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Abgeordnete müssen umziehen: Sichtbare Bedeutung

Wer ein Amt hat, bekommt mehr Platz. Viele Bundestagsabgeordnete müssen dafür umziehen – wer gewinnt, wer verliert.

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Renate Künast hatte Pech. Die Grünen-Politikerin musste in den vergangenen Wochen gleich zwei Mal ihre Kartons packen. Zum ersten Mal kurz nach der Bundestagswahl, als sie ihr Amt als Fraktionsvorsitzende aufgab. Ihr großzügiges Büro im Jakob-Kaiser-Haus mit Blick auf den Tiergarten übernahm der neue Fraktionschef Anton Hofreiter. Künast wurde einfache Abgeordnete, ihr standen 18 Quadratmeter zur Verfügung. Das hieß: einpacken, Kisten schleppen, auspacken. Zumindest konnten Künast und ihre Mitarbeiter im selben Gebäude bleiben. Viel Zeit, sich einzurichten, blieb der Grünen-Politikerin allerdings nicht. Anfang dieses Jahres folgte der nächste Umzug: Künast wurde zur Chefin des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz gewählt – und die hat nun mal ihr Büro im Paul-Löbe-Haus, also in dem Gebäude, in dem in den Sitzungswochen die 22 Bundestagsausschüsse tagen.

Was Renate Künast schon hinter sich hat, das steht vielen ihrer Abgeordnetenkollegen in allen Fraktionen noch bevor. Sie waren, sind oder werden in diesen Wochen Teil eines gewaltigen Umzugstrosses, der sich nach jeder Bundestagswahl in Gang setzt. Zahlreiche Abgeordnete müssen ihre Büros räumen, weil sie nicht wiedergewählt wurden, während die Parlamentsneulinge sich zunächst in provisorischen Übergangsbüros einrichten. Doch selbst die Abgeordneten, die schon in der vergangenen Wahlperiode im Bundestag vertreten waren, können nicht automatisch mit ihren Mitarbeitern in ihren Räumen bleiben. Auf einen Umzug einstellen muss sich normalerweise, wer in der Fraktionshierarchie auf- oder absteigt oder das Fachgebiet wechselt. Für einige Funktionen gibt es dabei fest zugeteilte Räume: die Büros des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter etwa liegen im Jakob-Kaiser-Haus direkt gegenüber des Reichstags, damit die Wege ins Plenum besonders kurz sind.

Sieht man sich die Zahlen an, wird schnell klar: Hier zieht eine mittlere Kleinstadt um: 2000 Umzüge managt die Bundestagsverwaltung. 2000-mal Bücher einpacken, Tische und Regale transportieren, Bilder ab- und wieder aufhängen. Alle vier Jahre wird der Auftrag für diesen Mammut-Umzug neu ausgeschrieben. Diesmal hatte das Potsdamer Unternehmen Plischka die Nase vorn.

Für die Bundestagsverwaltung wird der Anfang einer jeden Legislaturperiode so zur logistischen Herausforderung. Denn der Augenblick, in dem die Kartons gepackt werden, ist nur das Ende einer organisatorischen Puzzlearbeit. Zunächst entscheiden die Geschäftsführungen der Fraktionen, wer wann und wohin zieht. Spitzenabgeordnete in große Büros, das Fußvolk in kleine, 18 Quadratmeter für die Gewählten plus zwei mal 18 Quadratmeter für die Mitarbeiter. Wer neu in den Bundestag einzieht, bekommt einen neuen Telefonanschluss, alle anderen nehmen ihre Nummern mit. Möbel aussuchen kann sich jeder im Bundestagsfundus. Lampen oder Sessel: Alles bestellt die Verwaltung zentral. Auch hier gilt: Wer günstig anbietet, darf liefern. Alle vier Jahre wird neu ausgeschrieben. Dennoch: Die ältesten Möbel sind 40 Jahre, der Schnitt 20 Jahre alt. Wer gute Gründe oder gute Beziehungen hat, darf auch schon mal eigenes Mobiliar mitbringen. Gerda Hasselfeldt etwa, Landesgruppenchefin der CSU, arbeitet an einem antiken Schreibtisch.

