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Bücklinge in einem Fischgeschäft - begehrte Fisch- und Räucherware vor 50 Jahren.

© dpa

1968 im Tagesspiegel: Neubaugebiete untersucht - Das Fischgeschäft wird sehr vermisst

Vor 50 Jahren entstanden einige Neubausiedlungen in Berlin

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 15. Mai berichtete der Tagesspiegel über die Versorgungssituation in den neuen Wohnsiedlungen.

Die neuen Siedlungen in West-Berlin sind ein dankbares Studienobjekt nicht nur für Städteplaner und Soziologen (am vergangenen Sonntag berichtete der Tagesspiegel über zwischenmenschliche Probleme der frisch zusammengewürfelten Nachbarschaften), sondern auch für Wirtschaftsforscher: Die rührige Berliner Forschungsstelle für den Handel legt jetzt das Ergebnis einer Untersuchung über die Einkaufsverhältnisse in vier neuen Wohnsiedlungen vor, und zwar in der Paul-Hertz-Siedlung (1961-1965 errichtet), in Tegel-Süd (1957-1964), Reinickendorf-Ost (1959-1965) und Zehlendorf-Süd (1958-1963). Was die "Neusiedler" wo kaufen - und warum sie es tun -, wurde in 771 Interviews ermittelt; das Ergebnis könnte nicht nur der Beseitigung mancher dabei zutage geförderten Mängel, sondern vor allem auch als Grundlage für die weitere Planung dienen.

In der am schlechtesten mit Geschäften ausgestatteten Paul-Hertz-Siedlung; war nur ein gutes Drittel der Haushalte - immer nach den Ermittlungen der Forschungsstelle - mit den Einkaufsverhältnissen zufrieden, in der am besten ausgestatteten (Zehlendorf-Süd) äußerten sich dagegen nahezu acht von zehn Haushalten befriedigt. Unabhängig von der zur Verfügung stehenden Ladenfläche - je größer sie ist, desto positiver antworteten- die Familien - spielten vor allem die Preise eine Rolle: Fast sieben von zehn unzufriedenen Haushalten (und damit ein Drittel aller befragten) hielten die Preise in den Siedlungsgeschäften für höher als anderswo, während von den Zufriedenen nur ein Drittel meinte, daß in den Siedlungen höhere Preise gezahlt werden müssen.

Was wird wo gekauft?

Bei Lebensmitteln, Tabakwaren, Arzneimitteln und Waschmitteln, die in allen Siedlungen angeboten werden, beträgt der Anteil der Käufe in der Siedlung 70 Prozent und mehr. Aber nur in drei der vier untersuchten Gebiete gibt es ein Blumengeschäft und eine Post, nur in zweien einen Schuhmacher, eine Chemische Reinigung und einen Friseur; Papierwaren und Reformwaren waren jeweils nur einmal vertreten. Völlig fehlten (Ende vergangenen Jahres, als die Interviews gemacht wurden) Fachgeschäfte für Fisch und Räucherwaren, Eisenwaren und Hausrat. Hingegen hatten zwei Siedlungen Fachgeschäfte für Textilien, die aber verhältnismäßig wenig freguentiert wurden. Aus einer Liste von 23 Einzelhandels-, Handwerksund sonstigen Dienstleistungsbetrieben wurden von den Befragten besonders stark vermißt das Fischqeschäft, der Friseur, die Post, der Fleischer und der Bäcker.

Wenn außerhalb der Siedlung gekauft wurde, obwohl entsprechende Geschäfte "am Platze" sind, spielten "höhere Preise" vor allem bei Nahrungsmitteln, aber auch bei Waschmitteln und Blumen eine wichtige Rolle; "zu geringe Auswahl" der Siedlungsgeschäfte wurde bei Textilien, Fisch- und Räucherwaren, Schreibwaren, Eisenwaren, Hausrat und Kosmetika erwähnt, "geringere Qualität" bei Fleisch und Backwaren.

Andererseits muß, damit sich für Fachgeschäfte des Einzelhandels eine Ansiedlung in den neuen Wohngegenden lohnt, dort genügend Kaufkraft 'versammelt werden. Die Forschungsstelle meint dazu, daß neben den in den vier Siedlungen vorhandenen 60 Betrieben nur neun weiteren eine Ansiedlung vorbehaltlos empfohlen werden kann. Für ein Geschäft der in allen vier Siedlungen am stärksten vermißten Branche - ein Fischgeschäft also - stehe nur in der größten Siedlung, nämlich der Paul-Hertz-Siedlung mit 7200 Einwohnern, genügend Kaufkraft zur Verfügung; Tegel-Süd zählt 4000 Köpfe, Reinickendorf-Ost 6000 und .Zehlendorf-Süd 5000. Als Untergrenze für Siedlungen, die hinsichtlich der Nahversorgung "optimal" ausgestattet werden können, legt die Forschungsstelle den Planern eine Einwohnerzahl von mindestens zehntausend ans Herz.

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