zum Hauptinhalt
Die Welt in ihren Händen? Die G20, die größten Industrie- und Schwellenländer, treffen sich im Juli in Hamburg.

© Shutterstock

Deutscher Vorsitz der G20: Auf dem Weg zum Gipfel

Im Juli empfängt Angela Merkel in Hamburg die Staats- und Regierungschefs der G 20. Auf der Agenda: Flucht, Migration, Klimaschutz und Frauenrechte. Die Vorbereitungen laufen an.

Kaum ist der G-20-Gipfel in China vorbei, haben in Berlin schon die Vorbereitungen für das nächste Treffen der 20 größten Industrie- und Schwellenländer der Welt begonnen. Denn im kommenden Jahr hat Deutschland den G-20-Vorsitz, im Juli 2017 empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel die Staats- und Regierungschefs zum Gipfel in Hamburg. Offiziell übergibt China die Präsidentschaft zwar erst zum 1. Dezember. Doch im Kanzleramt werden bereits jetzt die Schwerpunkte des deutschen Vorsitzes geplant. Die Zeit ist auch deshalb knapp, weil der Gipfel wegen der Bundestagswahlen anders als bisher nicht erst im Herbst stattfinden kann.

Inhaltlich hat die Kanzlerin knapp umrissen, welche Themen ihr neben der klassischen Wirtschafts- und Finanzpolitik wichtig sind: Flucht und Migration will sie in Hamburg zum Thema machen. Außerdem führt die Bundesregierung Themen der deutschen G-7-Präsidentschaft fort, darunter die Partizipation von Frauen oder der Umgang mit Epidemien und Pandemien, wie Merkel ankündigte. Aber auch Klimaschutz und Energie sowie den Kampf gegen Korruption will Deutschland auf die internationale Agenda setzen.

Merkels Sherpa bereitet den Gipfel vor

Mit der inhaltlichen Vorbereitung der G-20-Gipfel sind traditionell die sogenannten Sherpas betraut, die Chefunterhändler der Regierungen. Merkels Sherpa für den Hamburger G-20-Gipfel ist der 58-jährige Ökonom Lars-Hendrik Röller. Seit mehr als fünf Jahren verantwortet er als Leiter der Abteilung 4 im Bundeskanzleramt die Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik und ist damit Merkels wichtigster wirtschaftspolitischer Berater. Schon den G-7-Gipfel auf Schloss Elmau im vergangenen Jahr hat Röller vorbereitet. Sein Stab im Kanzleramt koordiniert auch fachliche Zuarbeiten aus den Ministerien, die wiederum selbst die jeweiligen Ministertreffen vorbereiten.

Zugleich sollen auch Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft vor dem G-20-Gipfel ihre Positionen einbringen. „Die Bundeskanzlerin wird ähnlich wie im Rahmen der G-7-Präsidentschaft einen umfassenden Dialog mit der Zivilgesellschaft führen“, sagte ein Regierungssprecher. So existieren neben der offiziellen Ebene viele kleinere Formate, in denen sich Vertreter aller G-20-Länder auf gemeinsame Forderungen verständigen müssen: die B 20 (Business 20) für die Wirtschaft, die L 20 (Labour 20) für die Gewerkschaften, die W 20 (Women 20) für Frauen, die Y 20 (Youth 20) für die Jugend, die C 20 (Civil 20) für die Zivilgesellschaft, die T 20 (Thinktank 20) für die Denkfabriken und die S 20 (Science 20) für die Wissenschaft.

Die Bundesregierung hat schon vor dem offiziellen Start der deutschen Präsidentschaft Aufträge zur Leitung dieser Beteiligungsgruppen vergeben. Noch in dieser Woche treffen sie sich mit Röller im Kanzleramt, um die Schwerpunkte abzusprechen. Jede Gruppe organisiert einen eigenen kleinen Gipfel im Vorfeld des Treffens der Staats- und Regierungschefs und erhält einen Termin mit der Kanzlerin, um ihre Positionen einzubringen.

Die B20 vertreten die Interessen der Wirtschaft

Als wohl durchsetzungsstärkste Gruppe gelten die B 20, in der Unternehmen und Wirtschaftsverbände vertreten sind. Mit der Leitung der B 20 beauftragte das Kanzleramt den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und den Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Vorsitzender der deutschen B-20-Präsidentschaft ist der Unternehmer Jürgen Heraeus, der seit 2008 auch an der Spitze von Unicef Deutschland steht. „Wir wollen einen ehrlichen und offenen Austausch zwischen Unternehmen und Verbandsvertretern aus allen G-20-Ländern organisieren“, sagt die B-20-Sherpa Stormy-Annika Mildner, die beim BDI die Abteilung Außenwirtschaftspolitik leitet.

Mit einer Umfrage unter den Mitgliedern der zuvor von China geleiteten B 20 wollten die deutschen Organisatoren herausfinden, welche Themen den Unternehmen besonders wichtig sind. „Die Digitalisierung wird auf jeden Fall ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein“, sagt Mildner. Aber auch die Umsetzung der Klimaziele von Paris, Energie- und Rohstoffeffizienz und verantwortliches Wirtschaften stehen auf der Agenda der B 20. Außerdem wollen sich die Deutschen stärker als ihre chinesischen Vorgänger dem Thema Korruptionsbekämpfung widmen. Die inhaltliche Arbeit wird über mehrere Task Forces organisiert, in denen jeweils bis zu 100 Vertreter aus allen G-20-Staaten sitzen sollen. Auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, ist innerhalb der G 20 deutlich komplizierter als in den G 7, dem Zusammenschluss der sieben größten Industriestaaten. „Bei manchen Themen ist es relativ leicht, sich zu einigen, wenn man aber beispielsweise über Datenschutz diskutiert, wird es schon schwerer“, sagt Mildner.

