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Sport: „Wut wird als Schwäche ausgelegt“

Psychotherapeutin Susanne Decker über dünnhäutige Fußballtrainer.

Frau Decker, in der Fußball-Bundesliga gab es am Wochenende Ausraster von zwei prominenten Trainern: Jürgen Klopp und Bruno Labbadia. Man hat das Gefühl, die Gilde reagiert in letzter Zeit immer dünnhäutiger. Teilen Sie als Psychotherapeutin am Institut für Verhaltenstherapie in Berlin diese Meinung?

Zunächst einmal würde ich die Äußerungen von Bruno Labbadia nicht als Ausraster bezeichnen, man kann die Fälle auch nicht wirklich miteinander vergleichen. Beide Trainer haben ihre Gemütslage offenbart, die in diesem Fall auf unterschiedlichen Ärgernissen beruhte. Labbadia war offenbar unzufrieden mit der Berichterstattung um sein Team und hat an den Medien Kritik geübt, Jürgen Klopp fühlte sich ungerecht behandelt und hat in der Hitze des Gefechts die Beherrschung verloren.

Sowohl der VfB Stuttgart als auch Borussia Dortmund hatten zuvor nicht gewonnen.

Natürlich ist Frustration eine mögliche Ursache für Wut und Ärger, ansonsten muss man die Personen und die Situationen separat betrachten. Jürgen Klopp ist ein emotionaler und impulsiver Mensch, dessen Gefühlsamplitude sehr ausgeprägt verläuft. Suchen Sie mal im Netz nach Bildern von ihm, und Sie werden feststellen: Ob er jubelt oder sich ärgert, er tut es stets sehr ausgelassen. Genau diese Eigenschaft macht ihn ja auch spannend für Zuschauer, Fans und Medien.

Klopp hat in den vergangenen zwei Jahren drei Titel mit dem BVB gewonnen. Ist es für erfolgsverwöhnte Menschen grundsätzlich schwerer, mit Kritik umzugehen?

Nicht zwingend, auch hier sollte man den Einzelfall betrachten. Bruno Labbadia hat sich ja auch in Rage geredet, und er hat zuletzt keine Titel gewonnen. Vielmehr beklagt er, dass für ihn „eine Grenze erreicht“ sei. Es seien Unwahrheiten und Kritik über ihn verbreitet worden, die zu Diffamierungen in der Öffentlichkeit führten. Ich kann das nicht im Einzelnen beurteilen, aber offenbar ist er darüber wütend und möglicherweise auch – salopp ausgedrückt – genervt von unqualifizierten Ratschlägen. Als Trainer hat er eben einen hohen Verantwortungsdruck.

Muss man als professioneller Trainer und Sportler nicht erhaben über solche vermeintlichen Tipps sein?

Es ist ein Phänomen, dass von vielen Berufsgruppen klischeehafte Bilder existieren: Journalisten, Trainer, Psychologen – alle bekommen vermeintlich nützliche Tipps von Außenstehenden, die nicht wirklich in der Materie stecken. Das ist auf Dauer natürlich ärgerlich. Dann reagieren Menschen nun mal impulsiver, wenn es gerade nicht so gut läuft.

Die Geschichte der Wutreden in der Bundesliga zeigt, dass sie oft der verzweifelte Versuch waren, irgendwie doch noch den eigenen Kopf zu retten.

Das stimmt, mir fallen als Beispiele Rudi Völler oder Giovanni Trapattoni ein. In der Tat wird dieses unprofessionelle Verhalten demjenigen als Schwäche ausgelegt, der öffentlich schimpft. Oftmals dient es als Grund für weitere Kritik. Insofern empfiehlt es sich, professionell zu bleiben und die eigenen Emotionen so gut wie möglich zu kontrollieren.

Versuchen Trainer wie Völler, Trapattoni, Doll und jetzt Labbadia nicht auch, durch ihre Auftritte wenigstens ein bisschen von dem Druck an die Kritisierenden zurückzugeben, den sie täglich spüren?

Nein, das lässt sich eher anhand eines wissenschaftlichen Begriffs erklären: Ego-Depletion. Wenn Menschen Selbstkontrolle ausüben, werden sie psychisch hochgradig beansprucht. Je stärker diese Beanspruchung, beispielsweise durch Ärger, Druck oder nötige Selbstbeherrschung, desto wahrscheinlicher wird ein vorübergehendes Versagen der Selbstkontrolle.

Es fällt auf, dass vor allem Fußballer schnell gereizt reagieren. In anderen Sportarten wirkt alles ein wenig entschleunigt: Medienpräsenz, Berichterstattung, Druck.

Druck ist der entscheidende Begriff in diesem Zusammenhang. Natürlich ist dieser im Leistungssport grundsätzlich enorm, aber die Beobachtung stimmt. Eine mögliche Ursache könnte in der größeren Finanzkraft des Fußballs liegen. Es ist ja eine romantische Vorstellung, dass die talentiertesten Nachwuchsspieler eines Tages in der Nationalmannschaft spielen. Sicher ist das Talent zentral, aber es ist ebenso wichtig, sich auch in anderen Bereichen als Persönlichkeit durchzusetzen. Dazu zählt unter anderem der Umgang mit dem Erwartungsdruck.

Das Gespräch führte Christoph Dach.

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