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Das Palais Lobkowitz ist ein historischer Ort.

© dpa

Botschafter Christoph Israng in Prag: Der Herr des historischen Balkons

Im Garten des Palais Lobkowitz sprach Hans-Dietrich Genscher einen berühmten Satz. Christoph Israng leitet heute die deutsche Botschaft in der tschechischen Hauptstadt.

Das Palais Lobkowitz in Prag ist die traditionsreichste diplomatische Vertretung Deutschlands auf der Welt, gefolgt vom Palais Beauharnais, der Residenz des deutschen Botschafters in Paris. Die wurde 1714 erbaut. Das Barockpalais Lobkowitz, benannt nach einer Adelsfamilie aus Böhmen, ist zwischen 1703 und 1707 entstanden.

Anders als der Prachtbau in der französischen Hauptstadt, der Eigentum der Bundesrepublik Deutschland ist, gehört das Lobkowitz der Tschechischen Republik. Verkaufsverhandlungen scheiterten 2014, die Regierung in Prag wollte sich nicht dem Vorwurf aussetzen, eines der repräsentativsten Bauwerke der Hauptstadt ans Ausland veräußert zu haben. Aber mit dem damals auf 50 Jahre abgeschlossenen Mietvertrag können beide Seiten gut leben.

Auf dem Balkon stand 1989 Hans-Dietrich-Genscher

Weltweite Berühmtheit erreichte das Palais freilich nicht aus architektonischen, sondern aus zeitgeschichtlichen Gründen. In den riesigen Garten der Botschaft hatten sich im Wendesommer 1989 Tausende von DDR-Bürgern geflüchtet, in der Hoffnung auf Ausreise in die Bundesrepublik.

Am Abend des 30. September 1989 traf Hans-Dietrich Genscher in der tschechischen Botschaft ein. Der Bundesaußenminister kam direkt von der UN-Vollversammlung in New York. Zu der war er, gegen heftigen Widerstand seiner Ärzte, trotz eines kaum überstandenen Infarktes in medizinischer Begleitung geflogen, um mit dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse, seinem DDR- Kollegen Oskar Fischer und dem tschechoslowakischen Außenminister Jaromir Johanes über die Modalitäten einer Ausreise der DDR-Bürger zu verhandeln.

Der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (unter dem Fensterkreuz rechts) steht am 30.09.1989 mit anderen Politikern auf dem Balkon der bundesdeutschen Botschaft in Prag. Am 30. September 1989 hatte der FDP-Politiker dort den DDR-Bürgern im Garten verkündet, dass ihre Ausreise möglich geworden war.
Der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (unter dem Fensterkreuz rechts) steht am 30.09.1989 mit anderen Politikern auf dem Balkon der bundesdeutschen Botschaft in Prag. Am 30. September 1989 hatte der FDP-Politiker dort den DDR-Bürgern im Garten verkündet, dass ihre Ausreise möglich geworden war.

© Reinhard Kemmether/dpa

Von alledem wussten die verzweifelt hoffenden Menschen im Garten nichts, als Genscher um 18.58 Uhr auf den Balkon der Botschaft trat und zu jenem Satz ansetzte, der in die Geschichtsbücher eingehen sollte: „Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …“ Der Rest des Satzes ging zunächst in einem befreienden Jubel unter, bis Genscher fortfahren konnte: „… in die Bundesrepublik Deutschland möglich geworden ist.“

Der Rest ist bekannt. Genscher hat später einmal erzählt, er habe die ersten Buchstaben aller Worte dieses Satzes einige Zeit als sein persönliches Computerpasswort benutzt: llwsziguimdhiaidbdmgi ….

Eine schwierige Vergangenheit

Christoph Israng, seit dem 8. August 2017 deutscher Botschafter in Prag mit Amtssitz und Residenz im Palais Lobkowitz, bekommt „immer noch Gänsehaut, wenn man an die Szenen von damals denkt“. Eine Gedenktafel auf der Brüstung des Balkons erinnert an die historische Stunde. Israng, 1971 in Ulm geboren, hat eine enge Beziehung zu Tschechien. Schon als junger Mensch war er im Rahmen privater Reisen an Orten wie Lidice, wo NS-Täter aus Polizei, Gestapo und SS im Juni 1942 als Racheaktion nach dem Anschlag auf Reinhard Heydrich, den „Reichsprotektor für Böhmen und Mähren“, alle 172 männlichen Einwohner, die älter als 15 Jahre waren, umbrachten und die Frauen und Kinder deportierten.

