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Klaus Schütz war fast 10 Jahre lang Regierender Bürgermeister von West-Berlin - von 1967 bis 1977. Auf dem Foto sieht man ihn 1967 vor dem Stacheldrahtzaun, der die Westberliner Enklave Steinstücken umgab.

© dpa

1968 im Tagesspiegel: Berliner Senat will künftig Ausschreitungen verhindern - Schütz sichert Rektoren volle Unterstützung zu

Der Tagesspiegel berichtete vor 50 Jahren über die Erklärung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. In der Ausgabe vom 6. Februar 1968 ging es um die politische Diskussion über die Studentenunruhen.

Berlin. Der Senat wird mit allen ihm zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln gegen jeden Versuch vorgehen, den Rechtsstaat handlungsunfähig zu machen. Mit diesen Worten kündigte der Regierende Bürgermeister Schütz am Montag den Entschluß des Senats an, Ausschreitungen in der Stadt zu begegnen. In seiner ersten Pressekonferenz nach der Rückkehr von seiner einwöchigen USA-Reise sagte Schütz: "Wir sind entschlossen, nicht zuzusehen, daß an Universitäten kriminelle Handlungen zumindest angeregt, wenn nicht sogar gefordert und eingeleitet werden. Wir werden hinter den Universitätsinstanzen stehen, wenn sie uns dabei unterstützen, Veranstaltungen, die zur Vorbereitung dieser kriminellen Handlungen dienen, zu unterbinden." Ferner müsse festgestellt werden, daß es für die große Zahl unserer" Studenten immer weniger möglich sei, ihr Studium ordnungsgemäß abzuhalten. Es sei auch für die Professoren und Dozenten immer schwieriger, ihren Auftrag als Hochschullehrer auszuüben. Im einzelnen führte Schütz aus: 1. Der Senat stehe in enger Zusammenarbeit mit den Rektoren der Universitäten. Sie könnten sich darauf verlassen, daß jede Maßnahme, die sie in Ausübung ihrer Pflicht treffen, vom Senat mitgetragen werde. 2. In Zusammenarbeit mit den Rektoren werde in diesen Tagen klargestellt, ob an allen unseren Universitäten das bestehende Ordnungsrecht noch ausreiche. Sollte man zu Schlußfolgerungen kommen, daß es Universitäten gebe, die nicht mehr in der Lage seien, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Disziplinarordnungen den Lehrbetrieb ordnungsgemäß aufrechtzuerhalten, so werde der Berliner Gesetzgeber die erforderlichen Vorkehrungen treffen müssen. 3. Gerade weil man sich bemühe, das Demonstrationsrecht, das zur freiheitlichen Lebensordnung gehöre, zu gewährleisten, werde man verhindern müssen, daß Demonstrationen zum Ausgangspunkt von terroristischen Vorgängen auf den Berliner Straßen mißbraucht werden. Das Ziel sei weiterhin, trotz aller Schwierigkeiten den Versuch zu unternehmen, ein modernes Hochschulgesetz zu schaffen. Das Ziel bleibe, den Studenten die Möglichkeit zu erhalten, ihr Studium fortzusetzen und erfolgreich abzuschließen, und den Professoren und Dozenten die Möglichkeit zu geben, daß sie wieder ihren eigentlichen Aufgaben an den Universitäten nachkommen könnten.

Der Landesvorstand und der Landesausschuß der Berliner SPD stellten sich gestern Abend vollinhaltlich hinter die Erklärungen von Schütz und Bürgermeister Neubauer. Die vom Senat angekündigten entschlossenen Maßnahmen gegen rechtswidrige Ausschreitungen würden von der SPD begrüßt. Senator Stein nahm aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Sitzung teil

CSU-Anfrage zu Studentenunruhen

Bonn (dpa). Eine Stellungnahme der Bundesregierung zu den Studentenunruhen an deutschen Hochschulen wünscht der CSU-Abgeordneten Pohle in einer Drei-Punkte-Anfrage. Die Bundesregierung soll erklären, wie die Freiheit der Lehre und Forschung sowie ein geordneter Lehr- und Forschungsbetrieb — außer durch polizei- und strafrechtliche Verfolgung — wirksam vor dem "Gesinnungsterror und den illegalen Störaktionen einer Minderheit" geschützt werden könnte. Außerdem will Pohle wissen, ob die Bundesregierung die vom Grundgesetz geforderte Treue zur Verfassung für gewährt erachtet, wenn einzelne Professoren die Bestrebungen der linksradikalen Studenten unterstützen. Auch soll die Bundesregierung Auskunft über Möglichkeiten geben, um in der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, daß das "Ziel der linksradikalen Provokateure in Wahrheit nicht die sachliche Diskussion über die Hochschulreform" ist, sondern die Lähmung des Universitätsbetriebes und die Vernichtung der rechtsstaatlichen demokratischen Ordnung.

 CDU wirft dem Senat Tatenlosigkeit vor

Tsp. Berlin. Die CDU-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses hat dem Senat gestern vorgeworfen, sich seit nunmehr zwei Jahren auf eine "Politik harter Worte und ständiger Tatenlosigkeit" verlegt zu haben. In der Pressekonferenz am Montag habe Schütz Handlungsunfähigkeit dargeboten und die Berliner wiederum vertröstet. Seit der Demonstration vor dem Amerika-Haus vor zwei Jahren warteten die Berliner auf Taten des Senats. Schütz ließ dazu am Abend über das Senatspresseamt erwidern: „Die Berliner CDU steht im politischen Abseits. Einen brauchbaren Vorschlag hat sie bisher nicht gebracht. Der Senat geht seinen Weg weiter. Er kann nur bedauern, daß in einer schwierigen Lage die Opposition auf einen sachlichen Beitrag um einer parteiegoistischen Polemik willen verzichtet."

 ÖTV fordert konsequentes Einschreiten

Die Bezirksleitung Berlin der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und ihre Hauptabteilung Polizei haben gestern von Schütz ein „schnelleres und konsequentes Einschreiten der Polizei gegen politische Rowdies" gefordert. Jetzt gehe es darum, das Vertrauen der Berliner Bevölkerung zu ihrer Polizei zu erhalten. Eingeschlagene Scheiben von Verlags-Filialen nach dem Vorbild der Kristallnacht und Krawalle einer Minderheit seien deutlich.

 Adolf Arndt verurteilt Anschläge

Der ehemalige Senator für Wissenschaft und Kunst in Berlin und langjähriges Mitglied des SPD-Parteivorstandes, Rechtsanwalt Adolf Arndt, schrieb an den Verleger Axel Springer: "Als sei es erst gestern gewesen, steht mir vor Augen, daß Hitlers braune SA die Schaufenster der Jüdischen' Warenhäuser zertrümmerte. Das war einer der Auftakte zum Völkermord. Die Gewalttaten ,roter' Faschisten gegen Zweigstellen Ihres Verlages erfüllen mich mit Empörung und Abscheu. Dieser Bubenstreich ist ein gegen Recht und Freiheit gerichtetes Verbrechen. Alle müssen darin solidarisch sein, solchen Wiederanfängen zu wehren."

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