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Starker Typ. Pascal Spalter (unten) lässt Tarkan Aslan durch den Ring schweben.

© gwf-wrestling.com

Wrestling-Fieber in Berlin: Wenn in Kreuzberg die Stühle bersten

Wrestling ist vor allem Entertainment. Das Konzept funktioniert noch immer – in Berlin liegt das auch an Pascal Spalter, einem der besten deutschen Kämpfer.

Es kracht gewaltig, als Pascal Spalter den schwarzen Klappstuhl auf den Kopf seines Gegners schlägt und sich die Sitzfläche aus der Metallfassung löst. Der Getroffene taumelt nach vorne und fällt auf die Knie. Spalter greift zu einem weiteren Klappstuhl. „Auf die Fresse, auf die Fresse“, grölen die Zuschauer. Dann reißt Spalter den Stuhl hoch und lässt ihn auf dem nackten Rücken seines Gegners zerbersten.

Der ächzende Mann wälzt sich auf dem Ringboden, doch noch ist der Kampf nicht vorbei. Denn es geht um den „German Wrestling Federation World Title“, der an jedem ersten Samstagabend im Monat in Kreuzberg vergeben wird. Während Berliner Hipster nebenan auf der Terrasse eines Technoclubs tanzen, schlagen sich muskulöse Männer in der dunklen Halle des Festsaals Kreuzberg die Köpfe ein.

Oder besser: Sie tun so, als ob. Beim Wrestling ist alles nur inszeniert – sogar die Schmerzen. Es geht nicht ums Gewinnen oder Verlieren, es geht um die Emotionen der Zuschauer. Der Wrestler Pascal Spalter genießt das. „Dieser Moment, wenn ich im Ring stehe und mit den Emotionen der Menschen spiele“, sagt der Berliner. „Dafür mache ich Wrestling.“

Wrestling bietet die absolute Show: große Bilder, permanente Action, nicht den Hauch von Langeweile. Die Prügelei im Ring ist einfach zu verstehen, die Rollen des Helden und des Bösewichts sind schon vor Kampfbeginn verteilt, die Emotionen werden mundgerecht serviert.

Sekunde vor dem Fall. Pascal Spalter (l.) hat seinen Gegner Tarkan Aslan gut im Griff.
Sekunde vor dem Fall. Pascal Spalter (l.) hat seinen Gegner Tarkan Aslan gut im Griff.

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„Es ist das perfekte Sportevent“, sagt der Theaterwissenschaftler Eero Laine, der an der Universität von Buffalo in den USA zu Wrestling forscht. Er zieht einen Vergleich zum Fußball: „Wir alle lieben es, wenn unser Lieblingsteam in der letzten Minute gewinnt, weil es ein spannendes Spiel ist. Beim Wrestling kann jedes Match so gebaut werden.“ Die Macher nutzen dafür die klassische Dramaturgie des Sports und verstärken sie, sagt Laine.

Das scheint zu funktionieren. Laine meint, dass Wrestling zwar immer noch eine „Nischenperformance“ ist, die Popularität aber immer weiter steigt. Die Zuschauerzahlen bestätigen seine Einschätzung. Zu „Wrestlemania“, dem größten Wrestling-Event der Welt, kamen im April dieses Jahres über 80.000 Fans nach New Jersey.

„Es ist Theater“

Dass Wrestling nach all den Jahren nicht langweilig werde, liege auch daran, dass die Wrestler vor allem in den USA als Charaktere mit besonderen Geschichten erzählt würden. „Zwei Menschen bei einem gespielten Kampf zuzusehen, ist erst mal nicht so interessant. Aber wenn einer der Kämpfer bald in Rente geht oder um den Job kämpft, ist das etwas anderes“, sagt Laine. „Es ist Theater.“

Pascal Spalter bastelt noch an seiner Geschichte als Wrestler. Der 28-Jährige war früher einer der Guten, nun ist er einer der Bösen. Auf jeden Fall ist er einer der erfolgreichsten und bekanntesten Wrestler Deutschlands. Er wird für Kämpfe in ganz Europa gebucht. „Held der Hauptstadt“ nennen ihn seine Fans.

