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Joschka Fischer ist Gründungsgesellschafter der Unternehmensberatung Joschka Fischer & Company.

© Laif

Die wahren Enkel von Joschka Fischer: Wo die Grünen von gestern heute ihr Geld verdienen

Wechsel von der grünen Politik in die Wirtschaft: Einst zogen sie gegen Plastikmüll und Benzingestank zu Felde. Jetzt arbeiten sie für Auto- und Dämmstoffindustrie.

Wenn Dirk Evenson in seinem grünen Landesverband erzählt, für wen er arbeitet, bekommen gerade jüngere Parteimitglieder oft einen Schock. „Manche halten mich für den Feind in den eigenen Reihen“, erzählt er. Seit November 2007 leitet Evenson die Abteilung Kommunikation beim Verband der Automobilindustrie (VDA). Leicht vorstellbar also, dass ihm regelmäßig Ressentiments entgegenschlagen: Das soll ein Grüner sein? Evenson ist ein aktives Mitglied seiner Partei in Berlin. Und er empfiehlt seiner eigenen Partei, auch dorthin zu gehen, wo es wehtut. "Wir Grüne bleiben gerne in unserer thematischen Komfortzone und überlassen die vermeintlichen Igitt-Themen den anderen."

In dem Jahr, als Evenson zum Automobilverband kam, stand die Branche unter Druck. In der Öffentlichkeit hatten sich die deutschen Autobauer den Ruf als Dinosaurierindustrie eingehandelt. Der VDA engagierte damals den CDU-Mann Matthias Wissmann als Präsidenten und stellte auch seinen Kommunikationsbereich neu auf. Er sei nicht als Grünen-Erklärer eingestellt worden, sondern als Kommunikationsexperte, sagt Evenson, der vorher für die Werbeagentur Scholz & Friends gearbeitet hat. „Aber natürlich ist es nicht verkehrt, wenn es im Verband jemanden gibt, der die Grünen versteht. Ich komme ja gewissermaßen aus dem Lager, aus dem die Kritik kommt."

In den vergangenen Jahren haben Grüne immer mehr zentrale Positionen in Verbänden und der Wirtschaft besetzt. Längst sind sie nicht mehr nur Lobbyisten für die Solarindustrie, sondern auch für den Maschinenbau, die Pharmabranche oder die Metallindustrie. Nicht nur Abgeordnete wechseln die Seiten, sondern auch ihre Mitarbeiter. Sie seien allein schon wegen ihres politischen Insiderwissens für die Verbände interessant, sagt Sebastian Hofmann, der für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) arbeitet. „Wir können erklären, wie Politik funktioniert.“ – Grüne Politik. Hofmann selbst hat sein politisches Handwerk als Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Oswald Metzger gelernt.

Marsch durch die Institutionen

Der prominenteste Grüne, auf dessen Rat Firmenbosse hören, ist mit Sicherheit Joschka Fischer. 2009 gründete er mit seinem ehemaligen Sprecher Dietmar Huber eine Unternehmensberatung, die heute unter anderem BMW berät. Zum Team gehören der frühere Fraktionssprecher Markus Kamrad, sowie der Ex-Büroleiter des Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir, Michael Scharfschwerdt.

Auch die Grünen-Generation nach Fischer hat ihren Platz in der Wirtschaft gefunden. Der frühere Landesgeschäftsführer der Grünen in Hessen und in Schleswig-Holstein, Dirk Langolf, ist einer von ihnen. Jahrelang hatte er für die Bundestagsabgeordnete Margareta Wolf gearbeitet, 2008 wechselte er in die Industrie. Langolf übernahm die Kommunikation der Wirtschaftsvereinigung Metalle, die vor allem energieintensive Unternehmen vertritt. Den Seitenwechsel findet er nicht verwerflich. „Wer den Umbau der Industriegesellschaft möchte, wie Joschka Fischer ihn Ende der 80er in einem Buch propagiert hat, muss auch in die Verbände und die Wirtschaft gehen“, sagt Langolf. „Der Marsch durch die Institutionen, den sich die Grünen-Gründungsgeneration vorgenommen hat, kann doch nicht auf den Fluren des Bundestags und der Landtage enden.“

Nach Ansicht von Langolf haben grüne Lobbyisten eine Dolmetscherfunktion. „Wir können übersetzen, was ein Teil der Gesellschaft denkt“, sagt der Kommunikationsprofi, der seit diesem Jahr für ein Fraunhofer-Zentrum arbeitet. In seiner Zeit bei der Wirtschaftsvereinigung Metalle sei er anfangs erst einmal schräg angeguckt worden, erzählt Langolf. „Manche Unternehmer waren ganz erstaunt, dass ich Anzug und Krawatte trug und keinen Jutebeutel in der Hand hatte.“

Ein Grüner gehört selbstverständlich dazu

Den Exotenstatus in den Verbänden haben die Grünen inzwischen verloren, diese Erfahrung hat zumindest Norbert Schellberg gemacht. Zu rot-grünen Regierungszeiten koordinierte Schellberg für die Grünen im Bundestag die Zusammenarbeit von Bund und Ländern, später war er Büroleiter von Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Seit 2007 ist der für den Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) tätig. „Früher war man als Verband breit aufgestellt, wenn man einen CDUler, einen FDPler und einen Gewerkschafter in den eigenen Reihen hatte. Heute gehört ein Grüner selbstverständlich dazu“, sagt Schellberg.