Wer das Sortieren der Abgeordneten in den Fraktionsführungen bewerkstelligen muss, braucht Nerven wie Drahtseile. Denn: Jeder möchte natürlich eines der schönen Büros für sich und seine Leute haben. Wenn schon nicht groß, so lautet die Devise, dann wenigstens zum Innenhof und oberhalb der zweiten Etage. Büros in der ersten Etage, etwa mit Blick auf die Straße, sind verhasst. Autolärm, wenig Licht: Bei der Verteilung der Büros wird gefeilscht, mit harten Bandagen und zuweilen mit ärztlichen Attesten um kleinste Vorteile gerungen. Und manchmal ist es wie im richtigen Leben: Aus Nachteilen werden Vorteile. So galt das Bürohaus „UdL50“, also Unter den Linden, lange Zeit als verhasster Abschiebeort. Weit weg vom Bundestag und außerdem ein Haus mit dem Charme des einstigen DDR-Außenhandelsministeriums. Doch wer darin erst mal logiert, kann „UdL50“ auch lieb gewinnen. Denn hier sind die Büros größer und die Gänge breiter.

Wer aus einem Büro auszieht, hat keinen Einfluss auf den Nachfolger. Die Bundestagsverwaltung achtet zwar darauf, dass nicht die Abgeordneten verschiedener Fraktionen auf einem Flur durcheinandergewürfelt werden. Aber dass ausgerechnet der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, der in dieser Wahlperiode neu in den Bundestag einzog, das Büro seiner bisherigen Ko-Parteichefin Claudia Roth erbte, war Zufall. Als Bundestagsvizepräsidentin bezog Roth im vergangenen Herbst das Büro, in dem bis dahin Hermann-Otto Solms von der FDP residiert hatte. Ein Umzug, der Roth nicht leichtfiel, trotz der Aussicht auf repräsentativere Räumlichkeiten: Jahrelang hatte die Grünen-Politikerin ihre Parlamentsarbeit aus einem Büro in der Dorotheenstraße erledigt, in dem die Fenster so hoch liegen, dass man vom Schreibtisch nicht einmal auf die Straße gucken kann. Ursprünglich hatte die Bundestagsverwaltung die Räume gar nicht als Abgeordnetenbüro vorgesehen. Kein schickes Büro, aber eines, in dem Roth sich nach und nach eingerichtet hatte.

Alles in allem sind die Fraktionen mit ihren Umzugs- oder besser: Schlachtplänen fertig. Sie haben generalstabsmäßig jedem Abgeordneten nun sein Büro auf dem Papier zugeordnet. Diesmal war das auch nicht ganz so schwierig wie sonst. Schließlich ist die FDP nicht mehr im Parlament vertreten, da wurden schon mal einige Büros frei und konnten Neulinge anderer Fraktionen aufnehmen. Dennoch: Manchmal passiert es, dass einer einfach nicht ausziehen will. Obwohl er eigentlich muss, weil er etwa nicht mehr Fraktionsvize ist. Dann ist höchste Diplomatie angesagt. Wer seine neuen Büros kennt, muss den Umzug bei der Verwaltung beantragen, inklusive neuer Visitenkarten. Wer einen Abgeordneten sucht, sollte also in nächster Zeit lieber mal vorher anrufen und fragen, wo er zu finden ist.

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kann dem Treiben gelassen zusehen. Bislang hat ihm keiner sein Büro streitig gemacht, das sich in einem der Altbau-Teile des Jakob-Kaiser-Hauses befindet. Bis Februar 2010 war Oskar Lafontaine sein Zimmernachbar, ihre Büros waren durch eine Tür direkt miteinander verbunden. Während eines Interviews mit dem einen konnte es passieren, dass der andere überraschend hineinplatzte. Nach Lafontaines Rückzug aus dem Bundestag konnte Gysi dessen Räume für sich und seine Mitarbeiter nutzen. Bei dieser Regelung wird es auch bleiben: Gysis Büro ist so klein, dass kaum Platz für einen Besprechungstisch ist.

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