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Am 21. Februar 1968 fand auf dem John-F.-Kennedy-Platz vor dem Rathaus Schöneberg eine Kundgebung stand. Es sprachen dort der Regierende Bürgermeister Schütz, der Berliner DGB-Vorsitzende und Parlamentspräsident Sickert sowie mehrere Vertreter der Parteien und Jugendorganisationen.

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1968 im Tagesspiegel: 150000 demonstrierten auf dem Kennedy-Platz unter dem Motto "Berlin steht für Freiheit und Frieden"

Vor 50 Jahren riefen Parteien, Gewerkschaften und Senat die Berliner zu einer Kundgebung auf - als Antwort auf die Demonstration linksextremer Studentengruppen im Zusammenhang mit der Vietnam-Konferenz

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 22. Februar 1968 berichtete die Zeitung über eine große Kundgebung auf dem Kennedy-Platz.

150000 Berliner waren nach Angaben der Polizei gestern nachmittag dem Aufruf des Senats, der Parteien, und der Gewerkschaften zu einer Kundgebung vor dem Rathaus Schöneberg gefolgt. Sie demonstrierten damit gegen die in der Stadt aktiv gewordenen Linksextremisten und bekundeten zugleich ihr Vertrauensverhältnis zu den alliierten Schutzmächten. Die Redner, an ihrer Spitze der Regierende Bürgermeister Schütz, setzten sich für eine friedliche politische Lösung des Vietnam-Konflikts ein und distanzierten sich von der Demonstration vom vergangenen Sonntag.

Am Rande der Kundgebung, die im ganzen diszipliniert verlief, kam es zu zahlreichen kleineren Zwischenfällen, bei denen Personen verletzt, Photographen behindert und Transparente zerstört wurden.

Als erster Redner distanzierte sich der Vorsitzende des Ringes Politischer Jugend, Grimming (SPD), von den "radikalen Minderheiten in der Stadt". Er forderte die Kundgebungsteilnehmer auf, das Urteil über diese Gruppen nicht zum Vorurteil gegen die gesamte Jugend werden zu lassen. Unter lebhafter Zustimmung erklärte er: "Es gibt keine Gemeinsamkeit zwischen der überwiegenden Mehrheit der Berliner Jugend und denen, die Lehrfilme zum Bau von Molotow-Cocktails zeigen, die Fensterscheiben einschlagen, die in Kirchen randalieren, die - gewollt oder ungewollt - mit dem Kommunismus gemeinsame Sache machen." Die junge Generation in Berlin wisse sich einig mit allen Schichten der Bevölkerung in der Ablehnung und Verurteilung jedes Krieges - auch des Krieges in Vietnam - sowie in der Ablehnung jeder Diktatur.

 Mattick: Verständnis für Ungeduld

Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Mattick sagte, man müsse Verständnis für die Ungeduld der Jugend aufbringen, die der Meinung sei, in der Demokratie gehe alles zu langsam. "Das aber ist der Preis der Freiheit." Der Zwang, so sagte Mattick, könne den Gang der Dinge manchmal beschleunigen, aber die Würde des Menschen gehe dabei verloren. Freiheit und Ordnung seien unteilbar. Wer die Ordnung zerstören wolle, müsse wissen, daß am Ende die Unfreiheit stehe. "Deshalb sagen wir den jungen Menschen, die nach Berlin kommen: Jeder, der bei uns arbeiten oder studieren will, wird seinen Platz in der Berliner Bevölkerung haben und an der demokratischen Entwicklung mitwirken können. Aber Unruhestifter und Randalierer, die unsere Freiheit zerstören wollen, sollen dahin gehen, wo sie hergekommen sind."

 Amrehn: Deutlicher Trennungsstrich 

Eine immer wieder von Beifall unterbrochene Kampfansage richtete der Berliner CDU-Vorsitzende Amrehn an die radikalen Kräfte. Er forderte einen "deutlichen Trennungsstrich" zwischen der Bevölkerung der Stadt und den "revolutionären Kräften, die uns allen schweren Schaden zufügen". Auf die Freunde könnten sich die Berliner verlassen. Die Gegner aber sollten wissen, daß die Berliner wie eh und je zusammenständen, wenn versucht werde, die Freiheit von innen her zu zerstören. Als Amrehn davon sprach, daß man es .satt" habe, "wenn einzelne Stadträte an den Umzügen der Maoisten teilnehmen", rief ein großer Teil der Menge im Sprechchor: "Ristock raus!"

