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Der Trainer vom Fußball-Bundesligisten Hertha BSC, Helmut Kronsbein (vorne), aufgenommen beim offiziellen Fototermin für die Saison 1968/1969 mit einem Teil seiner Mannschaft. Torwart Gernot Fraydl links im Bild.

© Chris Hoffmann / dpa

1968 im Tagesspiegel: Vor 50 Jahren: Hertha BSC ist zurück in der Bundesliga

Der Originalbericht vom ersten Spieltag in Frankfurt: Zum Schluß fehlte Hertha BSC die Kraft - Gernot Fraydls krasser Fehler besiegelte die 0:2-Niederlage.

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 18. August 1968 berichtete der "nach Frankfurt entsandte Mitarbeiter" des Tagesspiegels von der Niederlage des Berliner Bundesligisten Hertha BSC gegen Eintracht Frankfurt.

Nach einer 0 : 2 (0 :1) -Niederlage im Frankfurter Waldstadion gegen die Eintracht liegt Berlins Fußball-Bundesligist Hertha BSC nach dem ersten Spieltag der neuen Saison auf Platz 17, der am Ende der Spielzelt den Abstieg bedeuten würde. So weit aber ist es noch lange nicht, und die Leistung der Berliner in Frankfurt gibt durchaus zu der Hoffnung Anlaß, daß sie im Verlaufe der nächsten Spiele auf der Tabellenleiter einige Sprossen höher klettern werden. Der Frankfurter Eintracht verhalf dieser Sieg gemeinsam mit Bayern München, das ebenfalls 2 :0 über den 1. FC Kaiserslautern triumphierte, zur Führung in der ersten Saisontabelle. Die weiteren Sieger des Tages waren Eintracht Braunschweig mit einem 1 :0 gegen den HSV, der MSV Duisburg, der die zu hoch eingeschätzten Schalker mit 1 :0 stolpern ließ, Borussia Mönchengladbach nach einem unerwarteten 3 :1-Sieg in Dortmund sowie der 1. FC Köln (2 :1 gegen den anderen Aufsteiger Kickers Offenbach] und Werder Bremen nach einem schwer erkämpften 3 :2 gegen Hannover 96. Dazu kommt der Sensationssieger des ersten Spieltages, Alemannia Aachen. Die Aachener entführten mit nicht weniger als 4:1 Toren beide Punkte aus dem Nürnberger Stadion gegen keinen Geringeren als den Deutschen Meister 1. FC Nürnberg. Das einzige Unentschieden gab es zwischen VfB Stuttgart und München 1860 mit einen 1 :1 in einem Spiel der Abwehrreihen. Rund 200 000 Zuschauer sahen an diesem ersten Spieltag 25 Treffer, von denen zwei Eigentore waren, und einen verwandelten Foul-Elfmeter.

Herbe Enttäuschung

An der geringen Zuschauerzahl mag das überwiegend schlechte Wetter die Hauptschuld tragen.  Der Grund für Herthas 0 :2-Niederlage, die nicht zu sein brauchte, wenn Hertha BSC genügend Kondition und ein bißchen mehr Glück im Torschuß gehabt hätte, war letztlich ein böser Fehler von Gernot Fraydl, der 45 Minuten lang einen erstaunlich sicheren Eindruck hinterließ und dann plötzlich von einer Nervosität befallen wurde, die sich nur schwer erklären läßt. Aber Fraydl allein hat die Niederlage nicht auf dem Gewissen. Es mangelte im Angriff bei Hertha an Spielern, die mit Brungs gemeinsam auf Torjagd hätten gehen können. Krafczyk, Adelmann, der zum Schluß völlig ausgepumpte Ipta diese insgesamt gesehen schwachen Spieler sorgten für eine herbe Enttäuschung. Lange hielt die Viererkette dicht, und vielleicht wäre das Spiel auch anders gelaufen, wenn nicht ausgerechnet Sekunden vor dem Pausenpfiff ein vermeidbares Führungstor für die Frankfurter gefallen wäre.

