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Messi gegen den Rest der Welt.

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WM 2014: Kampf um den Titel: Selbst Genies wie Lionel Messi können die WM nicht alleine gewinnen

Das Argentinien von 2014 ist so sehr Lionel Messi, wie das Argentinien von 1986 das von Diego Maradona war. Damals konnte die WM ein Spieler entscheiden – das geht so nicht mehr.

Könnte noch mal Ärger geben für Argentinien. Nach diesem 1:0-Sieg im Achtelfinale über die Schweiz. Er kam nur deshalb kurz vor Schluss der Verlängerung zustande, weil erstens Lionel Messi mal wieder eine seiner übernatürlichen Eingebungen hatte und zweitens in der Nachspielzeit der rechte Pfosten einem Schweizer Ausgleich im Wege stand. Was aber, wenn die zuständige Kommission des Weltverbandes Fifa mal auf die Webseite der argentinischen Zeitung „Clarín“ schaut und dort ein Beweismittel sicherstellt?

Auf einem Foto ist dort zu sehen, dass im entscheidenden Moment ein nicht im offiziellen Spielbericht aufgeführter Mann den rechten Pfosten hütete. Es handelte sich dabei um Jorge Mario Bergoglio, einen durchaus prominenten Argentinier, besser bekannt als Papst Franziskus.

Am Dienstagabend haben sie alle ein bisschen kokettiert mit der himmlischen Hilfe. Im Stadion von Sao Paulo, daheim in Argentinien und selbst im Vatikan. „Clarín“ veröffentlichte die Montage mit dem Papst am Pfosten, dazu hatte der Heilige Vater höchstpersönlich mitgespielt, mit einer symbolischen Kriegserklärung an seine Schweizergarde. Und Lionel Messi ist ohnehin als von Gott gesandtes Geschenk direkt aus dem Himmel nach Rosario hinabgestiegen. Es war die Koketterie des Großen, der sich seiner Sache gegen den Kleinen sicher ist und in seiner Generosität gern den Sieg ein wenig kleiner macht, als er ihn in der eigenen Überzeugung empfindet, nämlich als Selbstverständlichkeit.

Messi sorgte bisher immer für den wichtigen Moment

Dabei stand dieses Achtelfinale als Blaupause für bisher alle vier Spiele der Argentinier bei der Weltmeisterschaft in Brasilien. Kein einziges Mal hat der selbst ernannte WM-Favorit nachweisen können, wie er diesem Anspruch gerecht werden will. Alle Spiele wurden denkbar glücklich mit einem Tor Differenz gewonnen, und das auch nur, weil Lionel Messi den Unterschied machte, und sei es nur mit einer einzigen Aktion.

So war das beim 2:1 gegen die Bosnier, beim 1:0 gegen den Iran und beim 3:2 über Nigeria, und so war es auch beim 1:0 über die Schweizer, zwei Minuten vor einem möglichen Elfmeterschießen, „das wir alle unbedingt verhindern wollten“, so hat es Messi nach dem Kraftakt selbst zugegeben. Also zog er kurz hinter der Mittellinie mit dem Ball los, ließ Fabian Schär ins Nichts grätschen, Stephan Lichtsteiner und Admir Mehmedi hasteten hinterher, aber wenn Messi erst einmal Witterung aufgenommen hat, ist alles zu spät.

In den drei Spielen zuvor hatte er im entscheidenden Augenblick immer selbst den Abschluss gesucht, „aber diesmal war ich mir nicht sicher“, erzählte Messi später. „Ich habe überlegt: Machst du es vielleicht selbst? Aber dann habe ich Angel gesehen und mir gedacht: Lass ihn mal.“ Angel di María bekam den Ball so serviert, wie ihn nur Messi servieren kann, und es war um die Schweizer geschehen.

Der Fußball von 2014 ist nicht mehr der von 1986

Messi gegen den Rest der Welt.
Messi gegen den Rest der Welt.

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„Wenn Messi in guter Position an den Ball kommt, kann er großen Schaden anrichten“, sprach Argentiniens Trainer Alejandro Sabella, und damit ist sein taktisches Konzept ziemlich exakt umrissen. Sabella kam nach Brasilien mit dem Ruf, alles anders und besser zu machen als der unselige Diego Maradona vor vier Jahren.

Aber so wie Argentinien 2010 in Südafrika keine Mannschaft im eigentlichen Sinne war, ist auch in Brasilien nur eine Versammlung hochtalentierter Individualisten zu besichtigen. Alle haben sie eine anstrengende Saison hinter sich und scheinen sich ganz wohl dabei zu fühlen, dass es im Zweifelsfall der Kollege mit der Nummer zehn richten wird. Das Argentinien von 2014 ist so sehr Lionel Messi, wie das Argentinien von 1986 das von Diego Maradona war. Diese WM von Mexiko ist die bis heute einzige, die von einem einzigen Spieler gewonnen wurde.

Aber der Fußball von 2014 ist nicht mehr der von 1986. Schon die Schweizer zeigten mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln, wie Messi und damit ganz Argentinien der Spaß am Fußball zu nehmen ist. Ständig war er von sechs bis acht gegnerischen Beinen umzingelt, was ihn zwar nicht hinderte an der Vorführung hübscher Kunststücke, die damit verbundene Gefahr aber sehr minimierte. Warum hat Argentinien die sich durch die Schweizer Fokussierung auf Messi öffnenden Räume nicht ausgenutzt, Herr Sabella? Gute Frage, antwortete der Trainer und erzählte etwas vom auf der ganzen Welt verbreiteten Problem, über die Flügel zu spielen. So etwas funktioniere nur mit Spielern wie Robben oder Ribéry, aber die spielen nun mal nicht für Argentinien.

Das argentinische Dilemma bei dieser WM

So weit, so amüsant. Aber das argentinische Dilemma ist ja nicht nur eines der einfallslosen Offensive. Für ein Tor ist eine mit Messi gesegnete Mannschaft immer gut. Aber dann muss hinten Ruhe herrschen und Ordnung, und für beides steht die argentinische Defensive nicht. Da waren die turbulenten Szenen nach dem späten Führungstor, die schwer zu begreifende Unordnung rund um den Strafraum, sie ließ noch den Kopfball des Schweizers Blerim Dzemaili zu und einen Freistoß von Xherdan Shaqiri.

Über das gesamte Spiel hatten die Schweizer keinen richtigen Punch, aber zu diesem späten Gewitter reichte es noch, trotz 118 Minuten harter Arbeit. Was soll das erst am Samstag im Viertelfinale von Brasilia werden? Gegen die Belgier mit ihren Hochbegabungen Kevin de Bruyne, Eden Hazard und den Joker Romelu Lukaku. Sie sind keine Genies wie Messi, aber im Gegensatz zu Rest-Argentinien immer höchst präsent. Der Papst kann nicht immer auf den Pfosten, und er hat auch keine belgische Garde, der er am Samstag den Krieg erklären könnte.

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