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Ferngesteuert: Drohnen wie diese vom Typ Predator werden von den USA genutzt. Auch deutsche Militärs setzen bei der Aufklärung auf die Flieger.

© dpa

Anschaffung von Kampfdrohnen: Alles nur ein Missverständnis?

Die Industrie hält Drohnen für überfällig, die Politik dagegen will Zeit – es ist die Geschichte eines Missverständnisses. Und eine Lösung drängt sich nicht gerade auf.

Von Robert Birnbaum

Gerwert verstand die Welt nicht mehr. Bernhard Gerwert ist Chef der Militärsparte von Airbus, also Kummer mit der Politik gewohnt. Aber so eine Klatsche wie von der Neuen im Bendlerblock hatte der Manager noch nie erlebt. Montagfrüh hatte Ursula von der Leyen die Presse bestellt. Vor rasch aufgebauten Kameras schoss die Verteidigungsministerin los: „Es hat ja heute Presseberichte gegeben über ein angebliches Gespräch am letzten Donnerstag, wo mir die Industrie angeblich ein Angebot über die Entwicklung einer Aufklärungsdrohne gemacht hat.“ Das Gespräch habe so nicht stattgefunden, am Donnerstag schon gar nicht, und mal ganz grundsätzlich: Es gebe keinen Entscheidungsdruck.

Nach 52 Sekunden war das Gewitter vorbei. In den Zeitungen stand anderntags, dass sich die Ministerin von der Industrie nicht unter Druck setzen lasse. Gerwert aber machte auf Bekannte danach den Eindruck eines Menschen, neben dem der Blitz eingeschlagen hat: Er sage jetzt zu dieser Sache erst mal gar nichts mehr.

Die Szene im Mai wirft ein Schlaglicht auf ein Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft, in dem es seit geraumer Zeit knirscht. Die Drohne ist ein gutes Beispiel dafür. Das Unmanned Aerial Vehicle (UAV) lädt zum Konflikt ein.

Für die Militärs ist klar: Sie brauchen Drohnen

Dabei ist die Lage für Militärs ganz klar: Sie brauchen Drohnen. Zur Aufklärung sind die ferngelenkten Flieger schon jetzt unverzichtbar. In Afghanistan nutzt die Bundeswehr Heron-1, geleast vom israelischen Hersteller IAI. Der Motorsegler beobachtet das Gefechtsfeld. Aber er muss bald ersetzt werden, und damit einher geht ein Qualitätssprung in eine Zukunft, in der es keine bemannten Kampfjets mehr gibt. Die nächste Drohnen-Klasse hört auf das Kürzel MALE. Es steht für lange Flüge bis in mittlere Höhen.

Die Geräte können spähen, sie können aber auch schießen. Die Fähigkeit ist in alle Modelle fest eingebaut. Für Militärs ist die Kombination attraktiv, den eigenen Leute von oben sowohl Überblick als auch Feuerschutz zu geben. Eine skeptische Öffentlichkeit aber setzt MALE mit US-Killerdrohnen gleich. Die Kopfjagd auf mutmaßliche Terroristen hat die ganze Waffengattung delegitimiert.

Leyens Vorgänger Thomas de Maizière war entschlossen, sich diesen Bedenken entgegenzustemmen. Der CDU-Mann ermunterte auch Airbus-Chef Tom Enders dazu, das Projekt einer europäischen MALE-Drohne voranzutreiben, damals als „Talarion“ auf dem Reißbrett. Das sollte Folgen über de Maizières Amtszeit hinaus haben. Weil die Kooperation mit der Arbeitsebene des Verteidigungsministeriums aus ihrer Sicht vielversprechend weiterging, sah sich EADS nach Einschätzung von Szenekennern mit einer Art Entwicklungsauftrag versehen.

