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Glücksspiel, Alkohol und Tabak können süchtig machen.

© iStock (3) / kolidzei, stock.adobe.com. Montage: Sascha Lobers

Interessenvertretung: Die Strategien der Lobbyisten des Lasters

Tabak, Alkohol, Glücksspiel: Wie vertritt man die Interessen von Branchen, deren Produkte süchtig machen oder sogar töten können? Wie kann man das moralisch vor sich selbst vertreten?

Es gibt in dem Film „Thank you for Smoking“ eine Szene, da muss der Tabaklobbyist Nick Naylor bei einer Anhörung des US-Kongresses erscheinen. Es geht um das Aufbringen von Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln. Einer der Senatoren will wissen, ob Naylor glaubt, dass Rauchen zu Lungenkrebs führen kann. Naylor, braun gebrannt, blondes Haar, sagt nach kurzer Pause: „Ja.“ Ein Raunen geht durch den Saal. Aber das wüssten die Leute ja schon, da brauche es keinen Warnhinweis, sagt Naylor. Sonst könne man ja auch welche auf Flugzeuge und Autos aufbringen. Dann kommt seine Pointe: „Die häufigste Todesursache in Amerika ist Cholesterin.“ Vielleicht, meint Naylor, solle man selbst auf Cheddarkäse Warnhinweise wegen möglicher Herzinfarkte aufbringen.

Michael von Foerster – rosa Hemd, Einstecktuch, rote Socken – kann über den Film nur müde lächeln. Auch er ist Tabaklobbyist, Hauptgeschäftsführer des Verbands der deutschen Rauchtabakindustrie (VdR), und sagt: „Die Realität sieht anders aus.“ Foerster sitzt in seinem hellen Büro am Gendarmenmarkt in Berlin, auf dem Tisch liegen mehrere Pfeifen, an der Wand hängen Schwarz-Weiß-Bilder von rauchenden Menschen. Wer hier hereinkommt, läuft an einem Plakat aus der Netflix-Politserie „House of Cards“ vorbei. Darauf steht: „Abgeordneter, der: Dienstleister ein oder mehrerer Lobbyisten“.

Das Plakat hängt da natürlich auch nur ironisch. Die Tabakindustrie fühlt sich gegängelt von der Politik. Warnhinweise, Schockbilder, Rauchverbote: In den vergangenen Jahren hat es viele Verschärfungen gegeben. Und gerade versucht Michael von Foerster, neues Übel von seinem Verband abzuwenden, in dem auch viele kleinere und mittlere Unternehmen organisiert sind. Die EU will ein „Track and Trace“-System für Tabakprodukte einführen, also Codes auf die Packungen aufbringen, um Schmuggel zu verhindern – derzeit geht es an die Umsetzung.

Aber wie macht man Lobbyismus für eine Industrie, deren Produkte süchtig machen oder sogar tödlich sein können? Und wie kann man das moralisch vor sich selbst vertreten? 120.000 Menschen im Jahr sterben an den Folgen des Rauchens. 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Alkoholsucht. 215.000 Menschen sind spielsüchtig und verschulden sich zum Teil stark.

Der Verein Lobbycontrol kritisiert regelmäßig, dass Lobbyisten großer Unternehmen und Wirtschaftsverbände soziale Belange an den Rand drängen. Dass sie mit ihrem Einfluss auf Entscheider in Parlamenten und Ministerien die Ausgewogenheit politischer Entscheidungen gefährden. Wie also arbeiten diejenigen, gegen deren Branchen es die meisten Vorbehalte gibt?

METHODE 1: FEINDBILDER SCHAFFEN

Der Glücksspiellobbyist Georg Stecker hat eine ziemlich effektive Strategie gefunden, um seine Ziele zu erreichen. Der Sprecher des Dachverbandes der Deutschen Automatenwirtschaft, ein gemütlicher Typ im dunkelblauen Sakko, sitzt in seinem klimatisierten Büro unweit des Hackeschen Marktes in Berlin. „Das Thema Glücksspiel ist nicht so, dass jeder vor Begeisterung in die Hände klatscht“, sagt der 55-Jährige. Aber die Aufgabe habe ihn gereizt. Selbst spielt Stecker nicht, nur ab und zu Lotto.

