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Gesellschaft: Studenten Futter

Michael Ballhaus hat für Fassbinder und Scorsese die Kamera geführt. Nun lehrt er seine Kunst an der italienischen Slow-Food-Uni. Denn Kochen und Filmen haben für ihn vieles gemeinsam.

Die Pizza blubbert, das Messer hackt, das Brot kracht, der Einkaufswagen fährt. Am Griff: Michael Ballhaus, seine Ladung: ein Filmstudent. Szenen aus der Dokumentation „A Day in Eataly“, die am Mittwoch auf der Berlinale beim „Kulinarischen Kino“ zu sehen ist.

Auf den Filmfestspielen, vor zwei Jahren, fing auch alles an. Berlinale-Chef Dieter Kosslick, der das Essen so sehr wie das Kino liebt, hatte Slow Food-Gründer Carlo Petrini zusammen mit dem Kameramann auf ein Podium gesetzt. Auch wenn der eine kein Englisch, der andere kein Italienisch sprach, verstanden haben sie sich sofort.

Petrini erzählte von der neuen Slow-Food-Universität im italienischen Pollenzo, wo Studenten aus aller Welt „Gastronomische Wissenschaften“ studieren – und Exkursionen zu Produzenten in aller Welt unternehmen: zu Weingütern in Kalifornien, Kleinbauern in Indien, Fischern am Po. Es sei doch schade, da war man sich einig, wenn man diese einzigartigen Erfahrungen nicht aufbewahrt. Und so entstand die Idee, den Studenten des Essens auch das Filmen beizubringen.

Der bekannteste und erfolgreichste Kameramann Deutschlands, berühmt für seine enge Zusammenarbeit mit Fassbinder und Scorsese, dafür, wie er Michelle Pfeiffer in „Die fabelhaften Baker Boys“, Paul Newman und Tom Cruise in „Die Farbe des Geldes“ mit der Kamera umschmeichelte, der bei „Gangs of New York“ von einem 100-Millionen-Budget profitieren konnte, machte sich also ans Low-Low-Low-Budget-Werk. Zusammen mit Thomas Struck, Dokumentarfilmer und Leiter des Kulinarischen Kinos, und einem seiner Filmstudenten fuhr Ballhaus im Sommer ins Piemont.

Einen idealen Drehort für die Anfänger hatten sie schnell gefunden: „Eataly“, ein neuer Supermarkt in Turin, der nach dem Prinzip von Slow Food überwiegend biologische Produkte von Produzenten aus den Regionen Italiens anbietet sowie selbst gemachte Lebensmittel. Ein Laden, der – mit enormem Erfolg – nach dem Vorbild des Berliner KadeWe Einkaufen und Essen miteinander verbindet. Dort hat Ballhaus auch das beste Tartar seines Lebens bekommen, wie er sagt, „da wird das Fleisch mit dem Messer gehackt, nicht durch den Wolf gedreht und gequetscht“.

Michael Ballhaus isst so gerne wie er kocht: „sehr sehr gerne“. Und am liebsten italienisch. Jetzt sitzt er bei einem Glas Wasser im Ohrensessel in Berlin, umgeben von alten und neuen Möbeln und jeder Menge Bücher. Darunter auch Kochbücher natürlich, von denen ihm Bioleks das liebste ist, „das kann man vom Blatt spielen“. Vor mehr als 25 Jahren hat er die schöne Zehlendorfer Altbauwohnung gefunden, hier lebt der Herr heute mit Hund. Lulu, der Scotchterrier, hüpft einem gleich erfreut auf den Schoß, „der denkt immer, alle besuchen ihn“.

Gepflegt ergraut könnte der höfliche Ballhaus durchaus als italienischer Signore durchgehen. Ein Herr mit Hosenträgern. Die gehören zu ihm wie der rote Schal zu Dieter Kosslick, heute sind sie schwarz und breit, mit weißen Punkten. Der Bauch, sagt der Kameramann, das ist es, was sich am meisten verändert, mal ist er dick, mal ist er dünn, und wer will sich schon dauernd neue Hosen kaufen. Gürtel mag er nicht, die engen ihn zu sehr ein. Bewegungsfreiheit ist nun mal ein Muss, Ballhaus ist berühmt für seine eleganten Kamerafahrten. Um die opulent gedeckte Tafel in Scorseses „Zeit der Unschuld“ zum Beispiel gleitet er herum, als würde er tanzen – ein langsamer, ruhiger Tanz.

