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Was wird in der Gesundheit wichtig? Die EU entscheidet mehr und mehr über die nationalen Forschungspolitiken.

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EU-Forschungspolitik: Schluss mit der Kleinstaaterei in der Wissenschaft

Bologna ist nur der Anfang: Die EU will mit der Kleinstaaterei in der Wissenschaft Schluss machen und die Forschungspolitik ihrer Mitgliedsstaaten vereinheitlichen. Die Deutschen sind dabei nur teilweise gut aufgestellt.

Was Europa am Ende des Jahrzehnts bewegen wird, weiß Brüssel schon in diesen Tagen. Derzeit diskutiert die EU-Forschungskommission, welche „gesellschaftlichen Herausforderungen“ sie ab 2016 erforschen lassen will. Was wird zum Beispiel in der Gesundheit wichtig werden? In der Öffentlichkeit mag das weitgehend unbemerkt bleiben. Doch für Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen sind die Überlegungen der Kommission von großer Bedeutung. Finanziell, denn es geht um Milliarden Euro, die die EU verteilt. Und auch strategisch: Wer im Diskussionsprozess der Kommission seinen Einfluss geltend machen kann, wird später von den Programmen stärker profitieren.

Nach Deutschland könnten 14 Milliarden Euro fließen

Das ist ein Grund, weshalb sich die Freie Universität Berlin eine eigene Vertretung bei der EU leistet. Als „Internationale Netzwerkuniversität“ unterhält die FU weltweit sieben Verbindungsbüros, und Brüssel ist eines davon. „Die EU ist für die Forschung in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden“, sagt Simona Bevern, Referentin der Forschungsabteilung im Brüsseler Büro.

Am einfachsten lässt sich das am Geld ablesen. Zwischen 2007 und 2013 stiegen die EU-Ausgaben für Wissenschaft von fünf Milliarden auf zuletzt fast elf Milliarden Euro im Jahr. In der aktuellen großen Haushaltsperiode, die bis 2020 läuft, könnten nach Hochrechungen auf der Basis früherer Antragsrunden allein an deutsche Wissenschaftseinrichtungen mehr als 14 Milliarden Euro fließen - vorausgesetzt, es kommt nicht zu den angedrohten Kürzungen des Wissenschaftsbudgets.

Der Bologna-Prozess soll nur der Anfang sein

Auch was die politischen Rahmenbedingungen angeht, steigt der Einfluss der EU. So will die Union wie beim europäischen Binnenmarkt für die Wirtschaft auch in der Wissenschaft mit der Kleinstaaterei Schluss machen und die Forschungspolitik vereinheitlichen. Die als „Bologna-Prozess“ bekannte europaweite Harmonisierung des Studiums soll nur ein Anfang gewesen sein.

Die FU bringt sich bei EU-Konsultationen ein

Wie können Hochschulen da Einfluss nehmen? Für Bevern geht es in Brüssel darum, „die exzellente Forschung der Freien Universität sichtbar zu machen“. Dazu nutzt die FU beispielsweise öffentliche Konsultationen, in denen sich die EU-Kommission von Experten beraten lässt. FU-Wissenschaftler bringen sich hier ein und erklären, was sie für Zukunftsprobleme halten. Natürlich könne die Freie Universität wegen der Abstimmungsprozesse und konkurrierender Interessenvertreter nicht alleine Themen setzen, sagt Bevern. Ein Erfolg sei es aber schon, die Aufmerksamkeit der EU-Kommission auf ein oder zwei Themen zu lenken, die der FU besonders am Herzen liegen – und darauf hinzuarbeiten, dass die Kommission genau dort auch künftige Schwerpunkte für die EU-Forschungsförderung sieht.

Besonders erfolgreich ist die Strategie der TU München

Klassische Lobbyarbeit also. Sagte man früher den deutschen Hochschulen nach, sie würden nur unzureichend für ihre Interessen in Brüssel werben, hat sich das inzwischen geändert. Die Unis Halle und Frankfurt am Main sind heute in Brüssel ebenso vertreten wie die Medizinische Hochschule Hannover. Die bayerischen Hochschulen unterhalten eine gemeinschaftliche Vertretung. Die TU München hat sich zudem mit den Technischen Universitäten in Eindhoven, Lausanne sowie der TU Dänemark zum Verbund „EuroTech Universities“ zusammengeschlossen – eine Strategie, die in der Brüsseler Szene als erfolgreich gilt. Diese Unis würden nicht so sehr als Vertreterinnen von Partikularinteressen, sondern als paneuropäisch denkende Hochschulen wahrgenommen. Für Unis, die sich keine Vertretung leisten, ist die Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen, kurz KoWi, erste Ansprechpartnerin. Diese bietet zum Beispiel ein mehrstufiges Trainingsprogramm für Hochschulvertreter an, die ihre Kenntnisse rund um die EU-Programme vertiefen wollen.