Auf dem Papier läuft es gut für die Glücksspielbranche: 13,5 Milliarden Euro Ertrag erwirtschaftet sie in Deutschland derzeit jährlich. Aber Stecker hat dennoch ein Problem: Die Politik ist dabei, das Glücksspiel stark zu regulieren. In Berlin etwa gelten Mindestabstandsgebote zwischen Spielhallen und eine maximale Anzahl von Spielautomaten pro Standort. „In Niedersachsen wurde mit Losverfahren ausgewählt, welche Spielhalle schließen muss. Mitunter blieb die schlechteste offen“, beschwert sich Stecker.

Deshalb präsentiert der Jurist der Politik jetzt einen gemeinsamen Feind: das illegale Glücksspiel. In Berlin zum Beispiel gibt es schätzungsweise 2500 Cafécasinos, die vorgeben, eine Gaststätte zu sein, und damit die Regulierung umgehen wollen. Stecker fährt manchmal mit Landespolitikern nach Neukölln und zeigt ihnen, wie es dort zugeht. Seine erste Botschaft: Die Cafécasinos müssen alle weg. Die zweite: Es braucht ein ausreichend großes legales Angebot, wo die Leute stattdessen spielen können. Stecker spricht von einem „natürlich Spieltrieb“. Politiker sehen es dagegen mit großer Sorge, dass allein in Berlin täglich mehrere Hunderttausend Euro in Spielautomaten versenkt werden, die oft in sozial schwachen Gegenden angesiedelt sind. Manche sagen, das Spielen mache die Menschen kaputt.

Georg Stecker: Die Deutsche Automatenwirtschaft.
Georg Stecker: Die Deutsche Automatenwirtschaft.

© DAW / Marco Urban

Stecker aber will erreichen, dass das legale Glücksspiel als positiv und sicher wahrgenommen wird – da hilft es ihm, wenn er sich von den illegalen Cafécasinos abgrenzen kann. „Biometrische Zutrittskontrolle, TÜV-Zertifizierung, qualifiziertes, präventionsgeschultes Personal – das sollte als Qualitätskriterien gesetzlich verankert werden“, sagt er. Mit der Forderung will Stecker sein eigentliches Ziel durchsetzen: dass im Gegenzug die Mindestabstandsgebote fallen und wieder mehrere Spielhallen nebeneinander sein können. Um das zu erreichen, besucht Stecker häufig die Länderparlamente in Deutschland. Demnächst will er sich auch häufiger in Brüssel sehen lassen.

METHODE 2: VOM PRODUKT PROFITIEREN

Fragt man Holger Eichele welche Regulierungspläne und Gesetzesvorhaben ihm derzeit Sorgen machen, fällt ihm erst mal nichts ein. Eichele ist einer der einflussreichsten Alkohollobbyisten in Deutschland, muss aber zumindest von der deutschen Politik derzeit wenig befürchten – vertritt er als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes ja quasi das Nationalgetränk der Deutschen. Eichele muss nur dafür sorgen, dass das so bleibt. Zum Gespräch bietet er ein alkoholfreies Bier an.

Es sei für ihn, als er angefangen habe, eine interessante Erfahrung gewesen, wie „emotional unser Produkt ist“, sagt der 45-Jährige, der früher Journalist war und dann im Landwirtschaftsministerium arbeitete. „Große Zeitungen mit großen Buchstaben präsentieren Bierthemen grundsätzlich auf der Titelseite.“

Holger Eichele: Deutscher Brauer-Bund mit Sitz in Berlin.
Holger Eichele: Deutscher Brauer-Bund mit Sitz in Berlin.

