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Diese Sonnenbadenden halten offensichtlich nicht so viel von ärztlichen Ratschlägen "im Urlaub durch Wandern, Schwimmen oder andere Bewegungstherapien etwas für den Kreislauf zu tun". Darum geht es im zugehörigen Artikel von 1968.

© Gerhard Leber/imago

1968 im Tagesspiegel: Wann fühlt sich der Urlauber wohl? Vieles hängt vom Wetter ab - Kleidung und Betätigung dem Wärmehaushalt des Körpers anpassen

Vor 50 Jahren begannen die Sommerferien und die Urlaubssaison in Berlin

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 14. Juli 1968 begann mit den Sommerferien auch die Urlaubsreisewelle für die Berliner. Aus diesem Anlass ging der Tagesspiegel dem Einfluss des Wetters auf das Wohlbefinden auf den Grund.

Das Wetter spielt für alle Urlauber eine große Rolle, weil die meisten Erholungssuchenden im Urlaub dem Wetter und seinen mannigfachen Einflüssen (bei Wanderungen, einem Tag am Strand und so weiter) viel unmittelbarer und länger ausgesetzt sind, als an den normalen Arbeitstagen, die für die große Mehrzahl der Berufstätigen in geschlossenen Räumen beginnt und endet. Einen großen Einfluß auf das leib-seelische Wohlbefinden übt die Wärmeregulation in unserem Organismus aus. Abgesehen von den Stoffwechselprozessen hängt sie im wesentlichen von drei meteorologischen Faktoren ab: Temperatur, Wind und Sonnenstrahlung.

Die Temperaturen in unserem Lebensbereich (den bodennahen Luftschichten) haben einen relativ großen Spielraum, etwa minus achtzig bis plus fünfzig Grad in Extremfällen. Im Gegensatz hierzu führt schon ein Grad über oder unter der normalen Körpertemperatur des Menschen (37 Grad) mit Fieber bzw. leichter Untertemperatur zu Befindensstörungen oder Unbehagen. Werden 26 Grad unter- oder 40 Grad überschritten (alle Angaben Celsius-Skala), drohen dem menschlichen Organismus nicht wieder rückgängig zu machende irreversible Schäden.

Es sind recht komplizierte Prozesse, die Unsere Körpertemperatur im Gleichgewicht halten. So muß unser Organismus von den durch Nahrungsmittelaufnahme mit den Verbrennungsprozessen erzeugten Kalorien täglich 2,5 Millionen "verschwenden", sonst würde die Körpertemperatur stündlich um zwei Grad steigen. Außerdem haben wir es hier noch mit einem Stabilitätsproblem zu tun, denn die Wärme erzeugenden chemischen Reaktionen laufen bei höheren Temperaturen schneller ab.

 Wichtige Rolle der Hauttemperatur

Wie J. S. A. Green vom Imperial College (London) in der englischen Zeitschrift "Weather" ausgeführt hat, spielt für unser Wohlbefinden die Hauttemperatur eine sehr wesentliche Rolle. Die in den inneren Organen durch den Stoffwechsel erzeugte Wärme wird teilweise in den ' Blutkreislauf geleitet und I zum anderen Teil der Hautoberfläche zugeführt. Ihre Temperatur ist bei gesunden Menschen zwei bis fünf Grad kühler als die der inneren Organe. Wir fühlen uns wohl, wenn die Temperatur der empfindlicheren Hautpartien (also nicht Hände oder Gesicht) zwischen 31 und 35 Grad liegt; 33 Grad stellt das Optimum dar. Sobald die Temperatur der Hautoberfläche bzw. die der ihr unmittelbar aufliegenden Luftschicht die eben genannten Grenzwerte unter- oder überschreitet, reagiert unser temperaturempfindlicher Organismus mit Gegenmaßnahmen: Er versucht durch Schwitzen oder Frösteln das gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen.

Es sind physikalische Prozesse, die uns bei der Wärmeregulation helfen: Strahlung, Verdunstung und Wärmeaustausch. Besonders wichtig für die Wärmeregulation sind der Wärmeaustausch und die durch Strahlung von der Hautoberfläche abgegebene Wärmemenge. Sie ist dem Temperaturgefälle zwischen Haut- und Lufttemperatur etwa proportional. Bei niedrigeren Lufttemperaturen erfolgt der größte (regulierende) Wärmeverlust auf diese Weise, bei etwa 30 Grad kommt der Prozeß nahezu zum Erliegen. Er kehrt sich bei noch höheren Temperaturen um und wird zur Wärmequelle.

