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Chance vertan. Angelique Kerber kam mit der Favoritenrolle noch nicht klar. Foto: dapd

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Sport: Zu viel gewollt

Angelique Kerber verliert im Viertelfinale von Paris.

Druck, nur Druck. Er hatte sie eingeschnürt, den ganzen Morgen schon. Angelique Kerber wartete auf ihr Match, ein Viertelfinale bei einem Grand Slam. Das ist eine große Sache. Sie kannte das schon, aus dem Herbst in New York. Damals ging es gar noch eine Runde weiter, aber das war anders. Niemand kannte sie, niemand erwartete etwas von ihr. Sie spielte einfach. Jetzt war er da, der Druck. Ein anderer als der, den sie vor jedem Tennismatch spürt. Mit nichts vergleichbar, das sie bisher kannte.

Sie als Nummer zehn der Welt, sie musste diese Partie doch gewinnen. So sagte es jeder zu Angelique Kerber. Sie hatte monatelang stark gespielt, strotzte vor Selbstvertrauen. Ihre Gegnerin, die Italienerin Sara Errani, stünde ja 14 Plätze in der Weltrangliste hinter ihr, und zum Jahresbeginn hatte Kerber sie beim Turnier in Hobart noch glatt geschlagen. Die Rollen schienen also klar verteilt. Kerber war das bewusst, sie wollte es auch unbedingt schaffen. Doch aus der Umklammerung konnte sie sich nie befreien. Sie verlor das Viertelfinale mit 3:6 und 6:7. „Ich habe den Druck etwas gespürt“, sagte Kerber, „daher war ich nicht aggressiv genug.“ Von den verlockenden Gedanken, was alles noch möglich gewesen wäre, vermochte sie sich schwer zu lösen. So viele Favoritinnen waren in Paris längst ausgeschieden, sogar die Weltranglistenerste Victoria Asarenka. Sie hätte ihr im Halbfinale nicht mehr im Weg gestanden, doch das war nun egal.

Schon als Kerber den Court Suzanne Lenglen betrat, war ihre Beklemmung spürbar. 10 000 Zuschauer, eine dichte Atmosphäre, die ersten Punkte gingen schnell weg. Viel zu schnell. Sie klammerte sich an Rituale. Nach jedem Punkt, gewonnen oder nicht, drehte sie sich mit dem Rücken zur Grundlinie. Sie schloss die Augen, pustete einmal ruhig durch. Kurz entspannen, fokussieren, den Druck ausatmen. Der Rat ihres Mentalcoaches Holger Fischer hatte ihr in den letzten Monaten sehr geholfen, in diesem Moment brauchte sie ihn mehr denn je. „Es hilft mir, innere Ruhe zu bewahren, unabhängig vom Spielstand“, hatte Kerber gesagt. Dieses Mal fiel es ihr schwer, die Anspannung wollte einfach nicht weichen.

Und Errani machte Druck, nichts als Druck. Wie eine kompakte Kampfmaschine feuerte sie aus allen Winkeln ihre Vorhandschläge ins Feld. Wieder und wieder. Kerber konnte rennen, sich strecken, wie sie wollte. Die Bälle flogen ihr oft um die Ohren, rechts und links neben ihr schlug es ein. Doch sie kämpfte verbissen, gab keinen Ball verloren, ehe er nicht zum zweiten Mal aufgetrumpft war.

„Sie war so stark, Sand ist einfach ihr Belag“, sagte Kerber. Im ersten Satz war nichts mehr zu holen nach zwei Breaks, im zweiten Durchgang versuchte Kerber nun, den Druck auf Errani zu erhöhen. Sie musste es, denn ihr Spiel ist die Offensive. Nur zu reagieren, brachte sie nicht weiter. Und erst schien es, als könne sie Errani mit ein paar guten Gewinnschlägen etwas einschüchtern. Kerber schaffte das Break zum 2:1. Doch die Anspannung hatte beide nun fest im Griff, sie raubten sich gegenseitig die Luft zum Atmen. Acht Breaks gab es im zweiten Satz, Kerber konnte ihren Vorteil nie halten. Der Tiebreak musste entscheiden, ein heikler Moment für Kerber. Rettete sie sich in den dritten Satz, so lägen die Vorteile wohl bei ihr. In dieser Saison hatte sie über die volle Distanz noch nie verloren.

Doch so weit schaffte es Kerber nicht, Erranis Vorhandbälle wirkten wie Kanonenschläge. Sie spielte fast fehlerlos. Kerbers Return landete im Aus, der Druck wich endlich. Auch bei Errani, die einen martialischen Schrei ausstieß. Kerber hatte es probiert, sie wollte es wohl etwas zu sehr. Ihr Körper war müde nach schon 47 Matches in dieser Saison. „Ich fühle mich etwas leer“, sagte sie. Und das Gefühl, Favoritin bei einem Grand Slam zu sein, war neu für sie gewesen. Doch sie wird sich daran gewöhnen, es dürfte nicht das letzte Mal gewesen sein.

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