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Sport: Zurückgeschlagen

Timo Boll will wieder der beste Tischtennisspieler der Welt werden

Vor etwa drei Wochen setzte sich Timo Boll eine Papierkrone auf, an einer Raststätte, bei Burger King. Die Krönungszeremonie während der Heimreise war als Spaß gedacht, doch hatte sie einen realen Anlass. Deutschlands bester Tischtennisspieler hatte beim Weltcupturnier in Lüttich nacheinander die drei besten Chinesen besiegt: die Nummer eins, drei und vier der Welt. Boll war damals an Nummer zwei notiert; das ist er heute noch.

Der 24-jährige Boll startet derzeit so etwas wie einen neuen Aufbruch in seiner Karriere. Der Hesse, der nach dem Erfolg in Lüttich vom „besten Turnier meines Lebens“ sprach, will wieder dorthin, wo er im Frühjahr 2003 war: auf den ersten Platz der Weltrangliste. Im Moment lauert der introvertierte Spieler hinter dem Weltmeister Wang Liqin. Bei den German Open in Magdeburg ist aktuell zu beobachten, dass das Spiel des Deutschen nach zwei eher mageren Jahren wieder fließt: seine Bewegungen an der Platte sind rund, die Beine flink und seine Spielweise sehr aggressiv. Im Achtelfinale besiegte er gestern den dänischen Weltmeisterschafts-Dritten Michael Maze mit 4:2. Das Viertelfinale gegen den Rumänen Adrian Crisan gewann er 4:0 und spielt heute gegen den chinesischen Junioren-Weltmeister Ma Long.

Bolls Körpersprache gleicht der von vor drei Jahren, als er neben dem Weltcup auch die Europameisterschaft und das europäische Ranglistenturnier gewann. Doch Boll konnte danach die großen Erwartungen nicht erfüllen, irgendwie verzettelte er sich. Das hatte hauptsächlich zwei Gründe. Der Druck wurde zu groß und Boll schien sein Ziel aus den Augen zu verlieren: hart zu trainieren und sich weiterzuentwickeln. Er gab Wünschen der Medien nach und packte seinen Terminkalender mit Wett- und Schaukämpfen voll. Seine Regeneration litt darunter. Boll bekam Rückenprobleme und rutschte zwischenzeitlich aus den Top-Ten der Weltrangliste.

Aber Boll stürzte nie ganz ab. Dafür ist der Linkshänder mit dem enormen Ballgefühl, der wie kein Zweiter in der Welt den Ball mit extremem Effet anziehen kann, einfach zu talentiert. Doch die Erfolge wurden kleiner. Mit Ausnahme des zweiten Platzes bei der Mannschafts- WM 2004 und dem Vize-WM-Titel im Doppel mit Christian Süß – mit dem Boll am Samstag im Doppel bei den German Open im Viertelfinale scheiterte – gelang Boll nicht viel.

Besonders weh taten dem Ausnahmespieler ein 0:11 im letzten Satz gegen den Vize-Weltmeister Ma Lin beim Weltcup im vergangenen Jahr sowie die Niederlage in der zweiten Runde bei der WM 2003 in Paris gegen den damals 18-jährigen Chinesen Qui Yike, der eher zum Lernen mitgenommen worden war.

Aber Boll zog nach heftiger Kritik, auch vom Mannschaftskollegen und Rekordnationalspieler Jörg Rosskopf, die richtigen Konsequenzen. Der Hesse holte sich den Ehrenpräsidenten des deutschen Tischtennisbunds, Hans Wilhelm Gäb, als Berater an seine Seite. Dann entzerrte er seinen Terminkalender, baute immer wieder kleinere Pausen ein und konsultierte schließlich den Arzt der deutschen Fußballnationalmannschaft, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der sich nun um seinen Rücken kümmert. Seit Januar dieses Jahres sind die Schmerzen weg. Seitdem arbeitet Boll hart an seiner Kondition und seiner Beinarbeit, der Basis für seine neuerlichen Fortschritte.

Ein weiterer Grund für Bolls zweijährige Schwächeperiode lag darin, dass er sich technisch nicht weiterentwickelte. Als der junge Deutsche die asiatische Vormacht das erste Mal erschütterte, spielte Boll das modernste Tischtennis. Dann filmten und analysierten ihn die Chinesen und zogen Trainingspartner heran, die seiner Spielweise ähnelten. So spezialisierten sich die besten Chinesen auf Bolls Schwächen, hauptsächlich bei der Aufschlagannahme.

Jetzt sieht Chinas Nationaltrainer Liu Guliang Boll auf einer Höhe mit seinen Weltmeistern, die sonst übermächtigen Asiaten fürchten Boll wieder. Seit dem Turnier in Lüttich sieht es so aus, als ob Boll den Chinesen wieder einen Schritt voraus ist. „Ich habe mein Spiel verbessert, vor allem bei den kleinen Punkten.“ So ist er kompletter geworden, schwerer auszurechnen. Jetzt ist es wieder an den Chinesen, Bolls winzigen, aber entscheidenden Vorsprung aufzuholen.

Jörg Petrasch[Magdeburg]

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