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Digitalkommissar Günther Oettinger.

© John Thys/AFP

Digitalisierung in Europa: Oettingers Netz

Der deutsche EU-Kommissar will einen digitalen Binnenmarkt errichten. Doch wie frei der am Ende für Wirtschaft und Verbraucher sein soll, ist umstritten.

Europa liegt bei der Digitalisierung gegenüber den Amerikanern im Hintertreffen. Nun wird zur Aufholjagd geblasen. Die EU-Kommission präsentiert am Mittwoch ihre Pläne dafür, wie in den kommenden Jahren ein digitaler Binnenmarkt geschaffen werden soll – in dem Ländergrenzen beim Onlineeinkauf, Internetfernsehen oder der Gründung eines Start-up-Unternehmens keine Rolle mehr spielen. Ziel ist, "Europa wieder zu einem globalen Champion für die Informations- und Kommunikationstechnologie zu machen", wie es im Entwurf des Papiers der EU-Kommission heißt, der dem Tagesspiegel vorliegt. Ihren Experten zufolge könnte ein voll funktionstüchtiger Digitalmarkt nämlich 3,8 Millionen Jobs schaffen.

Der Ist-Zustand wird dagegen weit weniger rosig geschildert: In der EU wird mit 0,21 Prozent der Wirtschaftsleistung viel weniger Geld in digitale Innovationen investiert als etwa in Japan (0,57 Prozent), den USA (0,58 Prozent) oder Südkorea (1,47 Prozent). Entsprechend ist die Zahl der Patente zum Thema Vernetzung viel kleiner. Nur in 18 Prozent der ländlichen Räume sind schnelle Internetverbindungen verfügbar. Hinzu kommen regulatorische Hürden, da die Europäische Union im Gegensatz zu den globalen Mitbewerbern im virtuellen Raum keinen einheitlichen Markt darstellt, sondern teils 28 verschiedene Gesetze gelten. Als Folge bieten von den lediglich 15 Prozent der kleinen und mittelgroßen EU-Firmen, die ihre Produkte im Netz verkaufen, nur gut ein Drittel diese auch grenzüberschreitend an. Und allzu oft heißt es bei audiovisuellen Diensten wie Netflix oder Youtube, dies oder jenes sei im eigenen Land "nicht verfügbar".

Die neue Strategie nimmt nun sechs Arbeitsbereiche ins Visier, in denen sich etwas tun soll: Es geht erstens darum, Barrieren abzubauen, zweitens um Vertrauensbildung, da die Kunden nicht zuletzt wegen der Rechtsunsicherheit bisher nicht im EU-Ausland bestellen. Drittens soll ein einheitlicher Telekommunikationsmarkt entstehen, der allen EU-Bürgern schnellen Netzzugang garantiert. Es soll, viertens, in Zukunft der Normalfall sein, dass sie online mit der öffentlichen Verwaltung kommunizieren. Fünftens soll der gesetzliche Rahmen für die digitale Wirtschaft verbessert und sechstens die digitale Forschung in Europa "Weltklasse" werden.

Oettinger wll Geoblocking teilweise zulassen - aus Rücksicht auf Kultur und Sport

Während diese Überschriften unstrittig sind, gibt es im Detail Meinungsverschiedenheiten – auch zwischen den zuständigen EU-Kommissaren Günther Oettinger und Andrus Ansip. So hat der estnische Kommissionsvize angekündigt, dem "Geoblocking" den Garaus machen zu wollen. Sperren für bestimmte Inhalte in bestimmten Ländern könnten daher über Änderungen der Richtlinien für Dienstleistungen, audiovisuelle Medien und ein neues EU-Urheberrecht unmöglich gemacht werden. Der deutsche Kommissar dagegen will Geoblocking aus Rücksicht auf den Kulturbetrieb und Sportveranstalter weiter teilweise zulassen.

YouTube ist das klassische Beispiel dafür, die EU-Kommission beklagt aber auch, dass Autovermietungen unterschiedliche Preise verlangen – je nachdem, wo der Kunde, identifizierbar über die Netzwerkadresse, wohnt. Oettinger will die nationalen Beschränkungen aber deshalb nicht ganz verbieten, weil er um Europas Filmwirtschaft fürchtet, wie er vergangene Woche dem österreichischen Onlinemagazin "Futurezone" sagte. Auch kleinere Fußballverbände seien darauf angewiesen, dass große Ligen nicht überall frei empfangbar seien: "Sie glauben doch nicht, dass der österreichische Fußball, der mittelmäßig ist, sich halten könnte, wenn es nur noch einen Markt gäbe?", so Oettinger in den Gespräch weiter. "Dann wäre das Spiel Salzburg gegen Austria Wien nur noch sekundär. Dann gäbe es nur noch Real gegen Barça."

Die Europaabgeordnete Julia Reda von der Piratenpartei argumentiert genau andersherum. Für die Filmindustrie gebe es durch die Sprachgrenzen einen natürlichen Schutz – am ehesten müssten britische und US-Unternehmen einen gemeinsamen Markt fürchten. Und auch das Fußballbeispiel ist für sie nicht stichhaltig: "Man muss den österreichischen Fußball nicht blockieren, damit er in Deutschland nicht angeschaut wird." Tatsächlich gibt es auch unter Oettingers Fachbeamten "Unmut", wie einer von ihnen sagt, weil er "altmodisch" denke und in der Frage "stark von klassischen Medienunternehmen beeinflusst" sei.

Der Deutsche scheint sich jedoch teilweise durchgesetzt zu haben. So ist im Entwurf des Strategiepapiers nur von der "Portabilität legal erworbenen Inhalts" die Rede. Das würde bedeuten, dass ein Kunde sein Abo des Bezahlsenders Sky auch im EU-Ausland nutzen könnte – aber steuerfinanzierte Angebote wie die Mediatheken von ARD und ZDF oder werbefinanzierte Plattformen wie eben YouTube dort auch weiterhin nicht voll nutzbar wären.

Dieser Text erschien in Agenda, dem Politik-Journal des Tagesspiegels.

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