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Spuren des Schreckens. Die gesamte Mannschaft von Jaroslawl wurde bei einem Flugzeugabsturz getötet. Foto: dpa

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Sport: Zurück im Leben

96 Tage nach dem Tod des ganzen Kaders spielt Jaroslawl wieder Eishockey.

Das erste Spiel am Montag wurde live im Staatsfernsehen übertragen. 9000 Zuschauer sind an diesem Abend in die „Arena 2000“ am Stadtrand von Jaroslawl gekommen, jene Spielstätte von Lokomotive Jaroslawl, die sich nach dem Flugzeugunglück vom 7. September in eine Arena der Trauer verwandelt hatte. Und bevor das Spiel zwischen Lokomotive gegen Neftjanik Almetjewsk beginnt, gehen in der Halle die Lichter aus. Minutenlang zeigen die Anzeigetafeln die Gesichter der Spieler, die ums Leben gekommen sind, dazwischen Bilder brennender Kerzen. Die Zuschauer erweisen den Verstorbenen mit minutenlangen Ovationen die Ehre und begrüßen die Spieler, die auf dem Eis stehen, kaum einer von ihnen älter als 20 Jahre. 96 Tage nach dem Flugzeugabsturz, bei dem das Team der Eishockeymannschaft des russischen Klubs Lokomotive Jaroslawl ums Leben gekommen war, feiert der Verein Wiederauferstehung.

Nach oben blickt auch der Spieler mit der Nummer 61, und niemand weiß, was dem 20-jährigen Maxim Sjusjakin in diesen Minuten durch den Kopf geht: Er war erst am Vorabend der Tragödie vom Trainer in die Jugendmannschaft zurückbeordert worden. „Ich habe meine zweite Familie verloren“, hatte er nach dem Unglück gesagt. Sjusjakin ist jetzt Kapitän dieses blutjungen Teams, zusammengewürfelt aus der eigenen Jugendmannschaft und Jugendspielern anderer Teams. Immerhin drei Jugendnationalspieler hat die Mannschaft, die nun hart daran arbeiten muss, an die Geschichte des Clubs anzuknüpfen: Seit den 90er Jahren gehörte Jaroslawl zu den stärksten russischen Teams, dreimal holte es den Titel.

Als der Vorverkauf für das Spiel begann, waren die Tickets nach nur vier Stunden ausverkauft. Und das Team enttäuscht seine Fans nicht: Nach 14 Minuten ist es jener Maxim Sjusjakin, der mit seinem Pass das erste Tor in der neueren Geschichte von Lokomotive Jaroslawl vorbereitet: 9000 Menschen jubeln, und durch die Halle dröhnt das Tuten eines Zuges – Tradition in Jaroslawl. 5:1 gewinnt das blutjunge Team am Ende gegen den Tabellenführer.

Doch wo das Team am Ende dieser Saison in der VHL, die als Zweite Liga des russischen Eishockey gilt, stehen wird, spielt eigentlich keine Rolle: Denn die Führung der Kontinentalen Hockey-Liga (KHL) versprach dem Team kurz nach der Katastrophe, dass es in der Saison 2012/2013 in jedem Fall wieder in der höchsten Spielklasse spielen dürfe. In die „Arena 2000“ ist so 96 Tage nach der Tragödie wieder Leben eingekehrt.

Die Untersuchung der Katastrophe ergab: Ein Pilotenfehler hatte zur Katastrophe geführt. Aus ungeklärten Gründen hatte entweder der Pilot oder der Ko-Pilot während des Starts mehrfach die Bremse betätigt. Unter den 44 Opfern war auch der deutsche Nationalspieler Robert Dietrich, der kurz zuvor nach Jaroslawl gewechselt war.

Bei den 1,2 Millionen Einwohnern des Gebietes Jaroslawl sitzt der Schock allerdings noch immer tief. Ihre Wut und Trauer richtete sich am 4. Dezember gegen die politische Führung des Landes: Bei den Parlamentswahlen erzielte die Regierungspartei „Einiges Russland“ hier das landesweit schlechteste Ergebnis: 29 Prozent, 24 weniger als 2007. „Der Tod der Eishockeymannschaft war ein sehr bedeutsames Ereignis, und diese allgemeinen Depressionen haben sich zweifellos auf die Wahlen ausgewirkt“, sagt der Politologe Jewgenij Golubjew.

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