In scharfer Form wandte sich Amrehn gegen den Verwaltungsgerichtsbeschluß, der die Vietnam-Demonstration vom Sonntag für zu- lässig erklärte. Amrehn sagte, wenn an der Technischen Universität der SDS den Über- gang zur Revolution gefordert habe und die Senatsmitglieder als Verbrecher bezeichnet worden seien, und wenn dann einige Häuser nebenan das Gericht erklärt habe, die be- fürchtete Störung der öffentlichen Ordnung sei nur eine unzureichende Vermutung der Staatsbehörde, "dann mutet mich ein solcher Spruch in unserer Zeit geradezu gespenstisch an". Wer Unruhe stifte durch Randalieren, hindere Besucher, nach Berlin zu kommen und hier zu kaufen. Er hindere Kaufleute, Aufträge zu erteilen und in Berlin zu investieren und rühre damit an die Sicherheit der Wirtschaft und an die Existenzgrundlagen der Arbeiter.

 Sickert: Das Erarbeitete bewahren

Anschließend sprach Parlamentspräsident Sickert in seiner Eigenschaft als Berliner DGB-Vorsitzender. Man habe sich zusammen- gefunden, so sagte er, um vor aller Welt zu bekunden, daß die Berliner entschlossen seien, das zu verteidigen, was die Arbeitnehmer in den bitteren Zeiten des Aufbaus und der Not unter Einsatz aller Kräfte erarbeitet hätten. Berlin wisse, was die Garantie der Alliierten für die Stadt bedeute. Berlin sei daher der letzte Ort, an dem eine der Schutzmächte ohne Widerspruch beschimpft und verunglimpft werden dürfe. Als Sickert an die Sitzung des parlamentarischen Untersuchungs-ausschusses am Dienstag erinnerte, in der sechs als Zeugen geladene SDS-Mitglieder die Aussage verweigert hatten, riefen Sprechchöre: "Dutschke raus!" Sickert hob hervor, diese Demonstration beweise, welches wirklich die Meinung der Berliner sei.

Schütz: USA schützen Freiheit Berlins Der Regierende Bürgermeister Schütz erklärte als letzter Redner unter dem Beifall der Kundgebungsteilnehmer, die drei Schutzmächte gehörten "zu uns", und dabei werde es blei- ben. Die Amerikaner seien in Vietnam in einen tragischen Krieg verstrickt. In Berlin seien sie jedoch, um die Freiheit der Stadt zu erhalten, und da könne man es nicht zulassen, daß sie verunglimpft würden. Wer sich um die Menschen in Vietnam sorge, müsse wissen, daß einseitige Verurteilungen keinen Frieden brächten. "Letzten Endes wird es keine nur militärische Lösung, sondern es muß eine politische Lösung geben." Wer das Sterben in Vietnam wirklich beenden wolle, dürfe nicht soviel von Haß und Krieg reden, wie es in Berlin am letzten Sonntag getan worden sei, sondern müsse Verständigung und Frieden fordern.

Die "politischen Unappetitlichkeiten" des vergangenen Wochenendes bezeichnete Schütz als nicht wichtig. Die Hammer-und-Sichel-Fahnen, Pappköpfe und Transparente mit unerträglichen Losungen seien kein schöner Anblick gewesen. Man solle auch nicht auf ein Gericht schimpfen, sondern lieber prüfen, wie mit den Mitteln des freiheitlichen Rechtsstaats in Zukunft Wiederholungen verhindert werden könnten.

"Keine ernsthafte Erschütterung"

Schütz richtete auch ein Wort an die Sowjetunion und die "Machtträger in Ost-Berlin". Er hob hervor, daß Berlin nie eine Krise gewollt habe. Die Funktionäre in Ost-Berlin sollen nicht glauben, "daß die Randerscheinungen der letzten Tage unsere Stadt ernsthaft erschüttert haben". Mit Pfui-Rufen antworteten die Versammelten auf die Mitteilung von Schütz, aus Ost-Berlin hätten schrille Töne die Kundgebung vor dem Rathaus mit der Behauptung begleitet, die West-Berliner seien "auf Befehl des Senats", der "Konzernbosse" und der Gewerkschaften zur Demonstration gekommen. Schütz sagte dazu: "Dies ist nicht das Walter-Ulbricht-Stadion. Dieser Platz hat seinen Namen nach John F. Kennedy." Die Kundgebung schloß mit dem Absingen der Nationalhymne, intoniert vom Musikkorps der Schutzpolizei, und dem Geläut der Freiheitsglocke

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