zum Hauptinhalt
Dann macht es Bumm.

© ddp

WM Nebenschauplatz: Es macht Bumm

Die deutsche Mannschaft schießt ein Tor und auf den Straßen von Berlin explodieren Böller. Es macht Bumm, und man ist erschrocken. Wer das tut, weiß man nicht.

„Dann macht es Bumm“, sang in den Sechziger Jahren Gerd Müller, der Bomber der Nation. Und tatsächlich: Ein Tor seines legitimen Erben Thomas Müller gegen Argentinien – und es macht Bumm. Dann das Tor von Miroslav Klose – wieder Bumm. Ein Tor sogar von Arne Friedrich – Bumm. Noch mal Klose: wieder Bumm. Und schließlich der Abpfiff: Bummbummbummbumm.

Nach jedem Treffer zünden sie auf den Straßen von Berlin ihre Böller. Wer das tut – man weiß es nicht. Denn die Sprengsätze werden aus der Hüfte geworfen wie achtlos weggeschnippste Kippen, dann macht es Bumm, und man ist zu erschrocken, um nach dem Missetäter zu fahnden. Bummbummbummbumm – das ist der Soundtrack dieser WM, mehr noch als Shakira, der singende Popo, und Bushido, der rappende Rapper.

Es ist wie Blitz und Donner: Den Toren der Deutschen, immerhin schon 13 bei dieser WM, folgt verlässlich ein infernalisches Krachen, für das die Bezeichnung „Böllern“ eigentlich zu niedlich ist. Schon an den Tagen um Silvester hirnten die Boulevardzeitungen der Hauptstadt, woher diese Geschosse wohl stammen, die keine deutsche Prüfstelle erlauben würde. Aus Polen? Aus Tschechien? Der Vertrieb der fragwürdigen Pyrotechnik müsste demnach an Waffenschieberei grenzen. Ganze Bulli-Ladungen, so hieß es, seien aus grenznahen Gebieten nach Berlin geschafft worden, um – wenn schon nicht die ganze Stadt – wenigstens ein paar Blumenkübel in Schutt und Asche zu legen. Bumm.

Offenbar hat der Vorrat gereicht, um auch die Siege der deutschen Nationalelf zu beknallen. Scheiben erzittern, Dackel bellen, Menschen rutschen vom Sofa, und man mag sich dieser Tage kaum in einen älteren Mitbürger hinein versetzen, den die Detonationen des Krieges noch immer verfolgen.

Es mag weltfremd sein, von den Knallteufeln Rücksicht auf die Gesellschaft zu erwarten. Trotzdem fragt man sich, wie es zu diesem Reflex kommt: Tor – Bumm. Wo andere, je nach seelischer Haushaltslage, einander aristokratisch zuprosten, tanzen, „Deutschland“ ohne „Deut“ schreien oder zufällig vorbeikommende Passanten busseln, greifen sie kaltblütig in die Kiste mit den Höllenkrachern, latschen hinaus, zünden die Lunte, werfen ab und gehen wieder hinein. Sie gucken noch nicht einmal mehr hin, denn es funkelt ja nicht – es knallt nur unintelligent. Ist das ihr Ausdruck von Freude? Und wie muss es in ihnen aussehen, wenn das ihre Art ist, Freude auszuleben? Vielleicht so wie in der Kabine der Argentinier, nachdem es bei ihnen vier Mal Bumm gemacht hatte?

Nicht dass das Böllern ein neues Phänomen wäre. Die Idee, mit Schwarzpulver Krach zu machen, dürfte so alt sein wie das Schwarzpulver selbst. Man kennt es von Schützenfesten, je nach Brauchtum auch von Hochzeiten und Beerdigungen und sogar von Kirchweihen. Doch nie traf es einen so ins Mark wie jetzt. Tor – Bumm. Das ist wie eine Schelle des Fußballgotts persönlich, der einem sagt: „Gedenke, dass du sterblich bist!“ Es ist der tiefe Fall, bevor man überhaupt so richtig abgehoben hat. Es bewirkt, dass man Angst vor Toren bekommt. So hat Gerd Müller das bestimmt nicht gemeint. Dirk Gieselmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false