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Andrea Nahles packt an. Bis zum Sommer will die Arbeitsministerin zusammen mit Finanzminister Schäuble eine Reform bei den Betriebsrenten auf den Weg bringen.

© imago/Christian Thiel

Betriebsrenten und Riester: Die Versicherungswirtschaft macht mobil

Was wird aus Riester? Wer organisiert künftig die betriebliche Vorsorge? Die Versicherer kämpfen um ihr Geschäft. Und hoffen auf Andrea Nahles.

Axel Kleinlein kommt in diesen Tagen ganz groß raus. Deutschland diskutiert über die Altersvorsorge, dem Versicherungsexperten mit den starken Thesen und markanten Ansagen verschafft das ein Millionenpublikum, etwa im ZDF bei „Maybrit Illner“. Dort darf der Chef des Bundes der Versicherten das sagen, was er schon seit Jahren der Republik zu erklären versucht: „Die Riester-Rente ist gescheitert.“

Kleinlein steht mit dieser Meinung nicht allein. Die Grünen fordern schon seit Langem einen Ausstieg aus der staatlich geförderten Privatrente, nun macht auch CSU-Chef Horst Seehofer Front gegen die Riester-Rente. Zu teuer, zu wenig Rendite, ein staatliches Subventionsprogramm für die Assekuranz – in der Kritik ist man sich über die schwarz-grünen Parteigrenzen hinaus einig.

Die Versicherungsbranche steht unter Druck

Für die Versicherungswirtschaft ist das eine harte Zeit. Schon seit Jahren steht die Branche unter Druck, weil die Niedrigzinsen das Geschäft erschweren. Lebensversicherungen werfen nicht mehr so viel ab wie früher, das merken auch die Kunden. Das Neugeschäft sinkt. Drei Prozent weniger waren es im vergangenen Jahr, auch für 2016 rechnet die Branche mit einem Rückgang. Nun soll auch noch der Garantiezins sinken. Die Riester-Debatte kommt da ungelegen. Das umso mehr, als die Versicherer eigentlich ihre Kräfte bündeln müssten für eine weiteres politisches Großprojekt, die Betriebsrenten.

Bis Sommer wollen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Reformentwurf vorlegen, der dafür sorgen soll, dass die Deutschen mehr Betriebsrenten abschließen als bisher. Für die Versicherer könnte das eine gute Nachricht sein. Immerhin haben sie bereits 15 Millionen Verträge in der betrieblichen Altersvorsorge. Und im Gegensatz zur Riester-Rente, die im vergangenen Jahr einen Absatzeinbruch hinnehmen musste, ist das Firmengeschäft mit Direktversicherungen, Pensionskassen, -fonds und Rückdeckungsversicherungen ein Wachstumsmarkt. Ein lukrativer zudem.

„Für das Geschäft der Versicherer spielt die betriebliche Altersvorsorge eine große Rolle“, sagt Peter Schwark, Geschäftsführer des Versicherungsverbands GDV. „Die Durchschnittsbeiträge sind höher als bei Riester.“ Schwark hat derzeit viel zu tun. Er ist im Verband zuständig für den Bereich Altersvorsorge. Lebensversicherung, Riester, Firmenrente – bei all diesen Themen muss Schwark die Argumente der Versicherungswirtschaft in den Ministerien, den Fraktionen und in der Öffentlichkeit platzieren. Von einem großen Lobbydruck spricht Lisa Paus, die steuerpolitische Sprecherin der Grünen. Sie sitzt im Finanzausschuss des Bundestags, für die Versicherungswirtschaft ein wichtiges Gremium. Staatliche Zuschüsse für Riester- oder Firmenrenten sowie steuerliche Privilegien müssen hier abgenickt werden. Bei Terminen trifft die Grüne jetzt häufiger auf Vertreter aus der Finanz- und Versicherungswirtschaft. „Die Versicherungsbranche macht verstärktes Lobbying“, beobachtet auch Verbraucherschützer Kleinlein. Schwark spricht von einer „intensiven Zeit“ für die Vorsorge.

Politprominenz ist selten

Politprominenz, wie man sie aus anderen Zweigen kennt, findet sich in der Versicherungsbranche eher selten. Spektakuläre Personalien wie bei VW, wo der frühere Vize-Regierungssprecher Thomas Steg nun als Cheflobbyist agiert, beim Rüstungskonzern Rheinmetall, der Ex-Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) als Cheflobbyisten anheuerte, oder bei der Bahn, die den einstigen Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) in den Vorstand holte, gibt es in der Assekuranz kaum. Der Wechsel von Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zur Allianz-Krankenversicherung könnte ein solcher Fall sein, allerdings ist Bahr ausgebildeter Gesundheitsökonom und insofern vom Fach.

