zum Hauptinhalt

WM: Fußball-WM raubt Chinesen den Schlaf

Einige hundert Millionen Fußballfans in China bereiten sich auf lange Nächte vor - auch Ministerpräsident Wen Jiabao. Unterdessen ergreifen viele Frauen die Flucht.

Peking - Das Bekenntnis des Ministerpräsidenten, für die WM-Spiele wegen des sechsstündigen Zeitunterschieds bis in die frühen Morgenstunden aufbleiben zu wollen, löste aber auch kritische Reaktionen aus. «In China gibt es eine riesige Zahl von Fußballfans, die aufbleiben, um die Spiele zu sehen - und ich bin einer von ihnen», bekannte Wen Jiabao im Mai im Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Peking.

«Der Premier ist so beschäftigt. Wie kann er sich da ausruhen?», kommentierte ein Internetnutzer in einem Diskussionsforum. «Es wäre besser, er nimmt es auf und schaut es sich tagsüber an, wenn er Zeit hat.» Angesichts des Niedergangs der von Korruptionsskandalen erschütterten Fußball-Liga in China bezweifelte ein anderer Nutzer die Begeisterung des Regierungschefs: «Wenn er ein wirklicher Fußballfan wäre, dann würde er beim chinesischen Fußball nicht untätig bleiben. Typisch diplomatisches Gerede.»

Wie auch immer - chinesische Fußballfans müssen mit wenig Schlaf auskommen. 40 der 64 Spiele sind erst um 2.00 morgens zu sehen. Viele Chinesen werden spät zur Arbeit kommen, nehmen sich Urlaub oder müssen den Schlaf im Büro nachholen. In einer Umfrage wollten 80 Prozent der Befragten die Spiele sehen - 20 Prozent sogar alle, was 30 von 100 befragten Personalchefs einige Sorgen bereitet.

Chinesische Supermärkte melden höhere Umsätze mit Bier, Snacks und Fertignudeln, mit denen sich Fußballfreunde für die Nächte eindecken. «Die meisten Bierkäufer sind Fußballfans», berichtet ein Verkäufer der Supermarktkette Carrefour, die schon am Parkplatz Bier verkauft. Kneipen besorgen Nationalfahnen als Dekoration, stecken ihre Bedienung in Trikots. Sportbekleidung findet reißenden Absatz - aber weniger die echten und teuren Markenwaren, sondern eher die Raubkopien, die vielleicht ein Zehntel kosten. Pekings größter Elektronikladen verkauft derzeit 30 Prozent mehr Fernseher.

Nur 4000 chinesische Fans sind nach Deutschland gereist. Die Fußballvereinigung entsandte 150 Vertreter, um Erfahrungen für das eigene glücklose Team zu sammeln, das 2002 zum ersten und bislang einzigen Mal an einer WM teilgenommen hatte und torlos ausgeschieden war. Das Außenministerium in Peking riet chinesischen Fans in Deutschland, «sich von Hooligans fern zu halten, die Stadien möglichst schnell nach dem Spiel zu verlassen und nicht dort stehen zu bleiben, wo sich Fans ansammeln, insbesondere nicht in Kneipen- Gegenden».

Dem Fernsehpublikum daheim präsentieren Spieler wie Shao Jiayi, der lange bei 1860 München spielte, als Kommentatoren die WM. Das weniger für fußballerische Leistungen bekannte chinesische «Supergirl» Li Yuchun schreibt eine regelmäßige Kolumne für 200.000 Yuan (20.000 Euro) Honorar im Monat. Die deutschen Kicker sind in Kommentaren aber noch nicht gut weggekommen. Nach dem Aufwärmspiel gegen die in China unbeliebten Japaner (2:2) wurde die deutsche Verteidigung als «alte Hose mit vielen Löchern» beschrieben.

Da Fußball auch in China vor allem ein Männersport ist, bieten Reisebüros für Frauen, die dem Trubel entkommen wollen, eigene Reisen unter dem Motto «Flucht vor der Fifa» an: «Die Nerven beruhigen und gut schlafen - ohne die Schreie der Fußballfans.» Die Reisebüros garantieren, dass Hotelzimmer weit entfernt von lauten Fußballübertragungen liegen. (Von Andreas Landwehr, dpa)

Zur Startseite