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Krisengespräche am runden Tisch in Berlin, mit Wladimir Putin (l.) und Petro Poroschenko (vorn r.).

© dpa

Deutschlands neue Außenpolitik: Berliner Rollenspiele

Deutschland muss sich international stärker engagieren. Denn die Krisen nehmen weltweit zu. Das Auswärtige Amt hat sich darauf vorbereitet. Soweit das geht.

Reden oder schießen? Für Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gibt es „mehr als diese beiden Extreme“ bei der Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik, wie er einmal sagte. Dass Deutschland sich international mehr engagieren muss, steht außer Frage. Das fordern die Partner in der EU und auch der Nato. Auch eine Umfrage der staatlichen Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unter Führungskräften in und außerhalb Europas ergab vor einem Jahr, dass die Erwartungen an Deutschland hoch sind: „Deutschland muss Motor des Multilateralismus sein und darf sich nicht dahinter verstecken“, lautete eine der Aussagen.

Mit anderen Worten: Zurückhaltung, wie sie die Bundesrepublik als Konsequenz aus ihrer Geschichte Jahrzehnte geübt hatte, ist nicht mehr erwünscht. Andere vorschicken, wenn es in der Welt brennt, und allenfalls noch das Scheckbuch zücken, um deren Engagement zu finanzieren, schon gar nicht. Doch wie genau soll Deutschlands Rolle aussehen? Mehr als 25 Jahre, nachdem der Bundestag zum ersten Mal deutsche Soldaten in einen Auslandseinsatz schickte, ist diese Frage noch immer nicht ausdiskutiert.

Der Selbstfindungsprozess ist im vollen Gange. Doch er hat auch erste Ergebnisse hervorgebracht: Im Juli war das unter Federführung des Verteidigungsministeriums erarbeitete neue Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr vorgelegt worden, das den Rahmen für künftige Einsätze der Bundeswehr festlegt. Jetzt hat sich das Auswärtige Amt (AA) strukturell neu aufgestellt. Vorausgegangen war eine kritische Analyse der deutschen Diplomatie, eine „Selbstverständigung über die Perspektiven deutscher Außenpolitik“, wie es offiziell hieß. Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte diesen „Review“-Prozess gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit angestoßen. Die Krise, so sagte der Außenminister damals, sei inzwischen nicht mehr die Ausnahme in der Diplomatie, sondern der Normalfall. „Weil das so ist, stellen wir uns neu auf.“ Es folgten Debatten mit Bürgern, Experten und den Mitarbeitern des Amtes, um Deutschlands Rolle in der Welt und den möglichen Wirkungskreis deutscher Diplomatie auszuloten. Ein Jahr nahm sich das AA dafür Zeit, für die Umsetzung der Ergebnisse dann noch einmal 18 Monate – bis zum Spätsommer 2016.

Vermittlung als Markenzeichen

Klar ist: Prävention und Mediation sollen künftig Schwerpunkte der deutschen Außenpolitik sein. Vorbilder sind Norwegen und die Schweiz. Darauf jedenfalls arbeitet das AA hin. Dazu hatten im „Review“-Prozess auch internationale Experten Deutschland ermutigt. „Es ist an der Zeit, die Krisenvorbeugung in den Mittelpunkt zu stellen und sie zum Markenzeichen der deutschen Politik werden zu lassen“, sagte etwa die ehemalige Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Louise Arbour.

Das entspricht zudem am ehesten dem, was die deutsche Bevölkerung mittragen würde. Die steht einem stärkeren außenpolitischen Engagement Deutschlands grundsätzlich eher skeptisch gegenüber. Nur 37 Prozent können sich mehr internationale Initiativen vorstellen, 60 Prozent wünschen dagegen, dass Deutschland sich aus der internationalen Politik heraushält – oder sich allenfalls an diplomatischen Verhandlungen beteiligt und humanitäre Hilfe leistet.

