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In der Alten Försterei bricht eine neue Zeitrechnung an.

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Zweite Fußball-Bundesliga: Der 1. FC Union Berlin will sich neu erfinden

Für den 1. FC Union Berlin beginnt nach dem Abgang von Trainer Uwe Neuhaus eine neue Ära. Nachfolger Norbert Düwel sortiert einiges um in Köpenick. Heute startet die Mannschaft beim Karlsruher SC in die Saison.

Vor wenigen Wochen kehrte die Vergangenheit noch einmal zurück zum 1. FC Union. Uwe Neuhaus, von 2007 bis April 2014 sieben Jahre Trainer des Berliner Fußballklubs, stattete seinem alten Arbeitgeber einen Besuch ab. Genau genommen ist Neuhaus immer noch ein Angestellter des Zweitligisten, allerdings ein beurlaubter. Was Neuhaus auf der Geschäftsstelle wollte, ist nicht ganz sicher. Nur ganz wenige hätten ihn gesehen. Wie ein Geist sei er durch das Gebäude gehuscht und schwupp, sei er auch schon wieder weg gewesen.

Beim 1. FC Union ist Neuhaus längst ein Relikt aus vergangenen Tagen. Der Mann, der inzwischen das Training leitet, heißt Norbert Düwel, ist 46 Jahre alt und trägt an diesem Tag eine ausgeblichene Baseballkappe zum Schutz gegen die Sonne. Obwohl noch Vormittag, ist es schon ziemlich warm, zirka 25 Grad. Die Hitze tut ihr Übriges, aber wahrscheinlich würden die Spieler auch bei 15 Grad weniger so aussehen, wie sie in diesem Moment aussehen: ziemlich erschöpft. Düwel hat eine Spielform auf engem Raum angeordnet, das Tempo ist hoch. Trotzdem unterbricht er die Einheit oft, erklärt, korrigiert, lobt und ermahnt. Erst nach rund 130 Minuten hat er ein Einsehen und schickt seine Spieler unter die Dusche. Beim Gang vom Platz, der vielmehr einem Krauchen gleicht, ist vielen anzusehen: Sie haben schon lange nicht mehr so hart trainiert. Egal wie die Saison auch verlaufen wird, eines ist jetzt schon sicher: Die Mannschaft wird am heutigen Sonntag beim Karlsruher SC (15.30 Uhr/Sky live) topfit in die Spielzeit 2014/15 starten.

Ungewissheit liegt in der Luft, die Mannschaft ist schwer einzuschätzen

Es hat sich einiges verändert in Köpenick in den vergangenen Monaten, nicht nur was die Trainingsmethoden angeht. Die Atmosphäre ist eine andere. Vor der vergangenen Saison war der Aufstieg das Ziel gewesen, dafür stellte der Verein einen Rekordetat bereit. Die neue Haupttribüne versprühte den Charme einer englischen Fußballarena, alles schien bereit für das Abenteuer Bundesliga.

Nun liegt Ungewissheit in der Luft. Sportlich ist die Mannschaft schwer einzuschätzen. Alles scheint möglich. Positiv wie negativ. Die Vorbereitung überstand Union ohne Niederlage, aber das muss nichts heißen. Auch in den vergangenen zwei Jahren blieb die Mannschaft ungeschlagen und startete anschließend schwach. Neuhaus gelang es aber stets, das Team aus der Krise zu hieven. Bevor Neuhaus kam, hatte Union turbulente Jahre durchlebt. Der Trainer half mit, den ehemaligen Chaosklub zu stabilisieren. Droht jetzt ohne ihn ein Rückfall in frühere Zeiten? Wohl kaum.

Je näher der Saisonstart rückt, desto mehr mischt sich Vorfreude unter die Ungewissheit. Sie ist bei allen Beteiligten spürbar. „Wir freuen uns auf die neue Saison. Auch deshalb, weil wir gesehen haben, dass das eine oder andere besser läuft“, sagt Präsident Dirk Zingler. Man kann diesen Satz durchaus als eine Spitze Richtung Neuhaus interpretieren. Zingler und Neuhaus waren während ihrer letzten gemeinsamen Wochen nur noch selten einer Meinung, vor allem, was die vorhandenen Möglichkeiten angeht. Nur vier neue Spieler haben die Berliner bisher verpflichtet, von denen wahrscheinlich nur einer das Potenzial besitzt, dauerhaft Stammspieler zu sein. Dahinter steckt auch der Vorwurf an Neuhaus, dass mit diesem Kader mehr möglich gewesen wäre.