Das war es denn auch, was ihm bei den ersten Filmversuchen der Studenten in Turin fehlte, neben „einem Gefühl für Bilder“: die Bewegung. Auf jeden Fall die harmonische – unruhig wackelte die Kamera herum. Also schnappte sich Ballhaus im Supermarkt den Einkaufswagen und fuhr seinen Studenten mit der Kamera durch die Gänge, zwischen Fleisch und Brot, Pasta und Gemüse und strahlenden Einkäufern herum. Mit der Jazzmusik, die zwischendurch erklingt, bekommt der Film plötzlich die Poesie eines echten Ballhaus.

Musikalität, das ist für den Liebhaber von Mozart und Mahler eine Grundvoraussetzung für seinen Beruf. Und etwas, was Filmen und Kochen miteinander verbindet: „Rhythmus und Timing, das Einschätzen, wie lange was dauert, das ist bei beiden extrem wichtig.“ Wann ist alles eingeleuchtet, wann können die Schauspieler kommen, so dass sie nicht warten müssen? (Schnell sein, das hat er bei Fassbinder gelernt.) Wann dirigiere ich die Gäste an den Tisch, damit sie sitzen, wenn die Pasta kommt und nicht kalt wird? Der gelernte Fotograf komponiert seine Menüs, so wie seine Bilder. „Das soll einen Spannungsbogen haben: Mit was reizt man den Gaumen, was gibt’s als Nachtisch, ist das ein Abschluss oder noch mal ein kleiner Höhepunkt?“ Für die Harmonie baut der Gastgeber gern ein Leitmotiv ein, Feigen etwa kommen dann in jedem Gang vor.

Heute weichen Feigen auf der Fensterbank seiner sympathischen kleinen Küche ein. Vier Küchen hat der Kosmopolit, in Berlin, Franken, New York und Los Angeles. Die kalifornische ist die perfekteste, groß, modern, mit allen Küchenmaschinen, „tollen Töpfen“ und Gasherd, „da ist das Timing ein anderes“.

Ballhaus kocht am liebsten allein, nur mit seiner Frau Helga, mit der er fast 50 Jahre verheiratet war und zwei Söhne hat, die auch beim Film arbeiten, bildete er ein Team. Sie hat „die Zureichungen gemacht“, hat Gemüse fürs Osso Buco geschnipselt, hat Suppen gekocht. Sie war die wichtigste Unterstützung im Leben wie bei der Arbeit, in etlichen Filmen hat sie mitgewirkt bis sie im vorletzten Jahr plötzlich gestorben ist.

72 Jahre ist Ballhaus alt, im Ruhestand lebt er nicht. Die Journalisten geben sich an diesem Morgen die Klinke in die Hand, zwischendurch klingelt das Telefon, er bezieht Position zum Austritt von Til Schweiger aus der Deutschen Filmakademie, deren aktives Mitglied Ballhaus ist, am Nachmittag ist schon wieder ein Termin. Er sitzt in Gremien, unterrichtet an Filmhochschulen und dreht im Sommer einen neuen Film mit Ciro Cappellari: über Berlin – Menschen in ihrem Raum, der Konzertmeister in der Philharmonie zum Beispiel, die Ballhaus so liebt, der Leiter der Deutschen Film- und Fernsehakademie im Sony Center.

Am Potsdamer Platz wird man Ballhaus in diesen Tagen häufiger sehen – im Kino, nicht am Party-Buffet. Lieber isst der Genießer zu Hause in Ruhe was, als sich im Stehen etwas reinzuschieben, „das finde ich schrecklich, furchtbar, das ist kein Genuss“.

