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Sport: WM-Qualifikation: Deutschland bei Null

Rudi Völler wusste nicht wohin mit seinen Händen. Mal zupften sie am Hosenbund, mal versanken sie in den Hosentaschen, dann kamen sie wieder zum Vorschein, dann strichen sie durchs weiß gewordene Haupthaar.

Rudi Völler wusste nicht wohin mit seinen Händen. Mal zupften sie am Hosenbund, mal versanken sie in den Hosentaschen, dann kamen sie wieder zum Vorschein, dann strichen sie durchs weiß gewordene Haupthaar. Mehrere Minuten ging das so. Vielleicht drei, vielleicht vier. Völler durchschritt dabei das halbe Spielfeld der neuen Arena Auf Schalke, wo soeben sein Team, die deutsche Fußballnationalmannschaft, ein ganzes Spiel lang versucht hatte, gegen Finnland ein Tor zu schießen. Das war an sich schon eine Sensation. Doch Völler hoffte, und mit ihm seine Spieler und der Großteil der 52 000 Zuschauer auf eine noch größere Sensation. In Manchester führte Griechenland bis in die Nachspielzeit hinein 2:1 gegen England. Das hätte bedeutet, dass sich Deutschland trotz eines blamablen 0:0 doch noch direkt für die WM 2002 in Japan und Südkorea qualifiziert hätte. Doch der Engländer David Beckham machte diese Hoffnung mit einem Freistoßtor zum 2:2 in der Nachspielzeit zunichte.

Jede einzelne dieser Minuten bis zu Beckhams Tor war aufregender als die 90 Minuten von Gelsenkirchen. Kapitän Oliver Bierhoff, der es fertig gebracht hatte, vier Großchancen auszulassen, war es mulmig geworden. Nervös stakste er ziellos umher. Er wusste, dass Otto Rehhagel, der deutsche Trainer der Griechen, dem Sieg in Manchester nah war. "Der Zwischenstand kam mir unwirklich vor", sagte Bierhoff später. Er traute dem Frieden nicht. Schon gar nicht "hier auf Schalke, wo sich vor wenigen Monaten die Menschen schon einmal zu früh gefreut haben". Damals war Schalke Deutscher Meister gewesen. Für vier Minuten. Diesmal war Deutschland für die WM qualifiziert. Für drei, vielleicht vier Minuten.

Andere Spieler zitterten anders. Oliver Neuville etwa. Bierhoffs Sturmkollege hatte es hin zu einem neben der Auswechselbank postierten Monitor gezogen. Er wollte die Sensation von Manchester mitansehen. Um den Fernseher hatte sich eine Traube gebildet. "Keine Chance, etwas zu sehen", sagte Völler, der auf dem Rasen blieb, und den umherirrenden Oliver Kahn einfing. "Was sollte ich denn am Fernseher da", blaffte Kahn. "Ich kann ja doch nichts ändern." Das sagte Kahn, als Beckham ausgeglichen hatte, was die Engländer zur WM brachte und Deutschland im November zum Nachsitzen in zwei Ausscheidungsspielen gegen die Ukraine zwingt. "Die Griechen haben uns geholfen. Wir haben den Rest nicht geschafft", stammelte Bierhoff.

Noch vor ihm hatte Gerhard Mayer-Vorfelder versucht, das Unfassbare in Worte zu kleiden. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes hatte seinen Schalensitz verärgert verlassen. "Die erste Halbzeit war ausgesprochen schlecht, und wenn man so viele Großchancen auslässt, kann man nicht gewinnen. So kommt man nicht zur WM."

Völler war der Endstand aus Manchester auf dem Rasen zugerufen worden. Die eine Hand griff an die Nase, die andere vergrub sich in der Hosentasche. Flotten Schrittes zog es den Teamchef in die Kabine. Seine Spieler folgten tröpfchenweise. Bevor Marko Rehmer die Treppe aus dem Rampenlicht erreicht hatte, ließ er seinen Frust noch eben am eingetauschten Trikot eines finnischen Spielers aus - er schmiss es zu Boden.

Dabei war eingetreten, was vor dem Spiel keiner laut zu sagen gewagt hätte: Rehhagels Griechen hatten den Engländern einen Punkt abgetrotzt. Ein Sieg der Deutschen hätte gereicht. Völler schüttelte immer wieder den Kopf. "Dass uns dieses eine goldene Tor nicht gelungen ist", raunte er. "Latte, Pfosten, der Ball tänzelte auf der Torlinie - wir hatten Pech." Mit Pech allein lässt sich speziell Bierhoffs Kunststück, aus vier Metern Entfernung den Torwart anzuschießen, wohl nicht erklären. Dabei wussten die meisten Spieler doch während des Spiels, "wie es drüben steht. Vielleicht hatten einige Angst, sich ein Kontertor der Finnen einzufangen. Aber dann hätten wir genauso blöd aus der Wäsche geguckt wie jetzt auch."

Am Ende bleibt der Schmerz. "Es tut weh", sagte Völler. "Mir, der Mannschaft und vielen Fans." Und es bleibt eine bittere Erkenntnis. Oliver Kahn sprach sie aus: "Hier auf Schalke hofft man auf keine Wunder mehr."

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