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Sport: ZEN ZU NULL Das Experten-Ich

Fußball ist Philosophie. Hier heben wir den Ball auf eine höhere Ebene.

Fußball ist Philosophie. Hier heben wir den Ball auf eine höhere Ebene.

Zu Beginn der WM hatten wir wenigstens Meinungen. Doch was - außer Kahn und Klose - haben wir heute, da sich alles, woran wir sicher glaubten, als eitler Schein erwies. Unsere Augen sind müde, sauer der Magen, geschwächt der Verstand, das Wissen am Ende, leer der Phrasensack, offen wesentliche Fragen. An wen sich wenden, jetzt, wo es erst richtig los geht, und sogar Günter Netzer über sich selbst zu lachen beginnt?

„Sucht nicht nach Erklärungen, hört einfach auf zu meinen“, stellt der Meister uns auf das Achtelfinale ein, „denn wer verstehen will, hat Es schon verfehlt.“ Eigentlich lehrt er seit dem Auftaktsieg des Zenegals (lies: Zen egal) nichts anderes. Spätestens seit Argentiniens Ausscheiden aber lauschen wir seinem wortlosen Wissen noch aufmerksamer. Bei rückblickender Betrachtung des Vorrundentippscheins haben wir auch allen Grund dazu. Das Geld ist wieder einmal futsch. Doch vermögen wir den eigentlichen WM-Gewinn nach den ersten beiden Wochen methodischer Morgenmeditation nun in etwas ungleich Bereicherndem zu erkennen, gewannen wir doch eines: befreiende Einsicht in die armseligen Grenzen unseres westlich-diskursiven Fußballdenkens. Mit den Favoriten starb auch unser jämmerliches Experten-Ich. Deutlich spüren wir deshalb, wie greifbar nah der Titel jetzt auch für uns ist.

„Diejenigen, die es kennen, reden nicht. Diejenigen, die darüber reden, sind weit davon entfernt“, versucht der Meister, den Ball flach zu halten. Wie gut wir ihn dennoch verstehen. Das rhythmische Sein des Fußballs in seiner wechselvollen Unbeständigkeit ist nicht theoriefähig. Sein fließendes Wesen wird sich dem sprachlich bestimmenden Zugriff des Abendlandes auf ewig entziehen. Zwar mag es sein, dass wir schon morgen wieder, in jenem runden Bereich jenseits der Vernunft, alle gemeinsam hoffen, zittern, jubeln, schimpfen, fluchen - und versagen werden. Eines aber werden wir, so weit gekommen, gewiss nicht mehr tun: versuchen, dies Spiel zu begreifen. Wolfram Eilenberger

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