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So bunt wie im Ausbildungszentrum der Berliner Verkehrsbetriebe, das die Kanzlerin 2014 besuchte, geht es in ihrer Partei noch nicht zu. Auch die Koalitionspartnerin SPD hinkt hinterher.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

„Allianz deutscher Demokraten“: Wie eine Ethnopartei Migranten umwirbt

Klassische Parteien kümmern sich kaum um Deutsche mit ausländischen Wurzeln. Eine neue Partei setzt auf sogenannte Bindestrich-Deutsche.

Wenn es nach Remzi Zafer Aru geht, dann spielt seine Partei in nicht allzu ferner Zeit eine wichtige Rolle in der deutschen Politik. „Zünglein an der Waage“ könne seine „Allianz deutscher Demokraten“ durchaus einmal werden, sagt er. Im Juni hat er die Partei gegründet, Eigenkürzel AD-Demokraten. Was der Titel nicht ahnen lässt: Aru setzt auf die Bindestrich- oder neuen Deutschen. Und da sieht er für sich ein „Riesenpotenzial“.

Ein Fünftel der Bevölkerung hat jetzt schon einen sogenannten Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Der Parteigründer und Unternehmer Aru rechnet aber auch mit Frauen und Männern, die selbst keinen haben, aber in binationalen Familien und Ehen leben. Etwa zehn Prozent derer, die sich für seine im Sommer gegründete Partei interessierten, seien sogar „klassische CDU-Wähler“, sagt Aru, ohne jeden Migrationshintergrund.

„Leute, die nicht wollen, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird“, die sich nach einem Deutschland des nationalen Understatements zurücksehnten. Man werde also nicht in die „Türkenfalle“ gehen, sagt Aru, erklärter Erdogan-Fan seit seinen Jugendtagen.

Damals in den Türkeiferien erlebte er, wie der heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan als Bürgermeister der Megacity Istanbul sauberes Leitungswasser verschaffte und ihre Verwaltung ins 20. Jahrhundert beamte. Aru, auf der Bodensee-Insel Reichenau aufgewachsen, verteidigt den inzwischen autokratisch Regierenden bis heute. Dass Unabhängige und die ältere türkische Ethnopartei BIG („Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“) selbst in Berlin kürzlich kaum Stimmen bekamen, schreckt Aru nicht: „Wir sind nicht im Sprint, sondern im Marathon.“

Von der Partei des C zu der des U?

Die Leute, denen Aru die Stimmen der Migranten abjagen will, glauben allerdings nicht daran, dass er den Marathon schafft. Ethnische Kleinparteien, sagte Cemile Giousouf, Integrationsbeauftragte der Unionsfraktion im Bundestag, seien oft „stark von Männern dominierte Projekte. Programmatisch sagen sie nichts dazu, wie ein junger Türkeistämmiger eine Ausbildung finden soll – es geht meist um Identität.“

Remzi Zafer Aru
Remzi Zafer Aru

© imago/Eibner

Oder das Programm spricht in zu viele Richtungen: Das von Arus konservativ grundierter Partei beklagt einerseits den „Sitten- und Kulturverfall“ des gemeinsamen Deutschlands und will mehr Schutz für die schwarz-rot-goldene Flagge. Andererseits wird das kommunale Wahlrecht und der Doppelpass gefordert. Zur praktischen Politik verweist die CDU-Politikerin Giousouf auf die kleine BIG: Deren einzige Frau im Bonner Stadtrat habe „schnell merken müssen, dass sie dort allein nicht viel erreichen kann“. Dennoch, sagt sie, müsse man „anerkennen, dass diese Parteien Menschen emotional ansprechen und die anderen eben nicht“.

Sorgen macht sich Giousouf allerdings schon, nicht über Ethno-Konkurrenz, sondern um die Fähigkeit der eigenen Leute, die wachsende Zahl neuer Deutscher zu binden. Die CDU hat zwar die Wende zur Einwanderungsgesellschaft ausgerufen; 2014 versuchte die C-Partei auf einem von Generalsekretär Peter Tauber einberufenen Migrantenkongress sogar, sich als die Partei des U – für Einheit und Miteinander – neu zu erfinden.

Aber das dürfe nicht nur die Parteispitze wollen, sagt Giousouf: „Solange sich nur die Generalsekretäre dafür aussprechen, reicht das alles nicht, wenn nicht die Kreisparteien Deutsche mit Einwanderungsgeschichte auch als Mandatsträger aufstellen.“ Doch die Basis zeigt sich aktuell sperrig. Im Augenblick sieht es nicht danach aus, als würden die wenigen migrantischen Direktkandidaturen zur Bundestagswahl mehr. Die Verfahren laufen allerdings noch.

Nach dem Sarrazin-Schock passierte - wenig

Aziz Bozkurt ist ähnlich gelassen wie Giousouf, was mögliche Konkurrenz von Ethnoparteien angeht: „Ob die Leute sich wirklich mehr für türkische Themen interessieren als für den Mindestlohn, da wäre ich skeptisch“, sagt der Chef der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt. Die Wahlergebnisse seien da doch „Aussage genug“.

Dabei sieht es auch weiter links nicht gut aus für Migranten: 2011 gelang es nicht, den früheren Berliner Senator Thilo Sarrazin wegen seines teils rassistischen Bestsellers aus der Partei zu werfen – ein Schock gerade für Deutsch-Türken, deren erste Wahl jahrzehntelang die SPD war. Die 15-Prozent-Migrantenquote, die die Partei praktisch unmittelbar darauf beschloss, blieb hängen. Im Parteivorstand ist die Zahl der Genossen „mit Hintergrund“ auf dem letzten Parteitag sogar geschrumpft.

Wie wenig die Parteien selbst in jener Einwanderungsgesellschaft angekommen sind, über die sie Beschlüsse fassen, lässt sich an einem wesentlichen Detail ablesen: Keine zählt auch nur, wie viele Migranten Mitglied bei ihnen sind. Linke, Grüne, SPD und die Unionsschwestern: „Migrationshintergrund zählen wir nicht“, heißt es unisono aus den Parteizentralen. Sowohl Bozkurt wie Giousouf sind fürs Zählen, schon als Datenbasis für die innerparteiliche Arbeit. Das Argument, man markiere damit Parteifreundinnen und -freunde als Fremde, lassen beide nicht gelten. „Markiert sind die Personen schließlich, egal ob ein Migrationshintergrund abgefragt wurde oder nicht“, sagt Bozkurt. 

Negativbeispiel Frankreich

Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass der Frust der „neuen“ Bürger nicht zu eigenen Parteien führen muss, aber zum Sprengsatz für die alten werden kann: Frankreichs Sozialisten hatten sich vor 30 Jahren Teile der Bewegung schwarzer und maghrebinischer Franzosen einverleibt. Heute engagiert sich deren schmale akademische Elite außerhalb der Partei, und die Wahlbeteiligung schwarzer Franzosen sinkt und sinkt. Es gebe, sagte die Aktivistin Rokhaya Diallo in einem Tagesspiegel-Interview zur Begründung für diese Entwicklung, eben „keine Partei, die sie vertritt“.

Der Text erschien in "Agenda" vom 15. November 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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