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Sport: WM-Qualifikation: Die leise Revolution

Dem deutschen Volk sagt man ganz allgemein ein eher reserviertes Verhältnis zu Revolutionen und Umstürzen nach. Irgendwie liebt der brave Staatsbürger hier zu Lande seine angestammte Ordnung, und es muss schon einiges schief laufen, ehe er sich gegen die Verhältnisse auflehnt.

Dem deutschen Volk sagt man ganz allgemein ein eher reserviertes Verhältnis zu Revolutionen und Umstürzen nach. Irgendwie liebt der brave Staatsbürger hier zu Lande seine angestammte Ordnung, und es muss schon einiges schief laufen, ehe er sich gegen die Verhältnisse auflehnt. Vielleicht erklärt das ein wenig die Zurückhaltung Rudi Völlers, der sich gestern als der große Revolutionär des deutschen Fußballs hätte aufspielen können. Stattdessen hat er sich mit großer Zurückhaltung zu möglicherweise einschneidenden Veränderungen geäußert.

So wie es aussieht, steht dem deutschen Fußball heute in der Tat eine kleine Revolution bevor. Im letzten WM-Qualifikationsspiel gegen Finnland (16 Uhr/live im ZDF) wird die Nationalmannschaft zum ersten Mal mit einer Viererkette in der Abwehr spielen. Völler setzt sich damit über das schon historische Verdikt des allmächtigen Kaisers Franz Beckenbauer hinweg, der einst gegen die moderne Form der Verteidigung mit geballter rhetorischer Wucht zu Felde zog und den Deutschen die Fähigkeit absprach, diese Formation je ausreichend zu beherrschen. Völler ist offensichtlich zu einer anderen Erkenntnis gelangt. Ob die Abwehr gegen die Finnen mit vier Mann auf einer Linie verteidigen werde, wurde er gestern gefragt. "Das kann durchaus sein", antwortete Völler.

Der Teamchef bleibt mit solchen vagen Aussagen seiner zurückhaltenden Linie treu. Anstatt den revolutionären Umsturz im deutschen Fußball zu wagen, also alles in Frage zu stellen, was früher noch gut war, sucht er den sanften Übergang in die neue Zeit. Dass dazu Veränderungen notwendig sind, weiß Völler; aber er muss es ja nicht auch noch lauthals in die Welt hinausposaunen. Als im vorigen Sommer ganz Deutschland nach dem Debakel bei der Europameisterschaft einen radikalen Neuaufbau der Nationalmannschaft forderte, setzte Völler weiterhin auf die vermeintlichen Versager von Holland und Belgien. Doch nach und nach änderte er die Strukturen, besetzte er ohne lautes Getöse die Führungspositionen neu, und plötzlich wird auch dem deutschen Fußball wieder eine bessere Zukunft zugetraut.

Völlers Entscheidung für die Viererkette ist keine Herzensangelegenheit. Sie entspringt allein der Einsicht in die Notwendigkeit - weil die Nationalmannschaft zuletzt "relativ viele Tore reinbekommen hat", wie Völler sagte. Fünf Stück waren es vor fünf Wochen gegen England, in nur einem Spiel wohlgemerkt, und damit so viele wie seit der WM 1954 nicht mehr, als die Nationalelf den Ungarn 3:8 unterlag.

Eigentlich bevorzugt der Deutsche auch in der Abwehr eine klare Ordnung mit richtigen Manndeckern und einem Libero dahinter, und vielleicht trägt Völler dieser Vorliebe Rechnung, wenn er die von ihm geplanten taktischen Veränderungen nicht auch noch offensiv verkauft. Der Teamchef offenbarte gestern lediglich, dass "wir in der Abwehr etwas anders spielen" - offensiver, mit Raumdeckung. Dreierkette, Viererkette, das seien doch bloß Modewörter, die von den Medien immer herausgestellt würden. "Eigentlich ist es egal, welche Taktik du spielst", sagte Völler. "Wichtig ist, dass du deine Zweikämpfe gewinnst." Oder wie Friedel Rausch, einer der Trainer aus der guten alten Zeit, es einmal ausgedrückt hat: "Die richtige Taktik ist, wenn du 1:0 gewinnst."

Dass die Öffentlichkeit trotz Völlers vorsichtiger Zurückhaltung jetzt schon über die neue Abwehrformation informiert ist, verdankt sie der Auskunftsfreude einiger Spieler. Marko Rehmer von Hertha BSC berichtete, dass die Mannschaft die Viererkette im Training mehrmals geübt habe. Das habe auch schon ganz gut geklappt. Überhaupt: "Für mich ist es nichts Neues", sagte Marko Rehmer. Er wird die Position rechts außen einnehmen, so hat er es auch schon in Berlin getan. Christian Ziege soll links spielen, und in der Zentrale verteidigen Christian Wörns sowie Jens Nowotny. "Das stellt für unsere Spieler gar kein Problem dar", sagte Rudi Völler.

Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten könnte durchaus hilfreich sein, denn in Deutschland sind die Vorbehalte gegen die Viererkette schon deshalb immer noch sehr groß, weil die wenigsten Spieler der aktuellen Generation bereits zu Jugendzeiten daran gewöhnt wurden. Die größte Umstellung steht vermutlich Jens Nowotny bevor, der den klassischen Libero gelernt hat und auch in einer Dreierkette immer als Chef der Abwehr galt. In der neuen Formation hingegen ist er nur noch einer unter Vieren. Doch Rudi Völler hat schon klargestellt, Nowotny werde "immer derjenige sein, der die Kommandos gibt". Man muss es mit den Revolutionen ja auch nicht übertreiben.

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