 Fünfzehn Minuten über 100 Grad

Unser Körper reagiert dann mit Sehweißabsonderung, damit die notwendige Abkühlung durch Verdunstung bewirkt werden kann. Wie wirksam dieser Prozeß sein kann, hat schon 1775 ein Engländer im "Experiment" nachgewiesen. Er zeigte, daß auch der lebende Organismus eines Menschen in einer trockenen Atmosphäre fünfzehn Minuten lang einer Temperatur von mehr als 100 Grad aussetzen kann - ein "totes" Beefsteak ist bei derselben Temperatur in dreizehn Minuten gut durchgebraten. Voraussetzung für das Gelingen ist allerdings eine wirklich trockene Atmosphäre, in der die Verdunstungsabkühlung nicht durch hohe Luftfeuchtigkeit weitgehend unterbunden wird.

Wir wollen zwar nicht hoffen, daß unsere Leser im Urlaub frieren müssen, immerhin sei zur Abrundung auch der andere Extremfall - das Frösteln - erwähnt. Jeder, der allzu kühlen Fluten entsteigt, kennt dieses mit einer "Gänsehaut" verbundene, teilweise von dem zentralen Nervensystem gesteuerte Frösteln. Es setzt etwa bei einer Hauttemperatur von 30 Grad und darunter ein. Seine Aufgabe ist die zusätzliche Wärmeerzeugung durch Beschleunigung der Stoffwechselprozesse.

Wenn wir hier schon etwas Theorie der medizinischen Urlaubs-Meteorologie betreiben, sei noch erwähnt: Der Wärmehaushalt unseres Organismus ist ausgeglichen, wenn der Wärmeerzeugung durch den Stoffwechsel eine (auch von der Wärmeleitfähigkeit der Kleidung abhängige) Wärmeabgabe entspricht. Das wird - wie bereits erwähnt - durch Strahlungs- und Austauschprozesse an der Hautoberfläche erreicht. Wer sich also im Urlaub wohl fühlen und seinen erholungsbedürftigen Organismus möglichst wenig strapazieren will, sollte darauf achten, daß der Wärmehaushalt des Körpers durch eine den wichtigsten meteorologischen Faktoren (Temperatur, Wind, Strahlung) angepaßte Kleidung und entsprechende körperliche Betätigung ohne viel Mühe ausgeglichen werden kann.

 Sonne, Luft und Kleidung

Eine große Rolle spielt natürlich der Sonnenschein. Aber seine Wirkung auf die Temperatur der Hautoberfläche hängt stark von der Luftbewegung und der gewählten Kleidung ab. Selbst bei weißer Kleidung mit ihrem hohen Reflexionsvermögen führt kräftige Sonnenstrahlung zu einer Erhöhung der Hautoberflächentemperatur von etwa 7 Grad. Schon ein leichtes Lüftchen (Beaufort-Stärke 1) vermindert die Temperaturerhöhung auf nur 2 Grad, und bei einer mäßigen Brise wird die temperaturerhöhende Wirkung bei denselben Strahlungsintensitäten auf ein Grad reduziert.

Wir wollen es nicht hoffen, aber wer selbst im Urlaub sich aus irgendwelchen Gründen in ein schwarzes Habit zwängen muß, kann an einem windstillen Tag unter strahlendem Sonnenschein leicht in eine gefährliche Situation kommen: Die temperaturerhöhende Wirkung der Sonnenstrahlung wird dann nämlich um das Dreifache verstärkt! (33 Grad als optimale normale Hauttemperatur vorausgesetzt, herrschen dann in dem Luftraum zwischen Haut-Oberfläche und unterstem Kleidungsstück Temperaturen von rund 55 Grad). Das wird verständlicher, wenn man bedenkt, daß das stark schwankende Reflexionsvermögen (die Albedo) unter anderem von der Farbe eines Körpers abhängig ist. Die Albedo bezeichnet das in Prozenten ausgedrückte Verhältnis der reflektierten zur einfallenden Sonnenstrahlung. So wird die Albedo frisch gefallenen weißen Schnees mit 85 Prozent, die von unbewachsenem dunklen Ackerboden mit 15 Prozent des sichtbaren Lichtes angegeben.