„Wir entwickeln Konzepte, führen Gespräche, nehmen aktiv an Diskussionsrunden teil“, sagt Schwark über seine Arbeit. Tatsächlich setzt die Branche auf die Kraft von Zahlen und Argumenten – und betont wiederkehrend ihren guten Willen, die Dinge zum Besseren zu wenden. Bei Riester habe man vieles verbessert, betont der GDV. Die Abschlusskosten seien deutlich gesunken, zudem gebe es ab dem nächsten Jahr ein Produktinformationsblatt, das Kosten, Chancen und Risiken vergleichbar mache. Riester, so argumentiert der Verband, lohne sich wegen der staatlichen Förderung zwar für die Kunden, nicht aber für die Versicherungswirtschaft. „Nach meiner Einschätzung hat unter dem Strich noch kein Versicherer mit Riester Gewinn gemacht“, betont Schwark, „Riester-Verträge sind mit hohen Kosten für die Versicherungswirtschaft verbunden.“ Dennoch will die Branche das Geschäft retten. Die hohen Investitionen in IT und Personal hätten sich noch nicht amortisiert und wären verloren, wenn Riester eingestellt werde, warnt Schwark. Verbraucherschützer glauben dagegen nicht an den Altruismus der Branche, die sehenden Auges Verluste schreiben soll, um die Deutschen mit der Riester-Rente zu beglücken.

Andrea Nahles will alle drei Säulen erhalten

Ob Riester oder Firmenrente, in der Bundesregierung setzen die Versicherer ihre Hoffnungen auf Arbeitsministerin Nahles. „Wir glauben, dass sie das bestehende Drei-Säulen-System erhalten will“, sagt Schwark. Gesetzliche Rente, betriebliche Altersvorsorge und die private Zusatzvorsorge, diese drei Säulen sichern auch der Versicherungswirtschaft ein auskömmliches Dasein. Allerdings sind die Pfründe hier unterschiedlich verteilt. Große Versicherer wie die Allianz oder die R+V machen bereits heute gute Geschäfte mit der Betriebsrente, viele kleinere Versicherer haben dazu aber nicht die Kraft. Der Verband muss jedoch alle Mitglieder vertreten.

Und auch im Betriebsrentengeschäft droht jetzt Ungemach. Denn Nahles hat sich neulich in einem Gutachten die Vorzüge ihres „Sozialpartnermodells“ bestätigen lassen. Das sieht eine Stärkung der Tarifparteien in der Altersvorsorge vor.

Für die Versicherer wäre es schlecht, wenn Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter nicht wie bisher nur den Rahmen für die Geschäfte der Assekuranz bilden würden, sondern das Heft in die Hand nehmen. Sie könnten selbst Pensionsfonds und -kassen gründen und die Versicherer zu reinen Erfüllungsgehilfen degradieren. Das schwebt zumindest Heribert Karch vor, dem Chef der Metallrente. Bisher arbeitet das Versorgungswerk der Metallindustrie, in dem bereits 600 000 Metaller auf eine Betriebsrente sparen, mit der Allianz zusammen, doch für die Zukunft könnte sich Karch auch andere Lösungen vorstellen. „Für größere Branchen liegt es näher, eigene Einrichtungen zu gründen“, meint er. Die Metallindustrie, der Dienstleistungssektor und die Chemiebranche könnten solche Zweige sein. Vertriebskosten könnten halbiert werden, auch die Kosten für die Kapitalanlage könnten kräftig sinken, wenn die Tarifparteien das Geld selber anlegen. Der Versicherungswirtschaft bliebe dann nur noch die bloße Verwaltung. Peter Schwark will das verhindern. Auch die Tarifparteien bräuchten für die Durchführung einen Partner, meint er. Das gelte besonders für den Mittelstand und Kleinunternehmen, also die Klientel, die nach Meinung der Regierung bisher zu wenig für die Betriebsrente getan hat.

Ob die Branche damit bei der Politik landen kann, bleibt abzuwarten. Verbraucherschützer Kleinlein glaubt das nicht. Er erinnert sich noch gut an die Aufregung um das Lebensversicherungsreformgesetz. Vor zwei Jahren hatte die Politik Auszahlungen an Versicherungskunden gekürzt, um die Versicherer durch die Niedrigzinsphase zu bringen. „Mit ihrer Jammerei hat sich die Branche einen Bärendienst erweisen“, sagt Kleinlein. Die Politik sehe doch, dass die Versicherer gut dastehen.

Am Montag legten zwei Versicherer Zahlen vor. Die R+V-Versicherung verkündete das zweitbeste Jahresergebnis ihrer Geschichte, die Allianz vermeldete einen Anstieg des Quartalsüberschusses für ihre Anleger um 20 Prozent.

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