In einer neu geschaffenen Abteilung, der Abteilung „S“, arbeiten im AA nun 130 Mitarbeiter an Konzepten für den Umgang mit Krisen- und Konfliktstaaten. „S“ steht für Stabilisierung, genau gesagt für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge. „Der Umbau kam gerade rechtzeitig“, erklärt Thomas Bagger, Leiter des Planungsstabs im AA. Angesichts immer neuer Krisen sei diplomatische Expertise international gefragt wie nie. Und da sei es sehr willkommen, dass Deutschland seine Fähigkeiten ausbaue, während andere Staaten bei ihren außenpolitischen Budgets sparen müssten. Inzwischen hat Deutschland den Vorsitz einer internationalen Stabilisierungsgruppe für die vom „Islamischen Staat“ befreiten Gebiete übernommen. „Dazu wären wir ohne die neuen Strukturen nicht in der Lage gewesen“, sagt Bagger.

Zu diesen neuen Strukturen gehört auch die Zusammenlegung der Abteilungen Vereinte Nationen und Abrüstung, um multilaterale Prozesse besser im Blick zu haben, und die Verankerung Europas als Querschnittsthema in allen Bereichen des AA, um Deutschlands Politik besser europäisch einzubetten. Das einst vom grünen Außenminister Joschka Fischer gegründete Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (Zif), das deutsche Experten in Friedenseinsätze vermittelt, soll zu einer echten Entsendeorganisation des AA werden. Das Außenamt will außerdem mehr Deutsche mit Migrationshintergrund für den Auswärtigen Dienst gewinnen – weil der Deutschland repräsentativ widerspiegeln soll, aber auch, weil viele Migranten einen besseren Zugang zu den Problemen in den Herkunftsregionen ihrer Familien hätten, wie Steinmeier im vergangenen Jahr bei einer Informationsveranstaltung für junge Migranten im AA sagte.

Kulturwandel und Strategiedebatten

Offiziell ist der Veränderungsprozess damit abgeschlossen. Oder auch nicht. Denn eine wichtige Erkenntnis daraus lautet: Um auf immer neue Krisen reagieren zu können, muss das Amt flexibel bleiben, seine Arbeit ständig hinterfragen und sich gegebenenfalls neu ausrichten. Eine „lernfähige Organisation“ nennt Thomas Bagger das. Allerdings bedeutet das nicht, dass das AA künftig alle paar Jahre organisatorisch auf den Kopf gestellt wird. Es gehe vielmehr um einen Kulturwandel, erklärt Bagger. „Wir brauchen mehr Raum für Strategiedebatten.“

In der Abteilung „S“ werden nun auch Leitlinien für das deutsche Krisenengagement und die Friedensförderung erarbeitet. Sie sollen den präventiven Ansatz der deutschen Außenpolitik unterstützen. Für Renke Brahms, den Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sind sie ein klares Signal, dass das AA die Deutungshoheit für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nicht dem Weißbuch überlassen will. Brahms muss es wissen, denn er war am Entstehungsprozess des Weißbuchs ebenso beteiligt wie jetzt an der Ausarbeitung der Leitlinien. Mit dem Ergebnis war er im Falle des Weißbuchs, das unter der Federführung des CDU-geführten Verteidigungsministeriums entstand, allerdings nicht zufrieden. In einer Stellungnahme der EKD kritisierte er kürzlich die starke Fokussierung der neuen Sicherheitsstrategie auf die Bundeswehr. Zivile Ansätze kämen darin zu kurz. Die Leitlinien und auch die Neuausrichtung des AA gingen dagegen „in die richtige Richtung“, sagt Brahms. „Deutschland ist stark in ziviler Konfliktbearbeitung und sollte diese Kompetenzen ausbauen.“

Im AA will man die Leitlinien indes nicht als Kritik oder gar als Gegenentwurf zum Weißbuch verstanden wissen. Thomas Bagger nennt sie einen komplementären Beitrag zum Weißbuch. Der Friedensbeauftragte der EKD fragt sich allerdings, warum in der Bundesregierung überhaupt verschiedene Konzepte nebeneinandergestellt werden. „Diese Zeiten sollten eigentlich vorbei sein“, sagt Brahms. „Wir brauchen endlich übergreifende außen- und friedenspolitische Leitlinien für die Arbeit der Bundesregierung. Und die müssen außenpolitisch und nicht verteidigungspolitisch ausgerichtet sein.“

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