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Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD).

© Kay Nietfeld/dpa

Bundestagswahl 2017: Der Gedanke an Merkel macht Rot-Rot-Grün zur Alternative

Die Anhänger einer Koalition von SPD, Linkspartei und Grünen verstärken ihre Kontakte. Ihr wichtigster Verbündeter: der Verdruss über die große Koalition. Szenen einer Annäherung.

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So nah waren sie sich selten, die Spitzen von SPD, Linkspartei und Grünen. Es ist der Freitag nach der Brexit-Entscheidung. Im Kanzleramt ist gerade die Krisensitzung zu Ende gegangen, zu der Angela Merkel die Partei- und Fraktionschefs geladen hatte. Jetzt stehen SPD-Chef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Thomas Oppermann, das Grünen-Führungsduo Simone Peter und Cem Özdemir mit Linksfraktionschef Dietmar Bartsch und seiner Parteivorsitzenden Katja Kipping zusammen im Fahrstuhl.

Ein schöner Zufall, findet Kipping: „Dann können wir ja jetzt, während der Fahrstuhl fährt, die Kandidatur für die Bundespräsidentinnenwahl besprechen“, sagt die Linken-Chefin, und alle lachen wie befreit. Für einen Moment verscheucht die Idee von einer rot-rot-grünen Bundespräsidentin alle dunklen Gedanken über Europas Zukunft nach dem Brexit.

Doch es geht um mehr als um einen Scherz. Alle Beteiligten wissen: Es geht um die Macht im Bund. Denn nach der Bundestagswahl im Herbst 2017 könnten SPD, Linke und Grüne tatsächlich vor der Frage stehen, ob sie die Ära Merkel mit einem linken Regierungsbündnis beenden wollen. Und die Wahl des nächsten Staatsoberhaupts könnte ein wichtiges Signal für den Machtwechsel sein.

Sigmar Gabriel hat ein solches Bündnis der progressiven Kräfte jüngst selbst vorgeschlagen. „Gemeinsam regierungsfähig“ müssten sie werden, schrieb er in einem Essay im „Spiegel“ und zog zur Begründung die Bedrohung der Republik durch Rechtspopulisten heran. Zwar wollte der SPD-Chef es kurz darauf gar nicht mehr so gemeint haben. Aber in allen drei Parteien fühlen sich die Anhänger von „R2G“ seither von höchster Stelle dazu aufgerufen, ihr Herzensprojekt voranzutreiben. Sie können dabei auf einen mächtigen Verbündeten setzen: Den Verdruss über die Große Koalition.

Die Sehnsucht, Merkel abzulösen, ist zumindest in großen Teilen von SPD und Linken inzwischen größer als die wechselseitige Abneigung unter linken Konkurrenten. Nichts schreckt Sozialdemokraten mehr als die Vorstellung, sie müssten sich noch einmal als Juniorpartner der CDU-Chefin in einer großen Koalition kleinmachen. Jede Alternative zu diesem Bündnis ist ihnen lieber, und Rot-Rot-Grün könnte im Herbst 2017 diese Alternative sein. Zwar sind sich SPD und Linkspartei inhaltlich in den vergangenen Jahren kaum nähergekommen. Doch der Drang „Weg von der großen Koalition“ ist so mächtig, dass auch Gabriel nun rot-rot-grüne Signale setzen muss.

SPD-Schatzmeister Nietan: "Spiegel"-Essay "der richtige Ansatz"

Zur Freude derer, die schon lange für Rot-Rot-Grün kämpfen. Als sich SPD, Linke und Grüne kürzlich auf dem Sommerfest der „Denkfabrik“ trafen, einem SPD-Zirkel mit großen Sympathien für das Projekt „R2G“, bedankte sich der SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan bei Gabriel für den „Spiegel“-Artikel („der richtige Ansatz“) und nahm den Vorsitzenden zugleich in die Pflicht. „Wer A sagt, muss auch B sagen“, meinte er und forderte den Parteichef auf, in den Gremien „ganz konkrete Vorschläge auf den Tisch zu legen“, welche Beiträge die SPD leiste, damit das Bündnis Realität werde. Nietan ist nicht irgendwer in der SPD. Als Bundesschatzmeister ist er Mitglied des Präsidiums.

Gabriel selbst verfolgt die Linie, das Tor zu Rot-Rot-Grün zu öffnen, will sich aber nicht eindeutig festlegen lassen, um Gegner eines Linksbündnisses nicht zu verschrecken. Die „R2G“-Fans wollen sich damit aber nicht zufrieden geben. Der Abgeordnete Frank Schwabe, einer der führenden Köpfe der „Denkfabrik“, sagt: „Die Option liegt auf dem Tisch – und sie wird auch nicht mehr verschwinden.“ Die SPD müsse nun „den Austausch auf allen Ebenen verstärken, um Schnittmengen zu identifizieren“. Schwabe verlangt von seinem Parteichef klare Bekenntnisse. „Dieses Land muss den sozialen Zusammenhalt neu organisieren. Dafür bietet Rot-Rot-Grün die größten inhaltlichen Schnittmengen. Das darf die SPD im Bundestagswahlkampf auch nicht verschweigen.“ Demnächst haben Schwabe und andere SPD-Abgeordnete einen Termin mit Gabriel, bei dem sie für einen offensiveren Umgang mit Rot-Rot-Grün werben wollen.

