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Sport: ZEN ZU NULL Sechs Stunden Lotussitz täglich

Noch bis zum 30. Juni wird sich unser Leben vor allem um eines drehen: Tore, Tore, Tore.

Noch bis zum 30. Juni wird sich unser Leben vor allem um eines drehen: Tore, Tore, Tore. Doch eine Fußball-Weltmeisterschaft bedeutet mehr, als sich nur mit Bällen zu beschäftigen, die von Netzen aufgehalten werden. Fußball ist Philososphie. Immer wieder dienstags und freitags heben wir deshalb den Fußball während der WM in Japan und Südkorea auf eine nächste, eine höhere Ebene. Diesmal versucht unser Autor die Gedanken auf die konzentrierte Wahrnehmung des Hier und Jetzt zu lenken.

„Wer hofft, hat sich schon verloren", gibt der Meister zu Beginn der Morgenmeditation vor. Er lächelt, als sei es ihm Ernst damit. Immer wieder mahnt er konzentrierte Professionalität an. Nur so würden wir unser fernes WM-Ziel – leidlose Selbstvergessenheit in sprachfreier Betrachtung – erreichen können. Die ersten vier Tage WM-Zen sind nicht spurlos an meinem nichtigen Ich vorübergegangen. Sechs Stunden Lotussitz täglich bei konsequentem Schlafentzug: Ich bin müde, habe Probleme mit Knöcheln und Verdauung. Die nächste Übung ist immer die schwerste, denkt es plötzlich in mir. Einsicht in den Kreislauf des Leidens! Noch bin ich darin gefangen.

Anderen mag es vielleicht ja lächerlich erscheinen. Wir alle aber, alle 23 Seminarteilnehmer in meiner methodisch meditierenden Fußballgruppe, haben mittlerweile zumindest eines begriffen: Das entscheidende Moment des WM-Zen liegt nicht im „Was", sondern im „Wie" des Vollzuges.

Der Meister nickt. „Ob ihr esst, die Notdurft verrichtet oder auf den Platz geht, immer müsst ihr ganz bei der Sache sein." Sein Zitat kommt mir sofort bekannt vor. Christoph Daum? Oder doch Otto Rehhagel? „Gautama, Majjhimanikaya, 107", erläutert der Meister und fährt fort, über die entscheidende Bedeutung des Augenblicks zu sprechen. Er hat allen Grund dazu. Eigentlich glaubten wir schon weiter zu sein. Doch seit Samstag lässt sich deutlich spüren, wie viele von uns wieder hoffen müssen. Sie ertrinken so in einem Meer armseliger Wünsche und schinden ihr beschränktes Selbst.

Warum nicht immer so? Wie hoch schlagen wir Irland? Wer wartet im Halbfinale? Auch ich lasse mich einfangen von dem Verlangen nach Zukünftigem, der Trauer um Vergangenes. Lasse mich also weit ablenken von der einzigen Wirklichkeit, die zur Meisterschaft führen wird: der konzentrierten Wahrnehmung im Hier und Jetzt.

„Nicht träumen, aufmerksam sein! Wer denkt, verliert!", stellt uns der Meister ein. Er weiß, wir sind noch lange nicht reif für den Titel. Dieses Ziel ist weit weg. Es ist still wie im Sapporo-Dome. Und seit Beginn der ersten Wandbetrachtung – das rituelle Finger-Food-Frühstück liegt bereits Stunden zurück – meditiere ich intensiv über einem Merksatz von Bundestrainer Michael Skibbe. („Skibbe ist schon sehr weit", sagt der Meister)

Wenn´s ´ne gute Aktion gab,

war ein bisschen Stimmung.

Aber zwischendurch war - nichts.

Das ist es. Genauso hat es sich angefühlt. Mein Leben, vor dieser WM.

Wolfram Eilenberger

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