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Gustav Schwenk (* 17. Dezember 1923 in Düsseldorf; † 11. Januar 2015 ebenda) war ein deutscher Sportjournalist. Er erhielt im November 2009 vom Weltleichtathletikverband IAAF als Erster die Auszeichnung World Athletics Journalist.

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Zum Tod von Gustav Schwenk: Der Herr der Zeiten

Er verhalf Sprinter Armin Hary 1960 zum 100-Meter-Weltrekord von 10,0 Sekunden und prägte eine Sicht auf den Sport: Zum Tod des legendären Sportjournalisten Gustav Schwenk.

Ohne ihn wäre die Sportgeschichte anders gelaufen, in mindestens einem prominenten Fall. Und sie wäre anders geschrieben worden. Seit 1952 berichtete der Sportjournalist Gustav Schwenk von insgesamt 15 Olympischen Spielen, er schrieb vor allem über die Leichtathletik, als die noch das vitale Herz des Sports war, er sah und verarbeitete unzählige Weltrekorde. Wie jetzt bekannt wurde, starb er bereits am vergangenen Sonntag im Alter von 91 Jahren in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Schwenk war mehr als ein Zeitzeuge, er stand dafür, wie sich die Sicht auf den Sport verändert hat.

Bis ins hohe Alter schrieb Schwenk über die Leichtathletik, auch für den Tagesspiegel. Dabei war er doch aus einer anderen Zeit gekommen. Als Schwenk begann, pendelten Journalisten im Stadion noch nicht zwischen ihrem Tribünenplatz, der Mixed Zone, wo sie Athleten und Trainer treffen, und dem Pressekonferenzraum. Sie tauchten manchmal auch im Innenraum auf, konnten Einfluss auf das Geschehen nehmen. Für Armin Hary war das ein Glücksfall. Der deutsche Sprinter war 1960 in Zürich als erster Mensch die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden gelaufen. Doch das Kampfgericht wollte einen Fehlstart gesehen haben. Es war Gustav Schwenk, der darauf hinwies, dass Hary ein Wiederholungsrennen zustehe. In dem lief er eine halbe Stunde später noch einmal 10,0.

Schwenk gehörte zu den angesehensten Sportjournalisten des Landes. Sein Ansehen hatte er sich durch Fachkenntnis erarbeitet. Steffen Haffner, der ehemalige Sportchef der „FAZ“, erzählt, dass er bei seiner ersten deutschen Leichtathletik-Meisterschaft Mitte der sechziger Jahre hinter Schwenk und dessen Kollegen saß. „Die haben so über Rückenwind und andere Daten gefachsimpelt, dass ich am liebsten meine Tasche gepackt hätte und wieder gegangen wäre.“

Der Schnellste. Armin Hary lief 1960 in Zürich als erster Mensch die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden – mit Unterstützung von Gustav Schwenk.
Der Schnellste. Armin Hary lief 1960 in Zürich als erster Mensch die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden – mit Unterstützung von Gustav Schwenk.

© p-a/dpa

Auch bei dieser Zeitung arbeitete zwischen Anfang der sechziger und Ende der achtziger Jahre ein Journalist, der einen ähnlichen Blick wie Schwenk auf den Sport hatte: Ekkehard zur Megede, er schrieb Geschichtsbücher zur olympischen Leichtathletik. Leichtathletik-Professor wurde er genannt. Das war zum einen als Auszeichnung gemeint. Aber es war zugleich eine Berufsbeschreibung. Die Leichtathletik galt jenen Journalisten als exakte Wissenschaft. Sie ließ sich erforschen, durchdringen, analysieren, historisieren. In anderen Sportarten gab es verwandte Herangehensweisen. Auch da wurden Kollegen mit unschlagbarem Wissen Professoren genannt, oder wie der ehemalige Tagesspiegel-Ressortleiter Gerhard Reimann Box-Papst.

In jener Zeit waren Sportjournalisten noch Chronisten. Sie teilten den Lesern mit, was passiert war. Als Erster. Manchmal auch als Einziger, wenn es keine Fernsehbilder gab. Bei Armin Harys Weltrekordlauf 1960 war Gustav Schwenk der einzige deutsche Journalist im Stadion.

Wenn Schwenk in den vergangenen Jahren bei einer großen Leichtathletik-Meisterschaft noch einmal auf die Pressetribüne kam, dann wirkte er wie aus der Zeit gefallen. Er hatte mehr zu erzählen, als seine jüngeren Kollegen wissen wollten. Doch Schwenk war nicht einfach ein Zeiten- und Weitensammler. Er konnte all die Statistiken in seinem Kopf miteinander in Verbindung bringen, einordnen, als hätte er dafür einen eigenen Algorithmus. Sein Interesse reichte bis in die Zukunft, er wies jüngere Kollegen auf Leistungsentwicklungen bei Junioren hin. Manchmal buchte ihn ein Fernsehsender als Berater bei einer Meisterschaft. Gut, wenn Gustav Schwenk neben einem saß.

Doch im Laufe der Zeit verlor sein Wissen an Wert. Auf jeden Fall konnte es nicht mehr so geschätzt werden. Das lag zum einen daran, dass der Computer nun auf einmal genauso viel zu wissen schien wie er, der seine Statistiken noch selbst geführt hatte. Zum anderen sind die Zahlen in der Leichtathletik eben nicht mehr das, was sie einmal waren. Es sind zu viele Athleten des Dopings überführt worden, zu viele Akten und Protokolle aufgetaucht, die Manipulation tausendfach belegen. Wer kann da eine Rekordliste noch als Grundlage für seine Sicht auf den Sport nehmen?

Die Leichtathletik wird inzwischen anders gesehen - auch weil Legenden zu oft als Betrüger aufgeflogen sind

So wird auch die Leichtathletik inzwischen anders gesehen. Noch als ursprüngliche Bewegungsform, das ja. Aber eben nicht mehr als wichtigste Disziplin der Welt. Was als sportliche Legende gefeiert wurde, ist zu oft als Betrug aufgeflogen. Vor allem hat sie – von Usain Bolt einmal abgesehen – nicht das Unterhaltungspotenzial wie etwa der Fußball. Sie mutet ihren Betrachtern mit all den Zahlen einiges zu, auf diese Komplexität wollen sich viele nicht mehr einlassen.

Was bleibt da von der Perspektive Gustav Schwenks? Ottavio Castellini, der ehemalige Chef-Statistiker des Leichtathletik-Weltverbands (IAAF), schrieb bei der WM 2009 in Berlin in einem Beitrag für den Tagesspiegel: „Ich glaube, dass die Zeitungsleser nicht so sehr an Statistiken interessiert sind. Es geht mehr um die menschlichen Aspekte der Leichtathletik. Eine interessante Zahl kann aber wie ein Gewürz in einem Zeitungsartikel sein.“ Und manche Listen könne man wie eine Geschichte lesen. Etwa über die Entwicklung einer Disziplin.

Diese Lesart beherrschte Gustav Schwenk wie kaum ein Zweiter. Die IAAF zeichnete ihn als ersten als „Weltjournalist der Leichtathletik“ aus, das war 2009. Vor gut einem Jahr, Ende 2013 bat der Tagesspiegel Schwenk noch um einen Artikel zum 100. Geburtstag von Rudolf Harbig. „Wissen Sie“, sagte er am Telefon, „es geht mir gerade gesundheitlich nicht besonders gut. Ich muss Ihnen leider absagen.“ Einen Tag später schickte er uns seinen Text.

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