Damals besuchte Israng auch Theresienstadt, das deutsche KZ auf tschechischem Boden, das Durchgangslager für mehr als 140.000 Gefangene gewesen war. Man merkt Christoph Israng heute noch die Erschütterung an, wenn er berichtet, wie sehr ihn nun, in seiner Zeit als Botschafter, die Gespräche mit Überlebenden der von Deutschen verübten Verbrechen berühren: „Die Herzlichkeit, die mir dort begegnete, war angesichts des Geschehenen geradezu beschämend.“

Und ihn, den Vater dreier Kinder, hat besonders auch die Begegnung mit Menschen bewegt, die als Kinder aus Lidice an verschiedene Orte deportiert worden waren – die Väter ermordet, die Mütter nach Theresienstadt verschleppt. Theresienstadt und Lidice gehören bis heute zu den historischen Orten, an die Schulklassen und Jugendgruppen aus Deutschland reisen. Aber es gibt eben auch viele in die Zukunft gewandte gemeinsame Projekte etwa des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, der mehr als 600 Vorhaben fördert, nicht nur für Jugendliche.

„Das Besondere an dem Posten in Prag ist die Vielfalt der kulturellen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Beziehungen, aber auch die Geschichte, die uns verbindet“, sagt Christoph Isang nach acht Monaten im Amt. Prag gehört zu den touristischen Hotspots Europas und ist auch beliebtes Ziel deutscher Reisender. Die Prager Karls-Universität ist die älteste Universität Mitteleuropas. Namen wie Franz Kafka und Max Brod stehen für deutschsprachige Literatur aus Prag. Da ist die Filmbranche, ist die Biene Maja, das weltberühmte Prager Marionettentheater mit den beiden Figuren Hurvinek und Spejbl, die zum Beispiel zusammen mit der Augsburger Puppenkiste in der Botschaft zu Gast waren.

Beide Länder sind sich zudem geografisch sehr nah. Die Grenze zu Tschechien ist die zweitlängste Außengrenze Deutschlands. Am 9. November 2017, dem Jahrestag des Mauerfalls, fuhr Israng mal rasch von Prag nach Passau zu einer Diskussion an der dortigen Universität. Nach Berlin kommt er jetzt in dreieinhalb Stunden mit dem Auto – kein Botschafter sei näher am Auswärtigen Amt, schmunzelt er.

Trotz der historischen Lasten sind die Beziehungen zwischen beiden Ländern gut, aber „laufen nicht auf Autopilot“. Heißt: Man muss daran arbeiten. „Die Botschaft präsentiert sich als offenes Haus, unter anderem mit einem Tag der offenen Tür“, sagt der Hausherr. Und: „Der Premierminister war schon mehrfach in der Botschaft, er spricht sehr gut Deutsch. Auf die Frage, an wen ich mich wenden könne, sagte er ‚Schicken Sie mir eine SMS‘.“ Das hat Christoph Israng auch gemacht. Und bekam prompt Antwort – auf Deutsch.

Es geht mehr um Wirtschaft als um Flüchtlinge

Wenn vom Verhältnis zwischen Deutschland und Tschechien gesprochen wird, stehen oft die unterschiedlichen Ansichten beider Länder zu vielen Fragen im Vordergrund – etwa die Tatsache, dass Tschechien als einer der vier Visegradstaaten viele Entwicklungen in der EU anders als Deutschland sieht. Zum Beispiel die Haltung gegenüber Flüchtlingen: Von Präsident Milos Zeman ist der Satz überliefert: Wenn es hart auf hart kommt, ist es immer besser, auf EU-Subventionen zu verzichten, als Migranten hereinzulassen. Christoph Israng kennt den Satz natürlich – und merkt an, dass Zeman das bei der Einführung zu seiner zweiten Amtszeit nicht mehr thematisiert hat.

Im Alltag stehen dagegen sehr oft wirtschaftliche Fragen im Vordergrund. Im Handel zwischen Tschechien und Deutschland erzielt Tschechien einen Überschuss. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern ist größer, als es das mit Russland vor den Restriktionen gewesen ist. Tschechien hat als Maschinenbau-Nation eine große Tradition, und die Skodas auf deutschen Straßen kommen alle aus tschechischen Werken. Fachkräftemangel, Ausbildung und Digitalisierung betreffen beide Länder und sind Themen von Konferenzen, die die Botschaft organisiert.

Dem studierten Betriebswirt Israng ist das alles genauso vertrautes Terrain wie die politischen Fragen Europas. Er war außenpolitischer Berater im Bundestag, arbeitete im Referat Nato/Sicherheitspolitik des Auswärtigen Amtes und ab 2006 im Kanzleramt. Für den Luftwaffenoberleutnant der Reserve ist Sicherheitspolitik auch deshalb so etwas wie ein Heimspiel, weil er vor der Berufung nach Prag Ständiger Vertreter bei der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen in Den Haag gewesen ist.

Und auch das ist eine Besonderheit für den Botschafter in Tschechien: die sehr gute Zusammenarbeit mit den deutschsprachigen Minderheiten im Land, dabei hilft die Kooperation mit den Goethe-Instituten, und das alles nicht nur in Prag, sondern in den Regionen – es geht immerhin um 50.000 Menschen in dieser Vielvölkerregion im Herzen des Kontinentes.

In loser Folge berichtet Tagesspiegel- Agenda über die deutschen Auslandsvertretungen und ihre Repräsentanten.

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