Bei den eben für „weiße Kleidung" angegebenen Zahlen kann es sich natürlich nur um Durchschnittswerte handeln, je nachdem, was man unter „weißer Kleidung" versteht: entweder „hautenge" knappe helle Kleidung oder „full dress" mit Unterwäsche und so weiter. Auch die Gewebeart spielt (für die Wärmeleitfähigkeit) eine wichtige Rolle, insbesondere wenn man an die Kunstfaser-Erzeugnisse denkt, die sich in ihren Anfängen wärmeregulatorisch sehr ungünstig bemerkbar machten. Das jedermann aus eigener Erfahrung bekannte, mit dem Tragen wasserdichter Kleidung (wie Regenmäntel) verbundene Unbehagen an warmen Tagen sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Ausgelöst wird dieses Unbehagen durch die stark mit Feuchtigkeit angereicherte Luft zwischen der Hautoberfläche und der Bekleidung, die die natürliche Wärmeregulation weitqehend unterbindet. So ist auch die Ansicht vertreten worden, der Tod als Folge einer Bedeckung des ganzen Körpers mit Goldstaub könne durch einen Hitzschlag herbeigeführt werden, weil die dann dem Körper unmittelbar aufliegende Luftschicht völlig (mit Feuchtigkeit) „gesättigt“ ist.

 Bei Anstrengung verdoppelt

All die erläuterten Wirkungen des Stoffwechsels, der meteorologischen Faktoren und der Kleidung sind fast unentwirrbar miteinander verwoben. Man kann aber doch etwa folgende Richtwerte als Anhaltspunkte angeben: Normales Schrittempo führt bei einer Wanderung in leichter Kleidung zu einer Erhöhung der Hauttemperatur um 7 Grad, wer dabei einen dicken Pullover trägt, sorgt für eine Temperaturerhöhung um weitere 14 Grad Hierzu sind bei Windstille 8 Grad zu addieren und bei mäßiger Brise 3 Grad. Bei sehr leichter körperlicher Betätigung sind die so gewonnenen Werte zu halbieren und bei großer körperlicher Anstrengung zu verdoppeln

Die Wirkung des Stoffwechsels kann der Urlauber - etwa bei einer Wanderung - durch eine Anpassung seiner Arbeitsleistung (im streng mechanischen Sinn) in gewissen Grenzen selbst regulieren. So hängt die maximale Arbeitsleistung der Muskeln von ihrer optimalen Kontraktionszeit ab. Für Arm- und Beinmuskeln beträgt die letztere etwa eine halbe Sekunde. Deshalb sind als das am wenigsten ermüdende Marschtempo für längere Wanderung etwa zwei Schritte in jeder Sekunde zu empfehlen. Wer es selbst im Urlaub eilig haben sollte, dem sei geraten nicht längere Strecken im erhöhten Schritttempo zu gehen, sondern über kürzere Strecken - mit eingelegten Pausen im normalen Schrittempo - im Wolfstrab zu laufen: Es ist weniger strapaziös. 

Von 30 Grad an kritisch

Für alle, die von den ärztlichen Mahnungen, im Urlaub durch Wandern, Schwimmen oder andere Bewegungstherapien etwas für den Kreislauf zu tun, nichts halten, sondern dem süßen Nichtstun den Vorzug geben, hier abschließend noch ein paar Richtzahlen. Unser Organismus fühlt sich beim Sonnenbaden wirklich wohl, wenn bei sehr schwacher Luftbewegung 20 Grad im Schatten nicht überschritten werden; weht ein leichter Wind, sind 26 Grad auch noch angemessen, aber 30 Grad und darüber sind vom Übel. Ist die Luft sehr trocken, kann die Temperatur ein bis zwei Grad höher sein als hier angegeben, weil eine verstärkte Verdunstungsabkühlung den Organismus bei der Wärmeregulation entlastet. Wenn Schweißtropfen auftreten, ist das ein sicheres Zeichen dafür, daß unser Organismus zusätzlich arbeitet, während wir uns „erholen".

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H. Panzram

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