Thüringen gilt als Modell

Als Modell für eine Regierungszusammenarbeit im Bund dient den „R2G“-Anhängern aller drei Parteien die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen. Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow gilt in seiner eigenen Partei als einer der entschiedensten Befürworter. „Mit unserem Thüringer Regierungsbündnis in Erfurt waren wir nicht nur die Trendsetter“, sagt Ramelow: „Wir haben den Ehrgeiz zu zeigen, dass möglich ist, was bisher als unmöglich galt. Ich fände es gut, wenn die drei Parteien auf Bundesebene mehr miteinander als übereinander reden.“

In Ramelows Thüringer Landesvertretung in der Hauptstadt haben solche Gespräche längst begonnen. Staatskanzlei-Chef Benjamin-Immanuel Hoff empfing kürzlich ein gutes Dutzend jüngere SPD-Bundestagsabgeordnete von allen Parteiflügeln, darunter auch der Chef der niedersächsischen SPD-Landesgruppe, Lars Klingbeil, und Christian Flisek, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger in der SPD. Die Genossen wollten wissen, wie Deutschlands einzige rot-rot-grüne Koalition im Regierungsalltag funktioniert. Es sei vor allem um „die Technik“ des Regierens gegangen, sagt Gastgeber Hoff.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, Linke
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, Linke

© Michael Reichel/dpa

Neben Ramelow ist Fraktionschef Dietmar Bartsch in der Linkspartei einer der wichtigen Wegbereiter einer Koalition mit der SPD. Mit Parteichef Gabriel trifft er sich seit Jahren regelmäßig zum Essen. Inzwischen finden die Treffen nicht mehr im Geheimen statt: Wenn Bartsch etwas besprechen will, besucht er seinen Duz-Freund in dessen Wirtschaftsministerium. Auch mit fast allen anderen SPD- Bundesministern ist der Linken-Politiker per Du.

Bartsch hält nicht nur die Kontakte zu den Sozialdemokraten, er muss auch seine Ko-Vorsitzende Sahra Wagenknecht überzeugen. Die Ehefrau von Oskar Lafontaine agiert als kompromisslose Hüterin des linken Parteiprofils und gilt in der SPD bislang als Blockiererin von „R2G“. „Es hängt an Wagenknecht“, heißt es auf dem linken Flügel der SPD. Immerhin gelang es Bartsch schon, seine Parteifreundin von einem gemeinsamen Frühstück mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zu überzeugen.

Bei den Grünen kämpft vor allem Hofreiter für die Option

Bei den Grünen kämpft vor allem Fraktionschef Anton Hofreiter für die rot-rot-grüne Option. Und auch er hat es nicht immer leicht, gegen die zahlreichen Skeptiker in den eigenen Reihen durchzudringen. Grünen-Parteichef Cem Özdemir etwa arbeitet bereits an den Grundlagen einer schwarz-grünen Regierung im Bund. Offiziell will sich die Grünen-Führung für 2017 alle Optionen offen halten.

Ob all die Gespräche ausreichen, um bis 2017 eine inhaltliche Basis für eine Koalition links der Mitte zu schaffen, ist offen. Als womöglich entscheidendes Hindernis gilt die beinharte Absage der Linkspartei an Auslandseinsätze der Bundeswehr. Auch in der Sozial- und Steuerpolitik sind die Gräben tief.

Wie groß der Abstand von SPD und Linkspartei ist, machte zuletzt NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft deutlich. Die Linke sei „weder regierungswillig noch regierungsfähig“, urteilte sie in der „FAZ“. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende kann Lockerungssignale an die Linkspartei vor ihrem Landtagswahlkampf im Frühling 2017 überhaupt nicht gebrauchen. Sie rief deshalb beim Parteichef an und machte die Position der NRW-SPD deutlich, nachdem Gabriels „Spiegel“-Aufsatz bei den Genossen an Rhein und Ruhr für Unmut gesorgt hatte.

Die Spitzenrunde von SPD, Linken und Grünen im Aufzug des Kanzleramts wurde aus einem anderen Grund ernüchtert. Kaum hatte Kipping mit ihrem Bundespräsidentinnen-Spruch die Kollegen zum Lachen gebracht, ging die Lifttür noch einmal auf und Finanzminister Wolfgang Schäuble steuerte mit seinem Rollstuhl in die Kabine. Von einer rot-rot-grünen Präsidentinnenwahl redete auf der Fahrt nach unten keiner mehr.

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