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Sport: Zurück zur Normalgröße

Dank der Niederlage gegen Tschechien erkennen die Deutschen, dass Leichtigkeit harte Arbeit erfordert

Eine Viertelstunde vor Schluss bat Jan Koller um seine vorzeitige Auswechslung. Der tschechische Stürmer machte eine Geste, als wollte er seinen Trainer auf den Zustand geistiger Verwirrung aufmerksam machen: Koller schwirrte der Kopf. Für die Gegner der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ist das zuletzt eine ganz normale Erfahrung gewesen, bei Koller allerdings rührte der Schwindel von einem seiner unzähligen Kopfballduelle her. Verwirrend war allenfalls, dass die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw den Tschechen an diesem Abend so deutlich unterlegen war und am Ende 0:3 verlor. Ein Spiel genügte, um die Überdeutschen wieder auf menschliches Maß zurückzuschrumpfen.

Nach einer Stunde wurden die rührigen Bemühungen der Deutschen von den eigenen Fans mit satter Wut begleitet. Die Bemühungen sahen so aus: Der Ball wurde von rechts in die Mitte gespielt, von dort nach links, dann nach hinten, und anschließend ging es von vorne los. Schneidig pfiff es durch die Münchner Arena, die Spieler waren überrascht von der Wucht. „Gestern standen wir noch als EM-Favorit überall in der Zeitung, jetzt sind wir wieder die Deppen der Nation“, sagte Mittelfeldspieler Torsten Frings. „So schnell geht das auch nur in Deutschland.“

Die Mannschaft hatte diesen Prozess mit ihrer Darbietung noch entscheidend beschleunigt. Bundestrainer Löw vermisste Tempo, Bewegung, Organisation, Rhythmus, Zweikämpfe, Ballgewinne, Ideen aus dem Mittelfeld genauso wie brauchbare Flanken, im Grunde also: alles. „Wir haben in jeder Beziehung schlecht gespielt“, sagte Löw. Durch das 0:3 hat seine Mannschaft wohl auch Platz eins in der Qualifikationsgruppe D verspielt. Bei Punktgleichheit zählt der direkte Vergleich, und den haben die Tschechen nun für sich entschieden.

Trotzdem taugt das unappetitliche Spiel nicht als Vorwand, eine Grundsatzdebatte über den Zustand des deutschen Fußballs loszutreten. „Wir dürfen jetzt nicht alles in Frage stellen“, sagte Mittelfeldspieler Bernd Schneider, einer der vielen prominenten Ausfälle, die Löw ersetzen musste – und nicht konnte. Vor allem der Mangel an Kreativität war auffällig. Ähnliche Probleme im Spiel nach vorne hatten die Deutschen schon am Wochenende beim 0:0 in Irland offenbart. Der Unterschied lag darin, dass die Mannschaft sich gegen die Iren unbedingt den einen Punkt erkämpfen wollte, den sie für die Qualifikation zur EM noch benötigte. Dieser Anreiz fehlte gegen Tschechien. Auch wenn die Deutschen entsprechende Unterstellungen vor dem Spiel auf das Entschiedenste zurückgewiesen hatten, fand es Verteidiger Christoph Metzelder nach dem Spiel zumindest „menschlich, dass man den Biss ein bisschen verliert“. Die Deutschen warteten auf die Bälle, die Tschechen holten sie sich. Mitte der zweiten Hälfte stürzte Zdenek Pospech im Zweikampf mit Marcell Jansen. Der Ball lag für einen Moment frei, Jansen blieb stehen, Pospech rappelte sich auf und spielte weiter. „Wir sind hinter den Aktionen hergelaufen“, sagte Joachim Löw.

Hier einen Schritt einsparen, da ein paar Meter weniger laufen – die vielen vermeintlich kleinen Versäumnisse erzeugten am Ende eine fatale Wirkung. Was die Deutschen im Hinspiel in Prag nahezu perfekt praktiziert hatten, gelang ihnen in München zu keiner Zeit: Sie schafften es nicht, dem tschechischen Pseudospielmacher Jan Koller, der immer wieder hoch angespielt wurde, die Räume für seine Ablagen zuzustellen. Das Gelingen des deutschen Spiels ist in starkem Maße von Automatismen abhängig, doch das heißt gerade nicht, dass alles automatisch läuft.

Vielleicht war das die erfreulichste Erkenntnis dieses unerfreulichen Abends: dass die scheinbare Leichtigkeit, die das deutsche Spiel in seinen besten Momenten zuletzt erkennen ließ, auf harter Arbeit beruht. Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, sprach passend zum Ort des Debakels von „einer Watschn, die vielleicht hilfreich ist für die kommenden Wochen und Monate“. Das Spiel könnte zumindest noch eine wertvolle therapeutische Wirkung entfalten. „Wir müssen jetzt eine gewisse Stärke zeigen, indem wir ordentlich mit der Niederlage umgehen“, sagte Bernd Schneider. „Es geht nicht nur steil nach oben.“

Man kann darüber streiten, wer die Mannschaft auf diesem Weg schon weiter oben vermutet hat: die Medien, die Fans oder die Spieler selbst. Verteidiger Christoph Metzelder jedenfalls bekam zuletzt „das Gefühl, dass diese Mannschaft keine Grenzen hat, dass dieser Mannschaft Europa zu Füßen liegt“. In München hat sich Europa wieder aufgerappelt – was Metzelder aus pädagogischen Gründen gar nicht schlecht fand. Diese deutsche Mannschaft konnte nur werden, was sie ist, weil sie steteWiderstände überwinden musste und an ihnen gewachsen ist. Ihr Gründungsdatum ist der 1. März 2006, die 1:4-Niederlage gegen Italien. „Die Geburtsstunde war das Spiel in Florenz“, sagte Christoph Metzelder, „weil wir uns danach alle hinterfragt und noch mehr getan haben.“ Im Hinblick auf die EM könnte es also gut sein, dass der 17. Oktober für den Rest Europas kein besonders guter Tag gewesen ist.

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