Im Profifußball sagt der neue Trainer oft viel über den alten aus

In den letzten Wochen seiner Amtszeit, als der Aufstieg in die Bundesliga nicht mehr zu schaffen war, hatte sich Agonie breitgemacht. Die Spieler tuschelten, der Trainer hätte längst aufgegeben. Präsident Dirk Zingler wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, dass sein großes Ziel, der Bundesliga-Aufstieg, mit Neuhaus auch im kommenden Jahr wahrscheinlich nicht möglich ist. Also verkündete er den Abschied vom langjährigen Trainer, rief einen „emotionalen Neustart“ aus und präsentierte kurz darauf den selbst Fachleuten weitgehend unbekannten Norbert Düwel, einen ehemaligen Sportdozenten der TU München, der wenn überhaupt nur als Co-Trainer von Hannover 96 aufgefallen war. Über Düwels erste Wochen bei Union sagt Zingler: „Uns im Vorstand ist aufgefallen, dass der neue Trainerstab durch eine andere Ansprache, durch eine andere Mentalität versucht, Leistungsreserven aufzudecken.“

Im Profifußball sagt der neue Trainer oft viel über den alten aus. Er ist meist das genaue Gegenteil. Auf den Autoritären folgt der Kommunikator, auf den Spielerversteher der harte Hund, auf den Bauchmenschen der Analytiker. Norbert Düwel ist vielleicht von allem ein bisschen. Er sucht den Kontakt zu seinen Spielern, ohne zu nahbar zu wirken. Er diskutiert gern, trifft die wichtigen Entscheidungen aber allein. So wie vergangene Woche, als er Unions Idol Torsten Mattuschka die Kapitänsbinde wegnahm und sie dem 25 Jahre alten Kroaten Damir Kreilach gab. Dahinter steckte eine Botschaft: Wer einen Neustart will, muss auch bereit sein, sich von vertrauten Gegebenheiten zu lösen.

Düwel brachte keine Vertrauten mit, er will sich Vertraute schaffen

Norbert Düwel ist kein Reformator vom Schlage eines Jürgen Klinsmann. Klinsmann hatte nach seiner Ernennung zum Bundestrainer angekündigt, den Deutschen Fußball-Bund „auseinander nehmen“ zu wollen. Düwel nimmt nichts auseinander, er sortiert nur neu. Wenn Klinsmann ein Orkan war, der gnadenlos über die Gemäuer des DFB hinwegfegte, dann ist Düwel eine steife Sommerbrise. Er bringt angenehme Erfrischung, ohne zu entwurzeln.

In seinen wenigen Wochen beim 1. FC Union hat Düwel bereits ein feines Gespür für die Befindlichkeiten im Klub entwickelt. Die beiden langjährigen Mitarbeiter Holger Bahra und André Hofschneider behielt er, obwohl sie schon unter Neuhaus da waren. Sebastian Bönig, ein ehemaliger Kapitän des 1. FC Union, ergänzt den Trainerstab. Düwel brachte keine Vertrauten mit nach Berlin, er will sich Vertraute schaffen.

Kein Orkan wie einst Klinsmann. Düwel sortiert mit Bedacht neu.
Kein Orkan wie einst Klinsmann. Düwel sortiert mit Bedacht neu.

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Im Verein wissen sie, dass diese Saison ein Übergangsjahr werden könnte. Der Etat wurde kaum erhöht, auch bei den Dauerkartenverkäufen deutet vieles auf eine ähnliche Marke wie in der vergangenen Spielzeit hin. Übermäßige Euphorie herrscht nicht. „Wir werden keinen Tabellenplatz als Saisonziel ausgeben“, sagt Zingler. Er will keinen zusätzlichen Druck aufbauen. Wichtig sei, dass sich die Mannschaft schnell finde und an den neuen Trainer gewöhne.

Und wenn das länger dauern sollte als gedacht? Was, wenn Union sich im Herbst im unteren Tabellendrittel wiederfindet? Dirk Zingler mag die Frage nicht, sein Gesicht verrät es. Vielleicht will er sich auch einfach nur nicht mit diesem Szenario beschäftigen. „Ich hab Geduld“, sagt er, ohne eine Miene zu verziehen.

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