil. Beweg dein Hinterteil. Ging gleich gut los. Sogar „Bild“ war schon da. Mit Kamera. Geiles Video. Der Song hat alles, was so ein Copamitgrölkracher braucht. Einen simplen Text, einen krachenden Beat und Ärsche im Videoclip. Bum Bum. Waka Waka. Yeah! Yeah! Der MC sagt: Das Ding geht ab wie Harry! Das Ding wird an allen vorbeiziehen. Das hat er im Gefühl.

Nach oben ist es jetzt nicht mehr weit.

Der MC, geboren in Stuttgart-Feuerbach, wo er einmal Bernhard Weber hieß, Industriekaufmann lernte und in einer Punkband spielte, ist vor zwölf Jahren nach Brasilien gegangen. Den Namen hat er in Deutschland zurückgelassen. Sonst aber nicht viel. Er hat hier seine Frau kennengelernt, am Strand. Er hat hier den Funk kennengelernt, in der Favela.

Er hat hier seinen neuen Namen gefunden, MC Gringo. Das passte einfach besser. Zum Funk, der keine Schnörkel braucht, weil jede Silbe zu viel schon eine Beleidigung sein kann. Funk ist ehrlich, sagt der MC. Funk ist vor die Fresse. Funk ist sein Leben hier. Sein Leben, ein Tanz.

Der MC, er ist jetzt 44 Jahre alt. Und sieht noch immer aus, als wäre er gerade erst aus den 90ern, aus einem frühen Video der Fantastischen Vier, hierher gekommen. Die Basecap trägt er, kein Zitat, keine Ironie, verkehrt herum. Darunter das Haar strähnig. Bermudas und Flipflops. Früher, Anfang der 90er vielleicht, hätte man gesagt: frech.

Jetzt läuft er durch die engen Gassen seines Hügels, Morro dos Cabritos, der Zickenhügel, auf dem er mit seiner Familie lebt. Ein Sohn, eine Tochter. Der Aufstieg beschwerlich. Als sich die Enge nach vorne hin öffnet, sitzen dort zwei Jungen. Gringo, rufen sie. Gringo, sing mit uns. Und Gringo singt. Alemao. Sein größter Hit. Kennen die Leute hier, sagt er. Darin heißt es, Raps auf Portugiesisch: Ich bin ein Deutscher mit gutem Blut. Sangue Boa. Ironie geht also doch. Die Jungen klatschen im Takt, klatschen mit ihm. Und der MC bewegt sich, als würde er auf der Stelle laufen. Schnell, zuckend. Schneller.

Sein Leben, ein Tanz.

Dann muss er weiter. Heute, am Nachmittag das Spiel Brasilien gegen Mexiko, will er noch in eine andere Favela fahren, in die Rocinha, auf der anderen Seite der Lagoa. Dort auftreten. Hat er länger nicht gemacht. Bisschen Funk, bisschen Zeitreise aber auch. In die guten Tage. Die es ja schon mal gab, am Anfang.

„Ich war hier so viel in der Glotze“, erzählt er: „Ich war bekannt. Bin in den Omnibus rein: Bom dia, Gringo!“ Er hat damals, 2006, als an so etwas wie Befriedung noch gar nicht zu denken war, Funkpartys in der Favela veranstaltet. Er, der Deutsche, durfte da richtig mitmachen. Nahm ein Album auf, bekam eine Kolumne in der „taz“. Lesungen. War Gast in Talkshows. Ging auf Tour. In den USA erst, später auch in Europa. Weit weg.

Vor ein paar Wochen wurde der MC von einem Kamerateam des Privatsenders Vox durch sein Leben in der Favela begleitet. Für ein Format, das die Geschichten deutscher Aussteiger erzählt, die versuchen, an einem anderen Ort ihr Glück zu finden, einen Traum zu leben. Bei ihm wirkte es, als wäre der Traum schon vorbei.

„Ich sage mir“, sagt sich der MC nun, „ich bin gerade an einem guten Punkt. Es gibt da diesen Song der Scorpions. The best is yet to come.“ Im Bus zur Rocinha, Feierabenddichte, Staugesichter: Kein „Hallo“. Kein „Bom dia, Gringo!“.

Es ist noch gar nicht so lange her, da ist der MC an jedem Morgen mit den anderen Bewohnern der Favela in einen dieser Busse gestiegen, die den reicheren Vierteln die Arbeitskräfte bringen. Der MC hat da in einer Wäscherei gearbeitet. Er, der Schwabe, sagt: geschafft. Und so klingt er auch.

In der Via Apia zu Hause

Heute macht er für eine Agentur, die Apartments vermietet, die Nachtschicht. Check-in, Check-out. Damit und mit geführten Touren auf seinen Hügel, gegen die Depression, den Zweifel, verdient er sein Geld.

Er sagt: „Ich schaffe echt hart, aber es kommt nicht viel bei rum.“ Die Favela, anfangs noch Pose, der Funkeiro im Slum, ist heute eine Notwendigkeit. Er liebt das Leben ganz oben, auf seinem Hügel. Er weiß aber auch: das Leben unten, er könnte es sich nicht leisten.

In der Via Apia, Eingang zur Rocinha, großes, unfassbares Durcheinander. Eine Straße im Schreigelb der Seleçao, Motortaxis, Polizei, Geschrei, sofort wird spürbar: Er ist hier zu Hause. Im Chaos, aus dem der Rhythmus des Funk entsteht. Hier kennen sie ihn, die Männer am Straßenrand. Großes Hallo! Handshake-Theater. Unter einem Blechdach: Leinwand und Soundsystem. Fußball und Funk. Gringo! Der Deutsche ist da. Er sagt: Schön, wieder hier zu sein. Er sagt: Ich bin vorne beim DJ. Da hat er seinen Platz.

Die Musik, sie ist Selbstvergewisserung. Der Auftritt in der Rocinha, den macht der MC für sich. Weil ein Funkeiro ohne Mikro, ohne Bass, nur ein Typ mit falsch aufgesetzter Basecap ist.

Sein Auftritt beginnt mit dem Halbzeitpfiff. Er trägt jetzt das Deutschland-Trikot mit den schwarzen und den roten Streifen, das sie in Rio so lieben, weil es aussieht wie das Trikot von Flamengo. Davon handelt auch der portugiesische Text des Songs. Und dafür lieben sie auch ihn. Er wird groß angekündigt. Dann setzt der Bass ein. Rollender Funk. Vor die Fresse. MC Gringo presst den Refrain ins Mikro. Deutscher Fußball ist geil. Wackelt mit dem Hinterteil, läuft auf der Stelle. Ist wieder da. Bernhard Weber, MC Gringo, das Leben ein Tanz. Manchmal ist das nicht viel. Manchmal aber alles, was zählt.

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