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Frank-Jürgen Weise will zum Jahresende das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verlassen.

© dpa

Asylverfahren und Flüchtlingskrise: Herr Weise packt ein

Als Krisenmanager sollte er das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Vordermann bringen. Nun hat Frank-Jürgen Weise angekündigt, dass er seinen Sessel Ende des Jahres räumen will. Hat er seine Mission erfüllt?

Frank-Jürgen Weise hält bereits nach neuen Herausforderungen Ausschau. „Wir wandern dann wieder zum nächsten Ernstfall, wenn’s gebraucht wird“, sagte der Übergangschef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kürzlich bei einer Pressekonferenz in Nürnberg. Der zuständige Abteilungsleiter des Bamf hatte da gerade die neuen IT-Strukturen für das Asylverfahren erläutert und herausgestellt, dass in nur wenigen Monaten ein völlig neues System aufgebaut worden sei. „Großbanken brauchen für ein solches Projekt ein bis zwei Jahre“, sagte Markus Richter, was Weise ausdrücklich als „Bewerbung“ verstanden wissen wollte. Das Pressegespräch fern der Hauptstadt wirkte denn auch wie eine Bilanz des Krisenmanagers. Den „Nürnberger Nachrichten“ sagte Weise wenig später, er wolle das Bamf Ende des Jahres verlassen. Hat er seine Mission also erfüllt?

Dem Bamf kommt bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise eine zentrale Rolle zu. Schon vor dem dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen stand es indes in der Kritik, weil Asylverfahren nicht selten zwei Jahre dauerten. Als dann im vergangenen Jahr immer mehr Flüchtlinge die deutschen Grenzen passierten, schienen die Beamten des Bamf vollends überfordert. Der Leiter schmiss hin. Weise, damals wie heute auch Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), sprang im September schließlich als Krisenmanager ein. Mitten im Ausnahmezustand musste er ein neues Asylverfahren konzipieren, es einführen und auch noch mit den ebenfalls krisengeschädigten Bundesländern abstimmen. Bei all dem soll das Bamf innerhalb kürzester Zeit mehr als dreimal so groß werden.

Schon zur Bundesagentur für Arbeit wurde er als Reformer geholt

Der frühere Offizier hat Erfahrung mit dem Umbau von Behörden. Auch die Bundesagentur übernahm er 2004, um sie zu reformieren. 2011 analysierte er nebenbei noch die Strukturen der Bundeswehr und machte Vorschläge, wie die Truppe und das Ministerium schlanker und gleichzeitig effizienter werden könnten. Die Aufgabe beim Bamf ließ sich nicht so einfach im Nebenjob erledigen. 60 Prozent seiner Arbeitskraft hat Weise in den vergangenen Monaten in den Umbau der Flüchtlingsbehörde investiert. Inzwischen, so sagt er, verbringe er wieder die Hälfte seiner Arbeitszeit in der BA. „Denn die Integration der Flüchtlinge am Arbeitsmarkt wächst jetzt zur nächsten großen Aufgabe heran.“

Beim Bamf hat Weise in den vergangenen Monaten einiges bewirkt. Neue Ankunftszentren ermöglichen bei eindeutigen Fällen nun die Abwicklung des gesamten Asylverfahrens in nur einer Woche. Weise holte sich dafür Rat von Experten aus den Niederlanden und Skandinavien. Die digitale Vernetzung mit den Landesbehörden und Kommunen läuft zwar „noch nicht sorgenfrei“, hat sich aber deutlich verbessert. Und doch schiebt das Bamf weiter hunderttausende Asylanträge vor sich her. Rund 300 000 Flüchtlinge sind bis heute nicht einmal zentral registriert. Weise gesteht außerdem ein, dass man bei den Einstellungen für das Bamf „hinter dem Plan“ liege. Rund 1700 der derzeit 6700 Mitarbeiter sind Leiharbeiter vom Zoll, der BA, der Bundeswehr, der Bahn oder der Post. Von der Zielmarke 7300 ist das Bamf damit weit entfernt, auch wenn der Chef betont, dass inzwischen weitere 1500 Einstellungszusagen verschickt worden seien.

