zum Hauptinhalt
Jürgen Klinsmann und Jürgen Kohler überreichen Bundeskanzler Helmut Kohl einen Fußball mit Autogrammen der Mannschaft.

© Oliver Berg/DPA

WM 2014 - Viertelfinale in Brasilien: Kohl, Beckenbauer, Mercedes: Warum ich heute mit Frankreich fiebere

Wie mir Klaus Augenthaler, eine Elefantenrunde mit Helmut Kohl und die Inglourious Basterds die deutsche Nationalmannschaft verleideten. Bekenntnis eines Kindheitstraumas.

Herr Spielvogel, mein  Psychiater,  spricht von einem postödipalen Fußballkomplex. Wann das mit meinem Gegen-Deutschland-sein anfing, daran erinnere ich mich genau. Ich war acht Jahre alt und versuchte, mir einen Reim auf die Welt zu machen. Dazu schien mir die Fußballweltmeisterschaft 1986 bestens geeignet. Mit dem Glauben, der Fußball sei erfunden worden, das Wesen der Welt zu erklären, war ich immerhin nicht alleine. Wahrscheinlich glaubten das damals und glauben das heute noch alle. Während ich also bei meiner ersten WM mit Leberwurststullen vor dem Fernseher hockte, entwarf ich ein Welterklärungsmodell, das bis heute fortwirkt.

Ich war ein idealistisches Kind, ich huldigte den Ideen der Gerechtigkeit, glaubte an David und nicht an Goliath und war Fan von Schalke 04, Klaus Lage, Opel und der SPD. Wenn man Schalke neben Bayern, einen Opel neben einen Mercedes und Hans-Jochen Vogel neben Helmut Kohl gestellt hätte, wäre mein Herz vor lauter Mitgefühl zerborsten. Soviel ist sicher!

Während ich also mit meinem Leberwurstbrot vor dem Bildschirm hockte und WM guckte, wurde mir klar: Die deutsche Mannschaft benahm sich auf dem Fußballplatz  so, wie Helmut Kohl in einer diskursiven Wahlnachlese. Sie zelebrierte die Kunst des Aussitzens,  ihre Spiel-Philosophie erschöpfte sich in dem, was der Kanzler einmal Entscheidend-ist-das-was-am-Ende-herauskommt – genannt hatte. Manchmal wirkte das so, als hätte jemand  eine ganze Elefantenrunde von Kohls auf den Platz verpflanzt. Die Gegner, überzeugt von der Schönheit des Spiels, waren sofort gehemmt und spielten verzagt. Mir war klar, dass ihnen klar war, dass ihr Kontrahent für Ästhetik nichts übrig hatte und jeder kreative Spielzug an jener Kraft zerschellte, die stets das Böse schafft.

Ich saß vor dem Fernseher, aß mein Leberwurstbrot und litt mit Holland, Italien und Brasilien. Dass Mitleid und Solidarisierung mit den Verlierern dieser Welt, vergebens ist, habe ich an diesen Fußballabenden  gelernt. Da half kein Hoffen, da half kein Beten. Der Fußball lehrte mich, die Politik zu verstehen, die Politik lehrte mich, den Fußball zu verstehen: Sieger waren groß und selbstzufrieden. Sie hießen Klaus Augenthaler, Helmut Kohl oder waren ein Mercedes Benz.

Das Welterklärungsmodell wirkte wie alle Komplexe mit ideologischem Überbau weiter fort. Geschmeidig passte es sich den Umständen an. Als 1990 Helmut Kohl die DDR verschluckte und der DFB aus deren Konkursmasse Matthias Sammer erbte, wirkten diese Ereignisse wie Proteinshakes für meine Ideologie. Ich war nichtaktives Mitglied einer Antifa-Gruppierung und mir gingen Fußball, Politik und Ästhetik nun gänzlich durcheinander.

Von Hans-Jochen Vogel, Klaus Lage und dem Opel Ascona hatte ich mich inzwischen emanzipiert, meine Ideale sah ich nun in den Underdogs der Gegenkultur verwirklicht. Als die deutsche Nationalmannschaft zu ihrem WM-Triumph nach Italien reiste, fuhr ich mit meinem Schulfreund Andi zu dessen Oma an die holländische Nordseeküste. Tagsüber schälten wir  Tulpenzwiebeln, um unser Taschengeld aufzubessern, am Abend verfolgte ich die WM im Kreis von Andis holländischer Verwandtschaft mit einer Leidenschaft, als wäre ich ein Kommunist auf der Flucht vor den Nazis. Andi, der ein halber Holländer war, betrachtete mich zunehmend mit Verwunderung. Er hielt für Deutschland.

Frank Rijkaard bespuckt den deutschen Stürmer Rudi Völler bei der WM 1990 in Italien.
Frank Rijkaard bespuckt den deutschen Stürmer Rudi Völler bei der WM 1990 in Italien.

© Martina Hellmann/DPA

Für mich hingegen waren die holländischen Spieler um die rasta-gelockten Rijkaard und Gullit die Inglourious Basterds der Fußballkultur. Nur sie, zitterte ich,  konnten die von Franz Beckenbauer verkündete tausendjährige deutsche Herrschaft im Weltfußball noch verhindern. Das Spiel entwickelte sich zu einer epischen Schlacht. Gefochten wurde mit allen Mitteln des Guerilla-Kampfes. Es wurde gespuckt, geschimpft und getreten. Am Ende jubelte nur Andi. Seine holländischen Verwandten warnten uns an dieser Nacht,  die Stranddisco aufzusuchen – zu gefährlich. Als ich später im Bett lag, überlegte ich mir, in Amsterdam einen Exilverlag zu gründen.

Mein erstes Buch sollte das gesammelte Werk von Gary Lineker enthalten, zumindest aber immer wieder den einen Satz, den mit den 22 Spielern und das am Ende die Deutschen gewinnen. Es sollte eine Denkschrift sein, überlegte ich mir, denn Denkschriften, das hatte ich im Geschichtsunterricht mal gelernt, waren sowohl für Zeitgenossen und als Warnung für die nachkommende Generation in finsteren Zeiten unersetzlich. Ich schlief ein und träumte von den Inglourious Basterds, Rijkaard und Gullit, und einem sacksitzenden Helmut Kohl.

Hätte ich nicht diesen tief sitzenden Komplex gehabt, dann hätte ich schon einige Jahre später all meine solidarischen Energien auf die deutsche Nationalmannschaft übertragen müssen. Der Fairness und Gerechtigkeit halber. Die SPD hatte die Regierungsverantwortung übernommen und Rudolf Scharping war Verteidigungsminister. Gegen  Rudolf Scharping wirkte selbst ein Opel Ascona wie ein Gewinnertyp. Und die deutsche Wirtschaft lag in dieser Zeit auch am Boden. Nur herzlosen Fußballfans konnte es zwischen 1998 und 2002 gelingen, der orientierungslos herumrumpelnden DFB-Auswahl das Mitleid zu verweigern. Und mir: Mein Herz war groß und litt mit Verlierertypen aller Art – ich fuhr aus Mitleid sogar Opel – , aber hier wirkte ein teuflisches Gemisch aus präödipalem Fußballkomplex und ideologischem Überbau. Vive la France!

Steffen Stadthaus

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false