In der ersten Halbzeit gleichwertig

Hertha hat in den ersten 45 Minuten im Waldstadion viel Beifall erhalten, gut gespielt und die Eintracht zeitweilig respektlos ausgespielt. Doch die Kräfte ließen zu früh nach, und die Resignation war nicht mehr fern. Ein dummes, vermeidbares Tor in der 45. Minute warf Hertha BSC 0 :1 zurück. Schon glaubten die 20 000 Zuschauer im Waldstadion, die ihre Schwarz-Roten mehrfach heftig ausgepfiffen hatten, an das 0 :0 zur Pause, als die sechste Ecke für die Frankfurter zu Unaufmerksamkeiten bei den Berlinern führte. Plötzlich stand Hölzenbein ungedeckt. Der Ball flog in den Berliner Strafraum, keiner brachte ihn weg, den ersten Schuß aus fünf Meter Entfernung konnte Fraydl mit der linken Hand reaktionsschnell abwehren, doch die wie Hornissen im Berliner Strafraum umherschwärmenden Frankfurter nutzten kaltblütig die Chance zum 1 :0 durch Grabowski, weil Sangulin in seinem einzigen schwachen Moment in diesen ersten 45 Minuten den Mittelstürmer der Frankfurter aus den Augen verloren hatte. Schade, das war ein schlechter Lohn für ein gutes Spiel von Hertha BSC in der ersten Halbzeit.  

Lothar Groß hatte die Platzwahl gewonnen, und gleich nach dem Anpfiff war zu sehen, was sich Trainer Ribbeck hatte einfallen lassen. Er stellte Günter Keifler gegen Franz Brungs und Lindner gegen Krafczyk mit Friedel Lutz als Ausputzer. Bei Hertha war Sangulin auf Grabowski angesetzt, Enders auf Hölzenbein und Ferschl auf Huberts. Nach fünf Minuten hatte die Eintracht eine Riesenchance, aber der Grabowski-Schuß ging quer am Tor vorbei. Fünf Minuten später wäre fast das Führungstor für Hertha gefallen, denn die Berliner, die sich immer wieder freispielen konnten, weil die Viererkette in der Abwehr hervorragend stand, hatten nach einer Flanke des nach vorn gestürmten Lothar Groß die große Möglichkeit, durch Krafczyk zu einem Kopfballtreffer zu kommen, aber Tilkowski hielt ihn sicher. 

Brungs vergab klare Chance

Acht Minuten danach wieder eine Riesenchance für Hertha. Nach einer Kombination zwischen Ipta und Kröner kam der Ball zu Brungs, doch sein Schuß war nicht scharf genug, so daß Tilkowski im Fallen den Ball halten konnte. Zwei Minuten später wieder eine Möglichkeit. Adelmanns Paß zum nach vorn gestürmten Ferschl sah den Berliner unbewacht nach vorn stürmen, aber er zielte schlecht, und Tilkowski hatte Glück, daß der Ball knapp am Pfosten vorbeiflog. Fraydl mit großem Selbstvertrauen Die bange Sorge um Gernot Fraydl war bald verflogen, denn der Österreicher machte seine Sache ausgezeichnet. Er wirkte sicher, reaktionsschnell und hielt die Bälle so fest, daß keine Gefahr für ihn und die Herthaner bestand. Man spürte von Minute zu Minute, wie das Selbstvertrauen des Torhüters wuchs. Das zeigte sich dann nach einer halben Stunde, als Nickel aus zehn Meter Entfernung blitzschnell abschoß, aber Fraydl die Arme hochriß und den Ball so sicher fing, als wäre es eine Spielerei.

 Hertha hätte führen können

Hertha hätte zur Pause führen können, aber es fehlten neben Brungs weitere Stürmer, mi enen er hätte guten Fußball spielen können, Krafczyk verstolperte so manche Gelegen heit, und Adelmann rutschte auf dem Rasen hin und her, daß es fast peinlich wirkte. Kämpferisch war in den ersten 45 Minuten an Hertha nichts auszusetzen. Schade, daß dieses vermeidbare Tor die Herthaner zurückwarf, denn sie wären von den Zuschauern, die ihnen viel Sympathien entgegengebracht hatten, gewiß mit großem Applaus in die Kabine verabschiedet worden.