Der Personalrat stellt sich quer

Viele davon könnten allerdings rückwirkend für ungültig erklärt werden, denn der Personalrat des Bamf zweifelt die Rechtmäßigkeit vieler Neueinstellungen an und klagt dagegen. Auch gegen Schicht- und Wochenendarbeit setzt sich der Personalrat zur Wehr. Der Streit hat sich als größtes Hindernis beim Umbau des Bamf erwiesen – und gefährdet letztlich den Erfolg der Weise’schen Mission. Wenn die Mitarbeiter nicht mitziehen, nützen die besten Strukturen nichts. Das belegen aktuelle Zahlen. Seit dem Amtsantritt Weises ist der Antragsstau größer und nicht etwa kleiner geworden. Aktuell liegen beim Bamf laut Weise 370 000 Asylanträge, die noch nicht entschieden sind. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn Hunderttausende konnten bisher noch gar keinen Antrag stellen. Den rund 1,4 Millionen Flüchtlingen, die 2015 und 2016 bisher eingereist sind, stehen nur knapp 720 000 Asylanträge gegenüber.

Konkret kritisiert der Personalrat, dass er und andere Personalgremien, wie Gleichstellungs- oder Behindertenbeauftragte, bei den Auswahlverfahren für Neueinstellungen nicht immer einbezogen worden seien. Außerdem wurde offenbar teilweise auf polizeiliche Führungszeugnisse und andere im Beamtenrecht vorgeschriebene Einstellungsvoraussetzungen verzichtet. Mehr als 70 neue Mitarbeiter überstanden die Probezeit nicht. Weise gibt zwar Versäumnisse zu, er sagt aber auch: „Es gibt da draußen 300 000 Menschen, die ihren Antrag noch nicht stellen können und es gibt mehr als 400 000, die haben einen Antrag gestellt und warten. Das ist das Thema, dem wir gerecht werden müssen.“ Dem Personalrat wirft er vor, sich an Routinen zu klammern. „Für mich ist die Frage: Wollen wir jetzt im Jahr 2016, nachdem Unordnung im Land entstanden ist, mit Routine vorgehen, oder lösen wir die Probleme?“ Der Personalrat spricht hingegen von akuter Überlastung der Mitarbeiter, die sich „zunehmend ausgequetscht“ fühlten, wie die „Nürnberger Nachrichten“ berichteten. Inzwischen darf sich die Personalvertretung nicht mehr öffentlich äußern.

Peinliche Pannen

Klar ist: Die Pannen häufen sich. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe kassierte im Februar einen Asylbescheid, der „entgegen der Auffassung des Bundesamtes“ nicht die gesetzlichen Anforderungen an eine „ordnungsgemäße Begründung“ erfülle, wie das Gericht urteilte. Der Bescheid bestehe „aus einem Durcheinander von Bearbeitungshinweisen und Textteilen“ und sei „unzumutbar“. Im April erregte der Fall eines Syrers Aufsehen, dem das Bamf nur einen sogenannten subsidiären Schutz für ein Jahr zugebilligt hatte, weil es sich unter anderem auf Diktator Baschar al Assad berief. Assad habe die Mehrheit der Bürgerkriegsflüchtlinge als Patrioten bezeichnet, schreibt das Bamf. „Vor diesem Hintergrund ist nicht generell davon auszugehen, dass alle Syrer, die ihre Heimat verlassen haben, als Regimegegner betrachtet werden.“

Menschenrechtler sind alarmiert. Sie hatten zwar stets zügige Verfahren angemahnt. Das neue Verfahren in den Ankunftszentren halten sie aber für zu oberflächlich. „Das Risiko von Fehlentscheidungen ist hier groß“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Für Burkhardt liegt der Fehler aber nicht bei Weise, sondern in der Politik, die dem Krisenmanager mit immer neuen und teilweise widersprüchlichen Vorgaben das Leben schwermache. „Er soll die Verfahren einerseits beschleunigen, andererseits wird dann beschlossen, bei der größten Gruppe der Flüchtlinge, den Syrern, zur Einzelfallprüfung zurückkehren.“ Pro Asyl schlägt pauschale Anerkennungen für Flüchtlinge aus den Hauptherkunftsländern Syrien und Eritrea vor und eine großzügige Altfallregelung für Flüchtlinge, die schon sehr lange auf eine Entscheidung ihres Antrags warten.

Doch solche Pauschallösungen sind politisch nicht gewollt. Zu groß ist die Angst, dass Terroristen oder Kriminelle das Asylrecht missbrauchen – und AfD und Pegida das dann ausschlachten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Abschiedsstimmung des Krisenmanagers auch mit solchen Widrigkeiten zusammenhängt.

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