Ein Teil der Arbeit in Brüssel ist Antragsberatung

Die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen unterstützen ihre Institute ebenfalls mit eigenen Brüsseler Büros bei EU-Anträgen, zumal wenn es um Projekte mit vielen internationalen Partnern geht, die aufwendig zu koordinieren sind. Doch die Antragsberatung mache einen kleineren Teil der Arbeit als früher aus, sagt Claudia Labisch, Leiterin des Brüsseler Büros der Leibniz-Gemeinschaft. „Wir müssen heute viel stärker politisch-strategisch wirken.“

Denn auch in der Forschungspolitik fährt die EU eine Strategie, die den meisten nicht erst seit dem Verbot der Glühbirne bekannt sein dürfte: einheitliche Normen für alle Mitgliedstaaten setzen. So versucht die EU-Kommission seit der Finanzkrise, EU-weite und nationale Forschungsprogramme besser aufeinander abzustimmen – um die knapper werdenden Mittel konzentrierter einzusetzen. „Es findet eine Art Marktaufteilung statt“, sagt Labisch. Das erfordere ein genaues Monitoring und viele Absprachen mit deutschen Stellen, die oft gar nicht ahnten, was auf sie zukommt. Welche großen Gemeinschaftsvorhaben plant die EU-Kommission? Entsprechen sie den deutschen Interessen? Wo können sich die Institute der Leibniz-Gemeinschaft einbringen? Wo sollten sich die Deutschen womöglich stärker beteiligen, um nicht den Anschluss an die internationale Spitzenforschung zu verlieren?

Die HRK fürchtet, Forschungsfreiräume werden eingegrenzt

In der deutschen Hochschulrektorenkonferenz – ebenfalls in Brüssel vertreten – sieht man den Trend zur gemeinsamen Förderpolitik mit gemischten Gefühlen. Natürlich sei eine Koordinierung in einem gewissen Rahmen sinnvoll. „Der Wettbewerb der Ideen und freies Forschen zugunsten vorgegebener Forschungsbahnen darf aber nicht eingeschränkt werden“, sagt HRK-Präsident Horst Hippler. Dahinter steht die Befürchtung, die Zahl der zu erforschenden „gesellschaftlichen Herausforderungen“ könnte allzu begrenzt sein, Forschungsfreiraum dadurch eingeschränkt werden.

Die Promotionsphase soll vereinheitlicht werden

Das Potenzial zum Aufreger haben auch andere Bereiche, die die EU-Kommission vereinheitlichen will. Ähnlich wie beim Bachelor- und Masterstudium gibt es Bestrebungen, die Promotionsphase zu harmonisieren. Einige befürchten, die Promotion könne dadurch allzu sehr verschult werden. Ein Europäischer Zusatz-Pensionsfonds für Wissenschaftler soll grenzüberschreitende Karrierewege erleichtern – doch das wäre mit Kosten für die Hochschulen verbunden. Um den Arbeitsmarkt für Forschende zu öffnen, gibt es die Idee, dass jede Stelle europaweit ausgeschrieben werden muss. Der freie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur (Open Access) soll ebenfalls EU-weit geregelt werden.

Die Deutschen sind nicht immer gut aufgestellt

Wie gut können die Deutschen in diesem Prozess ihre Interessen durchsetzen? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Neben dem Bund sind alle Länder in Brüssel vertreten. Doch viele Vertreter bringen in diesem Fall nicht unbedingt viel. „Der Bund ist gut aufgestellt. Die Länder schaffen es aber nicht immer, sich untereinander zu koordinieren, um ihre gemeinsamen Gesichtspunkte hörbar zu machen“, sagt Hippler. Andere Kritiker sagen, die Wissenschaftsreferenten der Länderbotschaften würden auch zu Hause selten durchdringen, weil sie viel zu weit weg von ihren Ministerien seien. Vielen Ländern sei daher noch gar nicht bewusst, wie einschneidend die angestrebten EU-Harmonisierungen sie treffen könnten. Die Wissenschaftslobby wünscht sich daher, die Kultusministerkonferenz würde sich auf einen gemeinsamen Vertreter in Brüssel einigen – dessen Stimme dann umso vernehmbarer wäre.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 28. Oktober 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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