© DDB / Steffen Höft

Eichele hat auch keine Probleme, Politiker zu finden, die sich von seinem Verband den Titel „Botschafter des Bieres“ verleihen lassen. Peter Altmaier, Cem Özdemir und Norbert Lammert waren schon dabei. Ein großer Erfolg der Brauer war es, als sie gegen Fracking protestierten. Das Verfahren zur Gasförderung könne die Reinheit des Brauwassers gefährden, warnten sie. Fracking gefährde das Reinheitsgebot, titelte dann auch gleich die „Bild“-Zeitung – und das Thema stand plötzlich groß auf der Agenda.

Es kann aber auch andersherum laufen. Als die Meldung die Runde machte, in Bier sei potenziell krebserregendes Glyphosat, stand auch das groß in allen Zeitungen. Da war Eichele, wie er sagt, „sofort zurück im alten Krisenkommunikationsmodus, den ich schon aus dem Ministerium kannte – dank Themen wie Dioxin, EHEC oder Pferdelasagne“. Die Einordnung des Bundesinstituts für Risikobewertung, man dürfe theoretisch tausend Liter Bier am Tag trinken, bis eine kritische Menge als Glyphosat erreicht wäre, half ebenfalls. Was dagegen zu Eicheles Glück kaum problematisiert wird: In Bier ist eine andere, erwiesenermaßen krebserregende Substanz – Alkohol.

METHODE 3: DEN GENUSS BETONEN

Warum entscheidet man sich, Bierlobbyist zu werden? „Mein Urururururgroßvater hatte eine Brauerei, ich komme aus Bayern“, sagt Eichele. Das sei aber nicht ausschlaggebend gewesen. „Ich wollte für eine authentische Organisation arbeiten.“ Eichele bezieht sich oft auf die vielen Kleinbrauereien, die im Verband organisiert sind. Von den großen Marken, die er ebenfalls vertritt – Bitburger, Krombacher oder Radeberger – spricht er eher selten.

Tabaklobbyist von Foerster spricht bei der Diskussion über sein Produkt grundsätzlich über Genuss. Er selbst zum Beispiel sei auch nur „Genussraucher“. Und weil sein Verband die Hersteller von Zigarren, Zigarillos, Pfeifen- und Schnupftabak sowie Feinschnitt zum Zigarettendrehen vertritt, sei die Zielgruppe auch der reife Erwachsene. „Wir Menschen müssen akzeptieren, dass wir uns auch mal für etwas belohnen wollen. Für einen schönen Tag oder einen Erfolg im Beruf“, sagt er.

Michael von Foerster: Verband der deutschen Rauchtabakindustrie.
Michael von Foerster: Verband der deutschen Rauchtabakindustrie.

© VdR

Er werde in seinen Gesprächen mit Politikern oder Ministeriumsvertretern nicht auf die Gesundheitsgefahren des Rauchens angesprochen. „Es geht um die Ausgestaltung von Richtlinien oder die Umsetzung von Gesetzen.“ Gegen ein umfassendes Tabakwerbeverbot wehren sich die Tabakverbände gemeinsam mit der Werbewirtschaft seit Jahren erfolgreich. Von Foerster sieht an seiner Arbeit nichts Verwerfliches. Es sei schließlich ein Wettstreit von Interessen. „Wir wollen Arbeitsplätze erhalten und Rechtssicherheit für unsere Unternehmen. Die Gegenseite versucht Jugendschutz und Gesundheit nach vorne zu stellen.“ Am Ende müsse die Politik entscheiden.

Bleibt noch die Frage: Sind die Gefahren für ihn persönlich ein Thema? „Dass Rauchen ungesund ist, weiß jeder. Das ist wie mit allen Genussmitteln. Wenn ich dem Genuss über die Maßen fröne, steigt die Gefährdung“, sagt von Foerster. Treibt ihn das um? „Nein. Sonst würde ich hier überhaupt nicht arbeiten können.“ Er klingt nicht wie jemand, der Zweifel hat.

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