 Steffenhagen für Adelmann

Nach der Pause erschien Hertha mit Steffenhagen für den schwachen Adelmann. Der 19jährige Junioren-Auswahlspieler enttäuschte nicht, aber es war ihm deutlich der Unterschied zwischen den Mannschaften, bei denen er bisher spielte und dem in der Bundesliga geforderten Tempo anzumerken. Er legte zu oft Pausen ein, und manchmal machte er einen ausgesprochen unwirschen Eindruck, so daß der Eindruck entsteht, er würde seine sämtlichen Nebenspieler in Grund und Boden verdammen wollen.

 Tilkowski sorgte für Ruhe

Hertha BSC drängte in den ersten zehn Minuten der zweiten Halbzeit, und Sangulin hatte die Möglichkeit, gegen Tilkowski ein Tor zu erzielen. Aber der Ex-Nationaltorwart hielt sicher ebenso wie er wenig später mit einer brillanten Faustparade seine Frankfurter vor dem Ausgleich bewahrte. Hertha erzielte zwar innerhalb ganz kurzer Zeit sieben Ecken, aber nun zeigte sich, was ein erfahrener und fangsidierer Torhüter wert ist. Tilkowski rettete die Eintracht über die schwere Zeit, in der die Hintermannschaft oft überlastet schien. Aber nicht nur er erreichte großartiges Format, sondern auch Friedel Lutz als Ausputzer und der ballverliebte Jusufi ebenso wie Lothar Schämer, der wahrscheinlich seiner Mannschaft den entscheidenden Auftrieb für ein nochmaliges Zustoßen, ein Aufbäumen, einen Drang zum zweiten Tor gegeben hat

  Fraydls schwerer Fehler

Die Sonne verdrängte dicke Regenwolken, aber man wußte, daß Gernot Fraydl bei den grellen Sonnenstrahlen seine Sicherheit verlieren würde. Prompt passierte es, daß er bei einer Rückgabe von Witt zu spät herauslief und der Ball auf das leere Tor rollte, zum Glück aber noch in letzter Sekunde weggeschlagen wurde. Fraydl wirkte längst nicht so sicher wie in der ersten Halbzeit, und das zweite Tor für die Eintracht in der 72. Minute kommt ausschließlich auf sein Konto. Statt durch festes Zupacken den Ball zu sichern, klatschte er ihn völlig unmotiviert nur ein paar Meter weg, genau Nikkei vor die Füße, der ihn über Fraydl hinweg auf das leere Tor hob. Zwar versuchte Uwe Witt noch mit akrobatischem Schwung das Leder aus dem Tor zu holen, aber vergebens. Es stand 2 :0, und damit war das Spiel entschieden.

 Zum Schluß Resignation

In den letzten 18 Minuten machte sich bei den Herthanern Resignation, aber auch Konditionsschwäche bemerkbar. Schade, daß der gute Gesamteindruck Herthas in der ersten Halbzeit nun in der zweiten doch böse verwischt wurde. Die Mannschaft ist noch nicht stark genug, um 90 Minuten Tempofußball mitspielen zu können. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß Brungs neun Minuten vor Schluß noch die Chance hatte, Tilkowski zu bezwingen und daß vier Minuten später Tilkowski den Ball verlor, aber kein Berliner ihn über die Linie brachte. Kronsbein war zufrieden Die Eintracht gewann das Spiel dank der starken Leistung in der zweiten Halbzeit, ohne nun zu überzeugen oder gar schon echtes Bundesligaformat zu erreichen. Sie hatte in Grabowski, der allerdings von Sangulin sehr gut bewacht wurde, Schämer, Lutz und Tilkowski die überragenden Leute. Trainer Helmut Kronsbein sagte: "Mit der mannschaftlichen Leistung bin ich zufrieden. Das zweite Tor, ein krasser Fehler von Fraydl, hat uns das Genick gebrochen. Immerhin sind wir ein erhebliches Stück weitergekommen." 

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Eberhard Wittig

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