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Sport: Zurück zum Talent

Timo Boll will bei der Tischtennis-WM die Chinesen ärgern und an seine großen Erfolge anknüpfen

Kurz vor der Weltmeisterschaft hat Timo Boll ein ganz neues Ziel vorgesetzt bekommen. Er soll so werden wie Anni Friesinger. Das hat sich Klaus Kärcher ausgedacht, Friesingers Manager. Er kümmert sich nun um Bolls Sponsorenverträge, und für seine Marketingagentur soll Boll das „männliche Flaggschiff werden“, gleichrangig mit Friesinger. Es dürfte ein lustiges Bild sein, die beiden einmal nebeneinander zu sehen, die aufgedrehte Eisschnellläuferin, die gerne bekannt ist und sich manchmal auch durch freizügige Fotos im Gespräch hält – und neben ihr der schüchterne Tischtennisspieler. Wenn Kärcher jedenfalls mit Boll große Werbegeschäfte machen wird, dann nur mit der sportlichen Erfolgsgeschichte.

Dazu bietet sich für Boll von heute an eine ausgezeichnete Gelegenheit. In Schanghai beginnt die Einzelweltmeisterschaft, und eine höhere Aufmerksamkeit könnte Boll kaum bekommen als im Tischtennisland. Die Chinesen sind im Tischtennis schließlich eine stärkere Macht als die Niederländer im Eisschnelllaufen. In China hat der 24 Jahre alte Hesse auch seinen bisher größten Sieg im Weltmaßstab errungen. Das war vor drei Jahren, Boll besiegte beim Worldcup in Jinan sowohl Weltmeister Wang Liqin als auch im Finale Olympiasieger Kong Linghui. Weil Boll im selben Jahr noch Europameister im Einzel wurde und die Spitzenposition in der Weltrangliste einnahm, weckte er riesige Erwartungen. Sein Talent erschien wie das Versprechen, dass auch ein Deutscher wieder mit den Chinesen mithalten könnte.

Doch seitdem ist Boll nicht mehr viel weiter gekommen. Vor dieser Weltmeisterschaft sagt er daher: „Ich möchte die Chinesen ein bisschen ärgern.“ Auch die Auslosung dürfte Boll zurückhaltend gemacht haben. Im Achtelfinale träfe Boll entweder auf den Chinesen Liu Guozheng oder den Rumänen Adrian Crisan. Der Chinese ist ein unangenehmer Gegner, und Crisan zählt zu den Spielern, gegen die Boll meistens schlecht aussieht. Eine Runde später würde dann wohl Ma Lin warten, gegen den Chinesen hat Boll ebenfalls keine guten Aussichten.

Dafür hat sich der Weltranglistenfünfte mit höchster Konzentration auf diese Weltmeisterschaft vorbereitet. Mit der Niederlage im Achtelfinale bei der Europameisterschaft in Aarhus vor einigen Wochen hat er sich gar nicht lange aufgehalten. „Ich habe vor der EM lieber eine Regenerationseinheit mehr gemacht, um bei der WM richtig fit zu sein“, sagt er. Ganz geklappt hat das nicht. Nach Schanghai ist er mit einer Leistenzerrung gekommen. Vor seiner Ankunft in China hat er gemeinsam mit der Nationalmannschaft noch einen Kurzlehrgang mit den Südkoreanern absolviert. So waren die Deutschen gleich in derselben Zeitzone wie Schanghai.

Boll wird sicher darauf hoffen, dass in Schanghai die Vorhersage des Weltmeisters eintrifft. Der Österreicher Werner Schlager hat nämlich vor dem Turnier gesagt, dass die Chinesen im eigenen Land unter so großem Druck stehen, dass ihnen im entscheidenden Augenblick die Nerven versagen. Gegen diese These gibt es einen statistischen Beleg, für sie aber auch einen. Als die WM 1995 zum letzten Mal in China stattfand, holten die Chinesen in Tianjin alle Goldmedaillen. Wieso nicht auch diesmal?

Vielleicht weil die Chinesen schon bei den Olympischen Spielen in Athen und der Weltmeisterschaft 2003 in Paris alle Titel gewinnen konnten – nur nicht den mit dem größten Ansehen. Im Herren-Einzel wurde Schlager Weltmeister und der Südkoreaner Ryu Seung Min Olympiasieger. Den Einzeltitel wollen die Chinesen jetzt im eigenen Land zurückerobern und damit auch ein Zeichen setzen für die Olympischen Spiele 2008 in Peking.

Trainiert hätten sie genauso viel wie sonst, sagt Chinas Cheftrainer Cai Zhenhua. „Aber wir haben diesmal mehr Wert auf die psychische Seite gelegt. Wir kennen den Druck und wollen, dass unsere Spieler die Belastung regulieren können.“ Fünf oder sechs Spieler aus Europa könnten China gefährlich werden, glaubt Cai Zhenhua. Beim Namen nennt er nur einen: Timo Boll.

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