Die "Euro Hawk"-Affäre verunsicherte die Wirtschaft massiv

Dann schlug über de Maizière die „Euro Hawk“-Affäre zusammen. Der Kollateralschaden war nachhaltig. Das Ministerium, sagen Industrieleute, fahre seither eine „Risikominimierungsstrategie“ – selbst die Marine-Drohne Camcopter durfte nicht mehr an Bord wegen plötzlicher Zweifel an der Zulassung. Dabei verfügt der Kleinhubschrauber bloß über harmlose Kameras sowie eine höchst zivile Auszeichnung für gutes Design. Für die Rüstungswirtschaft war der „Euro Hawk“-Absturz vorläufiger Höhepunkt einer Gesamtverunsicherung. Die Wehretats schrumpfen, der Ruf der Branche ist durch Problemprojekte wie das Transportflugzeug A400M lädiert. Und dann noch deutsche Polit-Querschläge. Sie tragen dazu bei, dass im Wehretat 2013 weit mehr als eine Milliarde Euro Rüstungsmittel ungenutzt blieben und in diesem Jahr womöglich noch mal so viel. Dann köpfte Leyen auch noch die Spitze ihrer Rüstungsabteilung und stellte alle Großprojekte unter Prüfungsvorbehalt. Seither warten sie im Bendlerblock auf Ersatz, Entscheidungen und auf die Unternehmensberater, die ihre Abteilung aufmischen sollen.

Dass das Wirtschaftsministerium unter der Ägide von SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärtermaßen Rüstungsexporte kappen will, nahm der Branche den nächsten Ansprechpartner. „Die gehen da alle in Deckung“, berichtet ein Industrie-Insider. Auch er will seinen Namen hier nicht lesen: „Das Feld ist vermint.“

Der Eklat, der Gerwert so unverhofft erwischte, zeigt freilich auch: Richtig gut kennt sich die Industrie im Polit-Minenfeld nicht immer aus. Sie rätseln da bis heute, was die Ministerin derart ruppig werden ließ. Gut, es gab kein Gespräch am Donnerstag, wie fälschlich in einer Zeitung stand. Es gab ein Gespräch am Mittwoch, nicht mit EADS, sondern mit dem ganzen Verband. Über Einzelvorhaben fiel kein Wort. Aber beide Seiten, erzählt ein gut vernetzter Parlamentarier, hatten den Eindruck, man verstehe sich.

Jetzt geht der Politik die Industrie zu weit

Zwei Tage später landete im Ministerium ein Angebot von EADS, der französischen Dassault Aviation und der italienische Alenia Aermacchi zur Entwicklung einer Drohne namens MALE2020 bis 2020. Gerwert pries das Projekt gleich auch öffentlich an: „Bei unseren Streitkräften besteht eindeutig Bedarf!“ MALE2020, im Jahr zuvor auf der Pariser Air Show aus der Taufe gehoben, ist ein Pilotprojekt. Zum ersten Mal warten nicht Hersteller auf Anfragen, sondern machen selbst einen Vorschlag.

In der Logik der Industrie ist das ein Schritt voran. In der Logik der Politik einer zu weit. Im Koalitionsvertrag hat die SPD die Festlegung auf „bewaffnungsfähige“ Drohnen verhindert. Die Entscheidung soll erst nach einer Debatte fallen. Dass sein wohlgemutes Angebot die Ministerin in den Verdacht bringen könnte, sie wolle vorher vollendete Tatsachen schaffen – der Gedanke ist Gerwert offenbar gar nicht gekommen.

Er hätte bloß etwas zu warten brauchen. Am Montag hat der Verteidigungsausschuss Experten zur Drohnen-Frage gehört. Leyen hat ihrer Unions-Arbeitsgruppe vor Wochen in die Hand versprochen, dass sie sich danach festlegt. Alle rechnen mit einem prinzipiellen Ja. Dass es mittelfristig eine Euro-Drohne geben soll, steht im Koalitionsvertrag.

Aber nach allem, was da bisher schiefgelaufen ist, bleiben Industrieleute vorsichtig. „Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, wo wir schon mal waren“, sagt einer. Das stimmt. Schon Gerwerts Vorgänger Stefan Zoller hat einen frischbackenen Verteidigungsminister bekniet. „Die Zeit wird knapp“, hatte Zoller 2009 gewarnt: Wenn die Bundeswehr nicht bestelle, sei Europa aus dem Drohnen- Spiel. Das war ersichtlich übertrieben. Geholfen hat es sowieso nicht. Der Minister kam nicht mehr zum Entscheiden. Er hieß Karl-Theodor zu Guttenberg.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 1. Juli 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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