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Goldene Kehlen? Als Fußballer wussten Jupp Heynckes (vorne links), Gerd Müller (hinten Mitte) und Franz Beckenbauer (vorne rechts) eher zu überzeugen denn als Sänger.

© dpa

Zum Abschluss unserer Serie 50 Jahre Bundesliga: Deutschlands goldenes Fußball-Jahrzehnt

Eine prominente Jury um Jupp Heynckes hat für den Tagesspiegel die beste Elf aus 50 Jahren Bundesliga gewählt. Unter den Siegern dominieren Spieler aus den siebziger Jahren – Zufall ist das nicht.

Am Abend des 18. Juni 1972, zu vorgerückter Stunde, ist die Stimmung ausgelassen. Ein paar Gläser Wein haben dem Bundestrainer die Zunge gelöst. „Schaut euch diese Mannschaft an!“, sagt Helmut Schön nach dem 3:0-Sieg im EM-Finale gegen die Sowjetunion. „Was für wunderbare Fußballer. Netzer, Müller und Beckenbauer, dazu Overath, der diesmal gar nicht dabei war, und unsere jungen Burschen Breitner, Hoeneß, Kremers, Bonhof, Hölzenbein. Ich sage es nicht gerne. Aber ich glaube, dass diese deutsche Nationalmannschaft auf Jahre hinaus den Weltfußball beherrschen wird.“

Natürlich hat es diese Episode nie gegeben. Helmut Schön, diesem feinen, bescheidenen Menschen, der eher zu Schwermut neigte als zu Euphorie, wäre es – anders als einem seiner Nachfolger – nie in den Sinn gekommen, sich über die Konkurrenz zu erheben. Obwohl: Wenn es je einen Anlass zu Übermut gegeben hat, dann im Sommer 1972, als die Mannschaft des Deutschen Fußball-Bundes bei der EM den Titel gewann. Die Nationalmannschaft des Jahres 72 gilt bis heute als die beste der deutschen Fußball-Geschichte – weil sie Erfolg und Schönheit miteinander versöhnte und damit immer noch ein Alleinstellungsmerkmal besitzt.

„Ich bin ein extremer Gegner von Quervergleichen über die Jahrzehnte hinweg“, hat Günter Netzer einmal gesagt. Insofern dürfte ihm die Serie des Tagesspiegels zum 50. Geburtstag der Bundesliga per se nicht gefallen haben. In den vergangenen beiden Wochen haben wir die beste Elf aus 50 Jahren (und ihren Trainer) vorgestellt, die von einer prominent besetzten Jury um Jupp Heynckes gewählt worden ist. Netzer, das Hirn der 72er Europameister, ist in der Kategorie Spiellenker als Sieger hervorgegangen – sowohl beim Votum unserer Experten (denkbar knapp vor seinem großen sportlichen Widersacher Wolfgang Overath) als auch in der Online-Abstimmung unserer Leser.

Zufall ist das nicht. Die Siebziger, das Jahrzehnt von Schlaghosen und Räucherstäbchen, mögen aus ästhetischen Gründen lange einen zweifelhaften Ruf genossen haben. Fußballerisch waren und sind sie hierzulande das Nonplusultra. Das äußert sich auch im Ergebnis unserer Serie. Von den elf Spielern, die von den Experten gewählt wurden, waren sieben in den Siebzigern aktiv: Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Paul Breitner, Günter Netzer, Allan Simonsen, Gerd Müller und Karl-Heinz Rummenigge. Und selbst bei den Online-Wählern, denen man eher eine Affinität zur Jetzt-Zeit zugetraut hätte, haben die Siebziger mit sieben Siegern (Hennes Weisweiler, Franz Beckenbauer, Willi Lippens, Karl-Heinz Körbel, Günter Netzer, Reinhard Libuda, Gerd Müller) fett abgeräumt. Insgesamt gab es fünf Übereinstimmungen bei den beiden Ergebnissen und bei den Abweichungen nur zwei Überraschungen: Mesut Özil setzte sich im offensiven Mittelfeld durch, bei den Linksverteidigern gewann der Dortmunder Dede vor Bayerns David Alaba.

Insgesamt aber bleiben die Siebziger das goldene Jahrzehnt des deutschen Fußballs. Bayern München gewann in jener Zeit dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister; national lieferten sich die Münchner ein aufregendes Duell mit Borussia Mönchengladbach. Die Gladbacher, mit ihrem bedingungslosem Offensivfußball, werden bis heute verehrt, ihr Pokalfinale 1973 (gegen Köln) zählt zum Mythenschatz des deutschen Fußballs. Von 1973 bis 1980 stand immer ein deutsches Team im Finale des Europapokals. 1974 (mit Magdeburg), 1975, 1977 und 1979 waren es zwei, 1980 sogar drei. In der Saison 1979/80, zum Abschluss des Jahrzehnts, erlebte der europäische Fußball im Uefa-Cup die totale Dominanz der deutschen Klubs: Im Halbfinale war die Bundesliga unter sich (Bayern, Frankfurt, Stuttgart, Gladbach).

Wenn man eine Rangfolge der drei deutschen WM-Titel aufstellte, läge 1954 wohl vor 1990 und 1974: Das Wunder von Bern gilt als inoffizielle Geburtsstunde der Bundesrepublik, Italien 1990 fiel mitten in den Wiedervereinigungsprozess. Der Erfolg im eigenen Land besitzt hingegen keine zweite Ebene, die über den sportlichen Erfolg hinausweist. Der Titel von 1974 hat in der öffentlichen Wahrnehmung fast etwas Nebensächliches. In der Tagesspiegel-Elf aus 50 Jahren Bundesliga dominieren hingegen die 74er Weltmeister. Fünf von ihnen stehen nur zweien von 1990 (Matthäus, Häßler) gegenüber. Es sind solche Erfolge, die die Helden von einst der aktuellen Generation um Özil, Götze und Reus voraus haben – obwohl auch ihre Perspektiven als glänzend gelten. Günter Netzer hat es einmal so ausgedrückt: „Durch Titel schafft man Fakten.“

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