Trotzdem ist der Wechsel in die Wirtschaft nicht immer selbstverständlich. Als Matthias Berninger 2007 aus dem Bundestag ausschied und beim Lebensmittelkonzern Mars anfing, musste er sich kritische Kommentare anhören. „In Deutschland wird jeder Wechsel von der Politik in die Wirtschaft misstrauisch beäugt“, sagt der frühere parlamentarische Staatssekretär im Verbraucherministerium, der jetzt die Konzernaußenbeziehungen für Mars leitet. „Es wäre hilfreicher, klare Regeln für den Wechsel zu definieren, statt immer mit moralischen Argumenten zu kommen“, findet Berninger.

Auch Kathrin Kummerow hat den Eindruck, dass es für bestimmte Seitenwechsel bei den Grünen nur wenig Verständnis gibt: „Dass die Rüstungsindustrie und der Pharmabereich für die Grünen ein Tabu sind, kann ich nachvollziehen“, sagt sie. Eine gewisse Skepsis spürt sie aber sogar gegenüber Themen ihres jetzigen Arbeitgebers. Kummerow ist Repräsentantin der Peag-Unternehmensgruppe, die in der Zeitarbeit tätig ist, früher war sie Landesvorsitzende der Grünen in Bremen. „Die Zeitarbeit genießt in der grünen Arbeitsmarktpolitik kein besonders hohes Ansehen“, bedauert Kummerow. Manchmal sei es für sie einfacher, bei der CDU einen Termin zu bekommen als bei den eigenen Leuten.

Grüner Wirtschaftskreis

Dabei gibt es in der Wirtschaft grundsätzlich eine Offenheit für grüne Themen, wie die frühere Bundestagsabgeordnete Marianne Tritz berichtet. Sie glaubt, dass die Wirtschaft weiter ist, als viele ihrer Parteikollegen denken. „Im produzierenden Gewerbe sind viele Betriebe schon auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Die haben längst verinnerlicht, was Fritz Kuhn bei uns immer propagiert hat: dass man mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann.“ Seit 2013 ist Tritz Geschäftsführerin des Gesamtverbands Dämmstoffindustrie, davor war sie für die Zigarettenlobby tätig. In der Wirtschaft gebe es inzwischen eine andere Generation von Unternehmenslenkern, die mit den Grünen sozialisiert worden seien, erzählt Tritz. „Einem Unternehmer habe ich mal erzählt, dass ich aus Gorleben komme. Der hat mir gesagt: Da saß ich auch schon auf der Straße.“

Auch Andreas Rade ist überzeugt, dass es in seiner Branche Anknüpfungspunkte gibt. Früher war er Büroleiter bei Renate Künast, als diese noch Fraktionschefin war. Seit 2012 ist er Geschäftsführer und Leiter des Hauptstadtbüros des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). „Im Maschinenbau geht es heute überall um Effizienz und Energieeinsparung“, sagt Rade. „Mit dem letzten Steuerwahlkampf sind da aber viele zuvor aufgebaute Brücken eingerissen worden.“

Viele der grünen Lobbyisten bedauern, dass ihr Wirtschafts-Know-how nicht stärker von ihrer Partei genutzt wird. Zwar gibt es Versuche, sich stärker zu vernetzen. So ist die ehemalige Grünen-Abgeordnete Grietje Staffelt derzeit dabei, einen grünen Wirtschaftskreis zu initiieren. Und auch Grünen-Fraktionsvize Kerstin Andreae ist Ansprechpartnerin. Doch es könnte mehr passieren, finden die grünen Verbandsvertreter. Vfa-Mann Schellberg erzählt, dass die FDP-Bundestagsfraktion früher ein regelmäßiges Frühstück für ihre Mitglieder in den Wirtschaftsverbänden organisiert habe. „Das war ein Austausch in beide Richtungen: Die Fraktion konnte über ihre Arbeit informieren, die Leute aus der Wirtschaft ihre Sicht der Dinge vorbringen“, sagt er. „Bei den Grünen ist so etwas leider nie richtig zustande gekommen.“

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 07. Oktober 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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