zum Hauptinhalt

Sport: Zurück mit Schmerzen

Ein Jahr nach seinem Ausscheiden bei Olympia gibt Chinas Hürdenstar Liu Xiang sein Comeback

Es war die größte Enttäuschung der Olympiagastgeber von Peking. Vor gut einem Jahr deklassierten Chinas Athleten mit 51 Goldmedaillen die anderen Länder. Doch ausgerechnet im Nationalstadion bei der Leichtathletik gingen sie leer aus. Statt wie in Athen vier Jahre zuvor zum Olympiasieg zu spurten, krümmte sich Hürdenläufer Liu Xiang mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Tartanbahn. Nach dreizehn Monaten Verletzungspause wagt Chinas immer noch bekanntester Sportler am Sonntag sein Comeback.

Es werden gut 13 qualvolle Sekunden sein, wenn Liu Xiang beim Grand Prix in Schanghai seinen ersten Wettkampf seit seinem olympischen Drama absolviert. Anfang Dezember war Lius Achillessehne in Texas operiert worden. Chirurg Tom Clanton entfernte den über Jahre angelagerten Kalk an der rechten Ferse. Doch die Schmerzen wollen nicht verschwinden, verrät Sun Haiping, Trainer und väterlicher Freund des Olympiasiegers von 2004. Sun leidet mit. Nachdem Liu Xiang im Vorlauf von Peking aufgegeben hatte, schluchzte der Trainer Erklärungen in die Kameras.

Als im Sommer die Rücktrittsgerüchte nicht verstummen wollten, inszenierten Schanghais mächtige Sportfunktionäre ein Medientraining. Mit nacktem Oberkörper spurtete Liu über die Hürden. Seht her, sollten die Bilder zeigen, ich bin fit wie einst. Antworten allerdings gab nur Trainer Sun, auf dem Mountainbike sauste Liu Xiang nach der Show wortlos an den Reportern vorbei.

Nun spricht er wieder, zu sagen hat der 26-Jährige bei seiner ersten Pressekonferenz seit langem kaum etwas. Ja, er freue sich auf den Wettkampf in seiner Heimatstadt Schanghai. Nein, hundertprozentig fit sei er noch nicht. Aber er werde sein Bestes geben. Antworten wie auswendig gelernt, als hätte es den scherzenden, charmanten, selbstbewussten Siegertypen Liu nie gegeben. Im Hintergrund lauscht die Sportbürokratie, unnahbare Parteikader in schwarzen Anzügen und mit eingefrorenen Gesichtern. In China entscheidet nicht der Athlet, wann er seine Karriere beendet. Im Oktober sind Nationalspiele. Dieser Wettkampf der Provinzen findet wie Olympia alle vier Jahre statt und hat in China eine immense Bedeutung. Hier soll Liu – so haben es die Kader wohl entschieden – für Schanghai starten und siegen, endlich wieder. Sie haben lange genug auf die Rückkehr des Volkshelden gewartet.

Ein riskantes Comeback, mehrfach aufgeschoben. Nach jedem Trainingstag mit Spikes braucht Liu Xiangs Achillesferse lindernde Massagen, verrät Trainer Sun Haiping. In der vergangenen Woche trainierte Liu unter Wettkampfbedingungen und lief die 110 Meter Hürden in 13,71 Sekunden. Er war schon einmal fast eine Sekunde schneller, 12,88 bei seinem Weltrekord 2006, gelaufen bereits unter Schmerzen.

Den Sport braucht Liu auch dank seiner millionenschweren Werbeverträge schon lange nicht mehr. Er wäre auch als Fernsehmoderator oder Sänger ein Star. Warum aber quält sich ein Athlet immer noch, der doch alles erreicht hat: Olympiasieg, Weltmeistertitel, Weltrekord, Werbemillionen und die Bewunderung eines Milliardenvolkes? Bei der Frage stockt Liu Xiang einige Sekunden. In der Pressekonferenz wird es still. „Es ist mein Job“, sagt Liu Xiang mit leiser Stimme, leere Augen blicken ins Nichts. Irgendwo hinten im Raum stehen die Funktionäre.

Frank Hollman[Schanghai]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false