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Seine Leidenschaft für Wrestling entdeckt Spalter als kleiner Junge auf dem Dachboden seiner Großeltern. Dort findet er Kartons mit Videokassetten, auf denen sein älterer Cousin US-amerikanische Wrestling-Shows aufgezeichnet hat. Spalter guckt sie alle. „Es hat mich irgendwie fasziniert“, sagt er. Mit 15 Jahren nimmt er das erste Mal am Wrestling-Training in Brandenburg teil, wenig später tritt er bei Shows in Erkner und Henningsdorf auf. Vor allem durch eine Rolle als Schauspieler bei der bekannten TV-Serie „Berlin – Tag und Nacht“ wächst seine Bekanntheit und er wird öfter als Wrestler gebucht. „Wenn ich bestimme, wann die Menschen jubeln oder buhen, macht es Spaß“, sagt er. Zudem bekommt Spalter für einen Auftritt etwa 500 Euro, es ist ein guter Nebenjob.

Spalter hat einen Bachelorabschluss in Marketingkommunikation

Unter der Woche arbeitet er in der Marketingabteilung einer kleinen Firma in Teltow. Der 1,90 Meter große Berliner hat einen Bachelorabschluss in Marketingkommunikation, ein freundliches Lächeln und ernährt sich vegan. Auf seiner Facebook-Seite hat er einen Artikel geteilt: „Das kannst du alles aus einem Kürbis machen.“

Im Festsaal tritt Spalter beim letzten Kampf des Abends an. Als er in einer goldenen Trainingsjacke zu lauter Drum-’n’-Base-Musik in den Ring tritt und ihn der schlaksige Ansager als „Mann der Zeitgeschichte“ ankündigt, tönen Wechselgesänge durch die Halle. „Pascal“ ruft die eine Seite, „Spalter“ die andere. Manche rufen stattdessen „Scheißer“. Eine junge Frau hält ein Plakat hoch. „Overrated Piece of Shit“ steht darauf, sie zeigt dem Wrestler den Mittelfinger.

Gemeinsam mit 400 Menschen drängt sie sich um den Kampfring. In der Reihe vor ihr sitzt ein Punk mit grüngefärbten Haaren, an der Wand dahinter lehnt eine ältere Dame mit Weißweinglas in der Hand. Das Publikum, ein Querschnitt der Berliner Bevölkerung, will Teil der Show sein.

Heimwerker. Pascal Spalter sieht zu, wie sich Tarkan Aslan vom Tisch rollt.
Heimwerker. Pascal Spalter sieht zu, wie sich Tarkan Aslan vom Tisch rollt.

© gwf-wrestling.com

Spalters Gegner ist Tarkan Aslan, ein Typ, der auch bei „Game of Thrones“ mitspielen könnte. Er wird als „Lion King“ angekündigt, der „out of the jungle“ nach Kreuzberg gekommen ist. Wie Spalter lebt Aslan in Berlin. Als er den Ring betritt, spuckt ihm Spalter vor die Füße. Ein Raunen geht durchs Publikum. „Tarkan, Junge, gib ihm“, ruft jemand. „Fuck you“, ruft Spalter zurück. „Scheißer, Scheißer“, ruft die Frau mit der Leinwand. Spalter guckt in ihre Richtung und lacht.