In München wurde ihm vor zwei Wochen der Bayerische Filmpreis verliehen, dort ehrten die Kollegen ihn mit standing ovations. Es gibt wohl kaum jemanden in der Branche, dem die Sympathien, ja, Herzen so ungeteilt gehören. Kein Wunder, „Be a Mensch“, das Lebensmotto Billy Wilders, hat sich auch Michael Ballhaus zu eigen gemacht. Schwer vorstellbar, dass er am Filmset mal explodiert. Vielleicht hilft auch das, die Ruhe zu bewahren: dass er das Mittagessen immer allein in seinem Camper einnimmt – um danach eine halbe Stunde im Tiefschlaf zu versinken.

Freundlich und sympathisch gibt er sich auch im Interview, ein großer Erzähler allerdings ist er an diesem Morgen nicht. Keine Antwort länger als unbedingt nötig, ein, zwei leise Sätze, dann ist Schluss. Bald wird ihn der Hunger nach draußen treiben, zur Bäckerei am Mexikoplatz, er hat ein bisschen Sorge, ob er noch das Baguette bekommt, das er so mag, das Gemüse hat er schon verpasst: An der Argentinischen Allee kauft er das immer ein, bei einem Bauern aus dem Umland, „das ist fantastisch, besser selbst als im Bioladen. Was man isst, das tut ja was mit einem: nicht nur mit dem Körper, auch mit dem Kopf.“

Er selber musste nicht missioniert werden, die Idee von Slow Food – natürliches Essen, gute Zutaten, das Bewahren alter Traditionen –, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. „Wir haben immer im Reformhaus eingekauft.“ Wenn die Zutaten nicht direkt vom Baum in den Topf wanderten. In Berlin geboren, ist Ballhaus auf dem Land groß geworden. Als er sieben war, zogen die Eltern nach Franken, wo die beiden Schauspieler ein Theater führten. In einem Schloss wohnte die ganze Truppe, beim Essen saßen immer alle gemeinsam am Tisch. Schon die Kinder hatten Küchendienst, als kleiner Junge bekam Ballhaus sein erstes Kochbuch geschenkt.

Auch wenn in Berlin inzwischen sein Lebensmittelpunkt liegt, und er Jahrzehnte in den USA verbracht hat: Franken, das ist bis heute die Heimat, an der sein Herz hängt, „mein schönstes Plätzchen, ein Paradies“. Dort hat er ein Bauernhaus, in die Scheune hat er ein Kino eingebaut, im Garten stehen alte Pflaumen- und Apfelbäume. Nur zur Ernte ist er meistens gerade nicht da, darum kümmert sich dann ein befreundeter Bauernsohn.

Michael Ballhaus wird weitermachen an der Slow-Food-Uni in Piemont, er ist Schirmherr des Projekts – er unterrichtet gerne, genießt die Restaurants der schönen Gegend, „da gibt’s in jedem Dorf ein gutes, in manchen ein sehr gutes“, allein: die Zeit. „Wenn ich sie habe, mach ich’s sehr gerne, aber es wird auch ohne mich laufen.“ Dann werden Thomas Struck und die Filmstudenten seinen Part mit übernehmen.

Ob er selber gern in Turin studiert hätte? Ballhaus zögert. Er wusste schon so früh, was er werden wollte, seit er als 18-Jähriger auf dem Set von Max Ophüls „Lola Montez“ zugeguckt hat. Aber die Idee hat durchaus ihren Reiz, allein die internationale Zusammensetzung der Studentenschaft, die Exkursionen zu den Produzenten… „Ich beneide die schon, was die alles sehen und lernen. Aber – nee – es geht mir doch mehr um Bilder. Um das Geschichtenerzählen.“

Das Kulinarische Kino beginnt morgen im Martin-Gropius-Bau, wo Carlo Petrini und Ferran Adrià mit Giovanni di Lorenzo über „Die Zukunft der Nahrung“ reden werden, nach der Vorführung von Buñuels „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ und einem Menü von Bobby Bräuer („Quadriga“). Bei der Vorführung von „A Day in Eataly“ am Mittwoch um 22 Uhr in Anwesenheit von Michael Ballhaus wird Petrini die Universität vorstellen (www.berlinale.de). Ein langes Gespräch des Kameramanns mit Regisseur Tom Tykwer ist unter dem Titel „Das fliegende Auge“ im Berlin Verlag erschienen (24 Euro).

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