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Sport: Zu groß für die Nebenrolle

Philipp Lahm spielt in der Nationalmannschaft als linker Außenverteidiger, seine Fähigkeiten prädestinieren ihn für mehr

Berlin - Jürgen Klinsmann kann im Moment ziemlich zufrieden sein mit seiner Mannschaft. Der Bundestrainer der deutschen Fußballer legt ja bekanntlich großen Wert auf den Zusammenhalt, Teamspirit nennt er das, und zum funktionierenden Teamspirit gehört, dass die Gruppe auch die Schwächeren mitschleppt. Arne Friedrich profitiert davon zurzeit am meisten. Er hat in den beiden ersten Begegnungen der Weltmeisterschaft, sagen wir, nicht gerade berauschend gespielt, weswegen die Öffentlichkeit längst eine intensive Fahndung nach möglichem Ersatz eingeleitet hat. Doch alle Kandidaten für die Position hinten rechts in der Viererkette haben bisher selbstlos verzichtet. Rechter Außenverteidiger? „Da seh ich mich nicht“, sagt Torsten Frings. „Nee“, sagt Bernd Schneider, „darüber mach ich mir jetzt keine Gedanken.“ Und Philipp Lahm: „Ich bin linker Verteidiger.“

Das Land wird ja gerade von einer allgemeinen Lahm-Hysterie befallen, und am liebsten wäre es dem Land vermutlich, wenn Lahm linker und rechter Verteidiger spielen würde. Aber von den praktischen Schwierigkeiten einmal abgesehen, verbietet das wahrscheinlich irgendeine Fifa-Bestimmung, und ohnehin muss man sich ja langsam mal fragen, ob der 22 Jahre alte Lahm nicht ganz woanders spielen sollte als in der hintersten Ecke des Feldes. Im Grunde ist er für die Rolle des Sidekicks in der Viererkette viel zu schade.

„Er liest ein Spiel wie kaum ein anderer“, sagt Bundestrainer Jürgen Klinsmann über den Münchner. „Philipp lässt sich nie aus der Ruhe bringen – auch nicht, wenn drei Gegenspieler um ihn herumschwirren.“ Lahm selbst sagt, dass er im Spiel schon nach wenigen Minuten mitbekomme, „wo der Gegner Schwächen hat“. Mit all diesen Fähigkeiten wäre er geradezu prädestiniert für den Platz im defensiven Mittelfeld, als Sechser vor der Abwehr. Auf keiner Position des modernen Fußballs sind die Anforderungen umfassender. Die Rolle verlangt ein feines Gespür für die Gefahr, eine gute Spielübersicht, taktisches Verständnis, eine überdurchschnittliche Technik und die nötige Konsequenz im Zweikampf. Lahm besitzt all diese Eigenschaften, und das Beste ist: Er hat diese Position schon einmal gespielt.

In der Regionalliga war das, bei den Amateuren von Bayern München, und deren Trainer Hermann Gerland hat sich jetzt in der „Süddeutschen Zeitung“ geradezu schwärmerisch zu Lahm ausgelassen. Man mag einwenden: Na gut, Regionalliga. Aber in der Regionalliga hat auch Dietmar Hamann angefangen, der die Rolle des modernen Sechsers in Deutschland bisher am deutlichsten ausgefüllt hat. Gerland sagt: „Philipp war klar besser.“ Im Mittelfeld könnte die Nationalmannschaft von Lahms Qualitäten noch mehr profitieren. Er wäre stärker in das Spiel eingebunden als an der Seite, zumal der Pass auf die Außenpositionen in Klinsmanns taktischer Vorstellung erst am Ende der Verwertungskette stehen soll.

Lothar Matthäus und Stefan Effenberg haben am Anfang ihrer Nationalmannschaftskarriere ebenfalls den Außenverteidiger geben müssen, Effenberg bekanntlich ohne besonderen Elan. Und Torsten Frings, der zurzeit das defensive Mittelfeld der deutschen Nationalmannschaft verwaltet, hat noch vor vier Jahren bei der WM hinten rechts in der Viererkette gespielt. Mit Lahms Werdegang ist das jedoch nur bedingt zu vergleichen. Alle drei spielten in ihren Vereinen bereits im Mittelfeld, als sie in der Nationalmannschaft noch auf der ungewohnten Defensivposition aushelfen mussten.

Trotzdem hat es die Geschichte vom linken Verteidiger, der eigentlich zu gut war für die Abwehr, in Deutschland schon einmal gegeben. Philipp Lahm hieß damals Paul Breitner. 1971 musste Breitner in einem Bundesligaspiel der Bayern in Hannover aus der Not heraus linker Verteidiger spielen. Er machte das so gut, dass er es auf dieser Position bis in die Nationalmannschaft schaffte und 1974 Weltmeister wurde. Erst 1981, nach seiner Rückkehr aus Spanien, nahm Breitner in der Nationalelf seine ursprüngliche Rolle wieder ein und wurde zum wahrscheinlich dominantesten deutschen Mittelfeldspieler der achtziger Jahre.

Breitner kann sich gut vorstellen, dass Lahms Karriere einen ähnlichen Weg nehmen wird wie seine eigene. „Seine Zukunft liegt im kreativen Mittelfeld. Das ist eine Frage von zwei, drei Jahren“, sagt er. „Bei allen jungen Verteidigern ist das so, die nicht stur defensiv spielen, sondern auch versuchen, im Spiel nach vorne kreativ zu sein.“ Defensive Sturheit lässt sich Philipp Lahm wirklich nicht nachsagen.

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