Nach dem Kampf sagt Spalter, dass ihn auch solche Äußerungen freuen. „Eine Emotion ist eine Emotion“, sagt er, als er verschwitzt auf einem Klappstuhl hinter der Bühne sitzt. Spalter zitiert einen Satz aus der Werbebranche, wonach schlechte PR auch immer gute PR sei. Er greift sich an den Nacken. „Irgendwie habe ich mich eben verspannt“, sagt er. Kein Wunder – mehrmals ist er mit dem Rücken schwungvoll auf den Ringboden geprallt. Gefährlich findet Spalter Wrestling nicht: „Ich habe mir mal eine Rippe gebrochen, das Schlüsselbein angebrochen und hatte ein paar Schleudertraumata, aber sonst war eigentlich nichts Ernstes.“

Damit das so bleibt, trainiert er ungefähr einmal pro Woche bei Ahmed Chaer in der Wrestling-Schule in Neukölln. Chaer ist der Chef der „German Wrestling Federation“. „Früher hatte Wrestling einen schlechten Ruf, galt als brutale Gewalt und lächerlich“, sagt er. Er arbeitet seit Jahren daran, das Image zu verbessern.

In den USA ist Wrestling ein riesiges Geschäft

Jeder im Publikum hat einen Favoriten, Aslan oder Spalter. Dabei ist allen klar, dass der Gewinner schon seit Tagen feststeht. Wie genau die Absprachen im Vorfeld laufen, will Spalter nicht verraten. Es zählt zum Ehrenkodex der Wrestler, zu diesem Thema zu schweigen. „Der Zauberer verrät auch nicht seine Tricks“, sagt Spalter. „Es ist aber sowieso egal. Denn die Emotionen sind ja alle wahr.“

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Dass Spalter trotzdem gerne gewinnen würde, hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Denn wer gewinnt, ist ein Zeichen dafür, wer dem Veranstalter am wichtigsten ist und in Zukunft wieder gebucht wird. „Es geht darum, wer in der Mitte auf den Plakaten beworben wird. Und für die Zuschauer ist es wichtig“, erklärt Spalter. Der Gewinner verkauft am Abend mehr Merchandise-Artikel.

Und wer genügend Kämpfe gewinnt, hat sogar Chancen auf das ganz große Geschäft: Wrestling in den USA. Das verantwortliche Unternehmen „World Wrestling Entertainment“ (WWE) hat im vergangenen Jahr einen neuen Rekordumsatz gemacht und über 930 Millionen Dollar eingenommen. Um noch bekannter zu werden, tourt die WWE mit ihren Shows durch die ganze Welt. Am 17. Mai finden die Kämpfe in der Arena am Ostbahnhof in Berlin statt. Pascal Spalter wurde sogar schon zwei Mal zu sogenannten „Tryouts“ eingeladen, bei denen die WWE deutsche Wrestler gesichtet hat. Geklappt hat es letztlich nicht.

Gürtelmensch. Die World Wrestling Entertainment (WWE) tourt durch die ganze Welt. Hier zeigt Wrestler Roman Reigns eine Trophäe in Neu Delhi.
Gürtelmensch. Die World Wrestling Entertainment (WWE) tourt durch die ganze Welt. Hier zeigt Wrestler Roman Reigns eine Trophäe in Neu Delhi.

© Chandan Khanna/AFP

Der Wissenschaftler Eero Laine findet die kleineren Vereinigungen wie die „German Wrestling Federation“ aber ebenso interessant wie die große WWE. „Dort sind die Shows viel diverser und progressiver. Es ist nicht Hulk Hogan aus der Vergangenheit“, sagt Laine. Immerhin würde sich auch Wrestling in den USA langsam den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. So traten beim abschließenden und wichtigsten Kampf von „Wrestlemania“ in diesem Jahr zum ersten Mal zwei Frauen gegeneinander an.

In Berlin geht das Duell zwischen Spalter und Aslan nach 15 Minuten voller Ellbogenschläge und Aufeinanderspringen auf das Finale zu. Spalter schleppt eine Holzplatte und zwei Aufsteller in den Ring und baut einen Tisch. „Heimwerker“, ruft das Publikum. Spalter wirft Aslan auf die Holzplatte, sie geht kaputt. Aslan steht wieder auf, stellt zwei Klappstühle nebeneinander und wirft Spalter auf seine Konstruktion. Das war es, Spalter steht nicht mehr auf, Aslan siegt. Die Ringglocke klingelt und Spalter krabbelt hinter den Vorhang.

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