Anfang Mai treffen sich Unternehmer und Verbände aus allen beteiligten Ländern zum B-20-Gipfel in Berlin. Die Empfehlungen der Arbeitsgruppen werden vorab zusammengefasst und beim Gipfel der Kanzlerin übergeben. „Wir setzen darauf, dass wir uns auf Positionen einigen, die zugleich kreativ und pragmatisch umsetzbar sind – und dass am Ende unsere Positionen von den G 20 gehört werden“, sagt Mildner.

In diesem zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozess sitzen nicht nur Wirtschaftsvertreter mit am Tisch, sondern auch diejenigen, die grundsätzlich die G 20 eher kritisch sehen, beispielsweise in der C-20-Gruppe, die vom Verband Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe (Venro) und dem Forum Umwelt und Entwicklung koordiniert wird.

„Exklusive Clubs wie die G 7 oder die G 20 sind nicht geeignet, die Probleme der Welt zu lösen“, heißt es in einer der beteiligten Organisationen. Die Vereinten Nationen seien eigentlich die zentrale Instanz dafür. „Aber die G 20 sind nun einmal eine Realität, vor der wir uns nicht verschließen können.“

Internationaler Frauengipfel im April in Berlin

Welche Bedeutung eine Erwähnung der eigenen Ziele in einer G-20-Abschlusserklärung haben kann, wissen die Organisatorinnen der W 20 genau. Denn auf dem Gipfel im australischen Brisbane 2014 verkündeten die Staats- und Regierungschefs die Absicht, die Lücke zwischen der Erwerbsbeteiligung von Frauen und von Männern zu verkleinern. „25 bis 25“ hieß das ehrgeizige Ziel – der Abstand soll bis zum Jahr 2025 um 25 Prozent sinken. Während in Deutschland etwa 73 Prozent der Frauen und 82 Prozent der Männer erwerbstätig sind, ist die Lücke im G-20-Land Saudi-Arabien um ein Vielfaches größer. Sollte das Ziel erreicht werden, würden insgesamt etwa 100 Millionen Frauen in Arbeit kommen, rechneten die G 20 vor zwei Jahren vor.

Seit dem Gipfel in Brisbane haben Frauenorganisationen aus den beteiligten Staaten mit den W 20 ihre eigene Vertretung im G-20-Prozess. Sowohl in der Türkei im vergangenen Jahr als auch in China gab es einen eigenen W-20-Gipfel. Die Bundesregierung beauftragte den Deutschen Frauenrat und den Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) mit der Koordination der W 20. Derzeit wird noch in den anderen 18 Ländern und der EU nach Partnerorganisationen gesucht, die zum Teil auch von ihren Regierungen benannt werden. Die Organisatorinnen wollen auch in Deutschland andere Frauenorganisationen einbinden, in mehreren Gesprächsrunden soll eine gemeinsame Verhandlungsposition entstehen. „Das ist ein partizipativer, demokratischer Prozess“, sagt die Projektleiterin Juliane Rosin.

Auf der Agenda der W 20 stehen neben der Erwerbsbeteiligung von Frauen auch die Themen Entgeltgleichheit, Frauen in Führungspositionen, Zugang von Frauen zum Kapitalmarkt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zugleich wollen die Organisatorinnen auf die Themen eingehen, die die Bundesregierung setzt und den frauenpolitischen Bezug deutlich machen. „Wenn es beispielsweise um digitale Wirtschaft geht, müssen wir auch darüber reden, dass Frauen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Studienfächern (MINT) nach wie vor unterrepräsentiert sind“, sagt Claudia Große-Leege, Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen. Dass mit Deutschland ein Land Gastgeber der W 20 sei, das wirtschaftlich stark ist und eine Frau an der Spitze hat, wecke in anderen Ländern die Hoffnung, „dass die W 20 endlich ihrem Thema gerecht werden“.

Im Abschlussdokument des G-20-Gipfels in Hangzhou werden Frauen zwar erwähnt, aber lediglich in kurzen Randbemerkungen. Alle Menschen sollten vom Wirtschaftswachstum profitieren, „insbesondere auch Frauen, junge Menschen und benachteiligte Gruppen“, heißt es in der Erklärung. „Frauen sollten nicht nur in einem Nebensatz erwähnt werden“, betont Große-Leege. „Natürlich gibt es die Sorge, dass die W 20 nicht richtig ernst genommen werden.“ Beim W-20-Gipfel in Berlin im April wollen die Frauen der Kanzlerin ihre Forderungen mitteilen. Nun hoffen die deutschen Organisatorinnen, dass am Ende mindestens eine dieser Forderungen in der Erklärung des Hamburger G-20-Gipfels auftaucht. Langfristig sollten die Themen der W 20 in alle Bereiche einfließen, sagt die VdU- Geschäftsführerin: „Wir wünschen uns, dass diese Gruppe irgendwann nicht mehr gebraucht wird.“

Der Text erschien in der "Agenda" vom 20. September 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false